75 Prozent der Gründer:innen und Mitarbeiter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen, also Sozialunternehmen, aktivistische Netzwerke und NGOs konsumieren regelmäßig Alkohol oder Drogen um ihren Stress zu verarbeiten. Und 70 Prozent davon wünschen sich professionelle Unterstützung für ihr eigenes Leben (vgl. Severn und Murphy Johnson, 2020). Über die Hälfte (55 Prozent) leidet an Burnout und Depressionen.
Das Programm betterplace well:being richtet sich an genau diese für die Gesellschaft so wichtige Zielgruppe. Wenn es darum geht, sich den überwältigenden Herausforderungen unserer Zeit zu stellen, dann brauchen wir insbesondere die sozial Engagierten und Beschäftigte des sozialen Sektors. Gleichzeitig sind gerade diese Menschen besonders gefordert, denn sie versuchen auf der einen Seite die Bewältigung von Krisen und Notsituationen gesamtgesellschaftlich abzufedern, und sind auf der anderen Seite genauso selbst von Krisen betroffen. Wie wir alle müssen sie sich zudem den ständig verändernden Rahmenbedingungen ihrer Arbeit stellen. Zusätzlich leidet der Sektor unter oftmals prekären und projektbasierten Finanzierungen.
Nach dem ersten Jahr der Programme haben wir eine Zwischenevaluation durchgeführt und die Ergebnisse der explorativ theoriebildenden Forschung zusammengefasst. Über Fragebögen zu den Workshops, Fokusgruppen-Interviews und Beobachtungen der Trainer*innen konnten wir uns ein Zwischenbild machen.
Gründe für die Wellbeing-Workshops:
Was stresst Menschen im sozialen Sektor?
Über die Fragebögen zu unseren Workshops konnten wir ermitteln, dass ¼ der Befragten mindestens drei der angegebenen Stressoren erleben. Im einzelnen bietet sich uns folgendes Bild:
60 Prozent stresst die Größe und Komplexität der gesellschaftlichen Herausforderung.
Für 40 Prozent ist unsichere Planung ein Stressfaktor.
31 Prozent strengt unsichere Finanzierung an.
25 Prozent sind belastet von einem hohen Leidensdruck der Zielgruppe des Engagements
3 Prozent sind aufgrund von Diskriminierungserfahrungen gestresst
Als weitere Stressfaktoren wurden genannt: Persönliche Unsicherheit, hohe Komplexität der Aufgaben, Zeitdruck, Rollenunsicherheit, hohe Verantwortung, Kommunikationsprobleme und Leistungsdruck.
Auf die Frage, wie sich die Stressfaktoren auswirken, antworteten die Befragten wie folgt:
Ca. die Hälfte der Befragten leidet nach Stress unter Niedergeschlagenheit und Motivationsmangel und/oder unter körperlichen Schmerzen wie Rücken-, Kopf-, oder Bauchschmerzen.
Weitere Auswirkungen sind Ängstlichkeit (45 Prozent), Gereiztheit.
Aggressionen (35 Prozent)
Schlafstörungen gab es bei 31 Prozent der Befragten.
40 Prozent der Befragten wählten mindestens drei der genannten Auswirkungen.
Wo setzt das well:being Programm an?
Das Ziel der 2020 ins Leben gerufenen Programme betterplace well:being und co:lab ist es, Engagierte zu befähigen, gesund, kollaborativ und wirksam zu arbeiten. In Zusammenarbeit mit den Betriebskrankenkassen BKK VBU, pronova BKK und Salus BKK geht es im betterplace well:being-Programm darum, ganzheitliche Gesundheitskompetenzen und im speziellen ein Bewusstsein für die Notwendigkeit mentaler Gesundheit zu fördern. Im Rahmen dieses Modellprojekts erhoffen wir uns zudem Erkenntnisse darüber, wie wir eine regenerative Kultur im Coworking erschaffen können und welche Anforderungen und Lösungen bereitstehen. Das erzeugte Wissen und die Erfahrungen sollen auf andere Orte transferiert und an andere Zielgruppen gerichtet werden, damit eine Signalwirkung erreicht wird.
