Wie können wir uns den überwältigenden Herausforderungen unserer Zeit, allen voran der Klimakatastrophe, stellen, ohne selbst überwältigt zu werden? Wie können wir mit vielen anderen gemeinsam agieren, ohne das Ziel oder unseren eigenen Beitrag aus den Augen zu verlieren?
Diesen Fragen stellt sich das 2019 ins Leben gerufene Programm betterplace co:lab. Finden zivilgesellschaftliche Akteur*innen eine Form der Zusammenarbeit, bei der ihre unterschiedlichen Ansätze gut ineinandergreifen, erhöht sich die Chance auf die systemische Wirkung ihres Tuns. Mit dem Programm stärken wir sie, um ein gutes Gelingen zu ermöglichen und lernen gleichzeitig im Prozess, was Kollaboration erfolgreich stützen kann. Dieses Transferwissen soll an viele Orte ausstrahlen – in einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Herausforderungen zu groß sind für Einzelkämpfer*innen.
Nach dem ersten Jahr des Programms haben wir eine Zwischenevaluation durchgeführt und die Ergebnisse der explorativ theoriebildenden Forschung zusammengefasst. Über Fragebögen zu den Workshops, Fokusgruppeninterviews und Beobachtungen der Trainer*innen konnten wir uns ein Zwischenbild machen.
Woraus besteht das Programm?
Das grundständige Programm besteht aus einer 5-teiligen Workshopreihe. Es beginnt mit zwei Basis-Workshops zu Selbstkontakt und Existenzberechtigung. Die daran anschließenden Workshopmodule 3-5 fokussieren zwischenmenschliche Kompetenzen: Konfliktfähigkeit, Empathie und Mitgefühl, Neugier, Offenheit, Multiperspektivität und Ambiguitätstoleranz.
Damit aus einer Zusammenarbeit mehr entstehen kann als die Summe der Teile, bedarf es neuer Kompetenzen und zusätzlicher Ressourcen zur Koordination des gemeinsamen Vorhabens. Das betterplace co:lab-Programm unterstützt daher acht thematische Cluster für jeweils sechs bis zwölf Monate mit einem Prozesscoaching im Umfang von 20 Stunden. Thematische Cluster bestehen aus mindestens vier Organisationen (pro Organisation 1-2 Personen). Sie bearbeiten ein gesellschaftliches Zukunftsthema mit einer konkreten, realistischen Zielsetzung. Das Angebot ist kostenfrei. Dafür bringt die Gruppe die Bereitschaft mit, Zeit und eigene Ressourcen in den gemeinsamen Prozess zu investieren, unter anderem dadurch, dass sie an den (oben genannten) Einsteiger:innen-Workshops 1-5 teilnehmen. Die Evaluation der Cluster erfolgt gesondert von dieser Zwischenevaluation der Workshops.
Bezogen auf die Cluster ist relevant, dass die Cluster-Teilnehmenden kontinuierlich über die Laufzeit arbeiten. Zum Zeitpunkt der Zwischenevaluation waren Cluster Nr. 1 & 2 erfolgreich abgeschlossen, Cluster Nr. 3 war auf der Zielgeraden und zwei neue Gruppen starteten, Cluster Nr. 4 & 5. Hier befindet sich eine Übersicht der Cluster im betterplace co:lab-Programm.
Beweggründe für die Teilnahme am Programm
Auf die Frage, warum die Teilnehmenden mehr über Kollaboration lernen möchten,
entschieden sich 38 Prozent für folgende Antwortoption: Ich will mich an der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beteiligen.
34 Prozent stimmten folgender Aussage zu: Neugier auf andere Menschen und Organisationen.
Größe und Komplexität der gesellschaftlichen Herausforderung interessierten 20 Prozent.
Den Anspruch an die Arbeit im Rahmen von Förderungen wählten sieben Prozent.
Wie wird das Programm angenommen?
Im Jahr 2021 fanden 35 co:lab-Workshops statt. Es wurden 422 Teilnehmende im ersten Jahr erreicht.