Sowohl die Workshop-Serie well:being-Serie als auch die Workshop-Serie co:lab bestehen aus fünf Einsteiger:innen-Workshops. Beide beginnen mit zwei gleichen Basis-Workshops zu Selbstkontakt und Existenzberechtigung. Danach folgen jeweils andere Schwerpunkte zur Vertiefung. In der well:being-Serie unterstützen die Workshops 3 bis 5 die Engagierten im Umgang mit Stress und Überlastung und sollen so langfristig ihre mentale Gesundheit schützen. Führungsqualitäten, emotionale Intelligenz, Abgrenzung, innerer Fokus, Zufriedenheit und Motivation werden genauso gefördert wie die Kompetenzen zur Reflexionsfähigkeit, Selbstverortung und Selbstmanagement. In der co:lab-Reihe fokussieren die Workshops 3 bis 5 zwischenmenschliche Kompetenzen. Konfliktfähigkeit, Empathie und Mitgefühl, Neugier, Offenheit, Multiperspektivität und Ambiguitätstoleranz.
Wie wird das Programm angenommen?
Die Aktivitäten fanden zwar anders als konzipiert zum größten Teil online, aber dennoch wie geplant statt. Was die Zahl der Teilnehmende angeht, liegt der Wert im erwarteten Rahmen. Bisher fanden 27 von insgesamt 35 geplanten well:being-Workshops statt und über 300 Teilnehmende wurden im ersten Jahr erreicht.
Die Aktivitäten wurden begleitet von Kommunikationsmaßnahmen (Blogposts, Social Media Beiträge, der Vorbereitung einer Podcast-Reihe).
Erfahren haben die Teilnehmenden am häufigsten (41 Prozent) von Kolleg:innen, über den Newsletter (15 Prozent) oder über Social Media (13 Prozent).
Wie waren die Workshopgruppen zusammengesetzt?
Die Zusammensetzung der Workshopteilnehmenden wurde über Fragebögen abgefragt.
Im Schnitt bewerten die Teilnehmenden die Workshops als sehr gut (4,1 von 5 Punkten). Die Teilnehmenden konnten nach jedem Workshop eine Bewertung abgeben. Auf einer Skala von 1 (schlecht) bis 5 (hervorragend) wurden Meinungen gesammelt. Im Durchschnitt wurden die well:being Workshops (1-5) mit einer (4,5) bewertet. Insgesamt erwähnen die Teilnehmenden eine hohe Qualität im Aufbau der Workshopreihe, den Inhalten und eine hohe Kompetenz der Trainerinnen.
Die Teilnehmenden der Fokusgruppeninterviews erwähnen, dass auch Personen mit Vorerfahrung im Bereich well:being von den Inhalten profitieren können und diese auffrischen können. Die Aufbereitung der “Quintessenz” bleibt durch verschiedene grafische Darstellungen gut in Erinnerung, sodass sich die Teilnehmenden im Alltag gut darauf beziehen können. Auch der Austausch in den sogenannten “Dyaden” (Zweiergruppen) wird als wertvolles Werkzeug der inneren Arbeit empfunden.
Verändern sich Bewusstsein und Fähigkeiten infolge der Teilnahme an den Workshops?
Laut Fokusgruppeninterviews und Freitextantworten in den Fragebögen gewannen die Teilnehmenden ein tieferes Verständnis für Wellbeing.
Über 70 Prozent stimmten zu, die vermittelten Inhalte zu verstehen. Auch ein bewusster Umgang mit Überforderungssituationen wird in den Interviews mehrfach beschrieben.
Diese Workshopreihe hat meinem Selbstkontakt einen Impuls gegeben, meinen Selbstkontakt und meine Selbstreflexion zu stärken und auszubauen.
Bezogen auf erworbene Fähigkeiten sollen die Teilnehmenden für sich herausfinden, was sie individuell wollen und nichtwollen.
Wir setzen vor den verschiedenen Entspannungs- und Wellnessmethoden an. Denn für unsere Zielgruppe kann ein Yogakurs zur weiteren Belastung werden und viele der Herausforderungen lassen sich nicht wegatmen. Wir machen innere Spannungen besprechbar. Dadurch ergeben sich dann für jede Person individuell andere nächsten Schritte. Das kann durchaus eine schwierige Entscheidung oder ein herausforderndes Gespräch, das den Menschen hilft.
Weiter sollen die Teilnehmenden die Fähigkeit erlernen, die Motivation für ihr Handeln und die Signale und Grenzen ihres Körpers zu erkennen.
Ich versuche seit der Teilnahme an den Workshops meine Körpersignale bewusster mit einzubeziehen. Ich habe es mehr auf dem Schirm und gebe ihnen mehr Raum.
Was ergibt sich für das Handeln der Einzelnen?