Die Aktivitäten wurden begleitet von Kommunikationsmaßnahmen (Blogposts, Social Media Beiträge, der Vorbereitung einer Podcast-Reihe).
Erfahren haben die Teilnehmenden am häufigsten (41 Prozent) von Kolleg*innen, über den Newsletter (15 Prozent) oder über Social Media (13 Prozent).
Zusammensetzung der Workshop-Gruppen
Die Befragten arbeiten in verschiedensten Organisationsformen. Mehrheitlich sind sie in Vereinen aktiv (39 Prozent) oder in einer gGmbH (20 Prozent). Freiberufler*innen sind zu 14 Prozent in den Workshops anzutreffen. Zwischen drei und 10 Prozent finden sich auch Teilnehmende aus Genossenschaften, nicht-organisierte Personen, pro-Profit Organisationen und Netzwerken. Die Fragebögen wurden von 36 Prozent Programm- oder Projektleiter*innen ausgefüllt. Danach folgen mit 33 Prozent Programm- oder Projektmitarbeiter*innen, Freelancer*innen (15 Prozent) und 13 Prozent Personen aus der Geschäftsführung, Vorstand der Gründer*innen einer Organisation.
Wie kamen die Inhalte der Workshops an?
Im Schnitt bewerten die Teilnehmenden die Workshops als sehr gut (4,1 von 5 Punkten). Die Teilnehmenden konnten nach jedem Workshop eine Bewertung abgeben. Auf einer Skala von 1 (schlecht) bis 5 (hervorragend) wurden Meinungen gesammelt.
37 Prozent der Bewertenden empfanden die Workshops als hervorragend, 42 Prozent als sehr gut und 20 Prozent als gut. Nur 1 Prozent bewertete die Workshops als mittelmäßig.
70 Prozent der Teilnehmenden gaben an, die vermittelten Inhalte zu verstehen. Ein Teilnehmender sagte beispielsweise:
”Wir haben mit unserem Team teilgenommen und die Workshops gaben vielem was in unserem Team passiert ist, einen Namen. Wir haben eine andere Perspektive auf vieles erhalten. Und die Workshops haben uns Hinweise darauf gegeben, was vielleicht noch als Team auf uns zukommt und wie wir darauf reagieren können.”.
Eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem Thema Kollaboration erkennen wir daran, dass sich einige Teilnehmende weiterführenden Austausch mit Gleichgesinnten wünschen oder daran, dass die Teilnehmenden über die Inhalte mit anderen Personen sprechen.
Für die zwei Basis-Workshops wurden die Teilnehmenden zu Selbstkontakt, innerer Spannung, Existenzberechtigung und Motivation befragt:.
67 Prozent der Teilnehmenden stimmen zu, dass sie die erwähnten Dimensionen aus Workshop 1 & 2 verstehen.
Fast 20 Prozent stimmen völlig zu, diese Inhalte zu verstehen.
Lediglich 14 Prozent stimmen nicht zu.
Ähnlich verhält es sich mit den Workshops drei bis fünf. Hier wurde die Wirkung bzw. die Handlungskompetenz durch drei Dimensionen sichtbar gemacht: Zuhören, Neugier, Systemische Perspektive.
76 Prozent der Teilnehmenden stimmen zu, dass sie die Inhalte verstanden haben und wissen wie sie umzusetzen sind.
21 Prozent wissen dies nicht und drei Prozent stimmen nicht zu, etwas verstanden zu haben.
Zusammenfassend haben die Teilnehmenden der Workshops die Inhalte sehr gut verstanden und wissen wie sie umgesetzt werden können. Nur ein geringer Anteil stimmt dieser Aussage nicht zu oder weiß nicht wie das Vermittelte umgesetzt werden soll.
Auf die Frage, wie häufig die Teilnehmenden die Inhalte aus den schon absolvierten Workshops im Alltag anwenden, beantworteten 15 Prozent diese Frage mit häufig, fast 60 Prozent mit öfters und 25 Prozent mit selten. Gleichzeitig stimmten 41 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass sich ihre Zusammenarbeit nach absolvieren der Workshops verbessert hat. 47 Prozent wissen es nicht und 13 Prozent verneinen diese Aussage.