71 Prozent der Teilnehmenden an, die Inhalte der Workshops öfter bis häufig in ihren Alltag zu integrieren, die gewonnenen Kompetenzen zur Reflexion zu nutzen und aktiv auf ihr Wellbeing zu achten.
Und da habe ich auch häufig gemerkt, dass ich an das Erlernte im Alltag denken musste. So aha: Jetzt bin ich gerade in so einem Spannungsfeld zwischen zwei verschiedenen Bedürfnissen. … Das habe ich im Alltag dann reflektieren können.
Sind die Teilnehmenden durch die erlernten Kompetenzen gesünder und zufriedener (in ihrer Arbeit)?
Diese wichtige Frage steht auf der letzten Stufe im Bereich Outcome der Wirkungstreppe, die wir als Messlatte anlegen. Immerhin 44 Prozent der Teilnehmenden aus den well:being-Workshops an, dass sich ihr Wellbeing durch die Workshops verbessert hat. 48 Prozent geben an, nicht zu wissen, ob sich ihr Wellbeing verbessert hat. Nur acht Prozent können keine Verbesserung ihres Wellbeings spüren.
Abb. Wirkungstreppe aus den Kursbuch Wirkung von Phineo
Ich habe gemerkt, dass ich nach den Workshops (well:being) resilienter war und ich habe eine Abgrenzungsfähigkeit in mir gespürt. Diese ist auch Außenstehenden aufgefallen.
Es entstand der Wunsch eine “Übungsgruppe” zu gründen, um vermittelte Inhalte auch nach den Workshops leichter anwenden zu können. Diese könnten einen Effekt verhindern, den einige Teilnehmende ein halbes Jahr nach Absolvieren der Workshops beschrieben haben, nämlich dass es ihnen zunehmend schwerer fällt auf die Erkenntnisse zurückzugreifen, je länger die Workshops in der Vergangenheit liegen.
Trotzdem konnten einige Inputs in den Alltag transferiert werden, z.B. das Einnehmen der Metaperspektive in Konfliktsituationen oder herausfordernden Situationen, das "Nein sagen" als innere Verbundenheit zu empfinden, bei sich zu bleiben und sich nicht im Gegenüber zu verlieren, Stress im Körper wahrzunehmen, Push-and Pull Effekte zu spüren und zu differenzieren, wenn es um Entscheidungen geht. Wenn mehrere Teilnehmende aus einem Arbeitsteam an den Workshops teilnahmen, konnte eine strukturelle Veränderung im Team angestoßen werden. Weiter wurde beobachtet, dass die Bedürfnisse anderer stärker wahrgenommen wurden. Auch dem Beobachten und Reflektieren wurde nach sechs Monaten mehr Beachtung geschenkt. Selbstsicherheit wurde bei einigen Teilnehmenden langfristig durch die Teilnahme an den Workshops gestärkt.
Vereinzelt wurde darüber berichtet, dass Kolleg:innen nicht immer Verständnis für das Thema Wellbeing haben. Es wird vorgeschlagen, diese Personen mit einer anderen Strategie anzusprechen, da diese Menschen höchstwahrscheinlich stark davon profitieren würden.
Fazit & Aussichten
Weiter gedacht dienen die Inhalte nicht nur sozial engagierten Personen, sondern auch einer breiten Allgemeinheit. Wenn eine Einzelperson mehr zum Thema Wellbeing weiß, kann sie diese Informationen weitergeben und durch das Leben der neuen Glaubenssätze andere inspirieren. Durch die Analysen wurde sichtbar, dass mehrheitliche Frauen an den Workshops teilnehmen. Eine höhere Teilnehmerquote männlicher Teilnehmender wäre wünschenswert, da sie eine relevante Teilgruppe unserer Arbeitswelt darstellt. Ein neues Kompetenzset und eine neue Kultur kann so in alle Ebenen getragen und gelebt werden. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass Männer im Gesundheitssystem als “hard to reach”- Gruppe gelten. Sie nehmen weniger an Präventionsangeboten teil und fühlen sich häufiger nicht angesprochen. Dies gilt es zu beobachten und die Angebote dahingehend anzupassen. Nicht nur in Punkto Geschlecht wäre es wünschenswert eine diversere Zielgruppe zu erreichen. Um die gelernten Inhalte zu verstetigen und langfristige Auswirkungen beobachten zu können, streben wir eine Fortführung der Programme über den Förderzeitraum hinaus an.
Das Programm betterplace well:being ist ein Projekt des betterplace lab und wird unterstützt durch die BKK∙VBU, pronova BKK und Salus BKK.
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