Verändern sich Bewusstsein und Fähigkeiten infolge der Teilnahme an den Workshops?
Aussagen direkt nach Absolvieren der Workshopreihe Insgesamt gaben die Befragten aus den Fokusgruppeninterviews an, die Workshopreihe als Bereicherung empfunden zu haben, einhergehend mit dem Wunsch nach einer Übersicht der angewendeten und erklärten Tools und Themen (Inzwischen gibt es ein Handbuch).
“Während eines Jobwechsels konnte ich etwas Erlerntes nutzen: Im Gespräch mit einem Arbeitgeber konnte ich mir sagen, es liegt nicht nur bei mir den Kommunikationsraum zu gestalten, sondern das ist beidseitig. Dieses Wissen hat mir sehr weitergeholfen."
Es wurde angegeben, dass:
es teilweise schwierig ist, das Gelernte in Kreisen zu etablieren, in denen Personen nicht kollaborationsfähig sind bzw. dem Thema noch fern sind.
die zwischenmenschlichen Beziehungen in Teams sich zum Teil durch die Workshops verbessert haben.
einzelne Erklärungen und Themen den Teilnehmenden stark in Erinnerung bleiben, sodass sie im Alltag öfter darüber nachdenken. In diesen Gruppen wird eine anschließende “Lerngruppe” zum Vertiefen der Inhalte und zum Austausch gewünscht.
Aussagen nach zeitlicher Distanz Ein halbes Jahr nach den absolvierten Workshops fand noch einmal eine Gesprächsrunde in der Fokusgruppe statt. Aus dem Gespräch ließ sich folgendes ableiten:
Allgemein fällt es den Teilnehmenden zunehmend schwerer auf die Erkenntnisse zurückzugreifen, je länger die Workshops in der Vergangenheit liegen.
Trotzdem konnten einige Inputs in den Alltag transferiert werden (z.B. Metaperspektive in Konfliktsituationen oder herausfordernden Situationen, "Nein sagen" als innere Verbundenheit empfinden, bei mir bleiben und mich nicht im Gegenüber verlieren, Stress im Körper wahrnehmen, Push-and Pull Effekte von Veränderung spüren und differenzieren, wenn es um Entscheidungen geht).
Wenn mehrere Teilnehmende aus einem Arbeitsteam an den Workshops teilnahmen, konnte eine strukturelle Veränderung im Team angestoßen werden. Weiter wurde beobachtet, dass die Bedürfnisse anderer stärker wahrgenommen wurden. Auch dem Beobachten und Reflektieren wurde nach sechs Monaten mehr Beachtung geschenkt.
Selbstsicherheit wurde bei einigen Teilnehmenden langfristig durch die Teilnahme an den Workshops gestärkt.
Fazit & Aussichten
Auf Basis der Zwischenevaluation können wir folgende Wirkung feststellen: Die große Mehrheit der Teilnehmenden beschreibt eine kurzfristige Veränderung in der Kollaboration. Langfristige Veränderungen des Bewusstseins und ihrer Fähigkeiten beschreiben ebenfalls einige Teilnehmende. Eine Veränderung der Lebenslage ist auf Basis der Daten nicht nachvollziehbar.
Nachhalten erwünscht
Die Teilnehmenden beschreiben gleichzeitig die Herausforderung, die erlernten Methoden langfristig anzuwenden und konkrete Veränderungsschritte im Alltag anzugehen. Daher wünschen sich einige einen regelmäßigen Austausch über die Workshops hinaus. In der “Übungsgruppe” können die Teilnehmenden Inhalte vertiefen, Situationen besprechen und in eine Art kollegialen Austausch gehen. Dieser Wunsch scheint von Personen geäußert zu werden, die sich intensiv mit sich und ihrer Umwelt auseinander setzen. Es bleibt offen, ob und in welchem Umfang weiterführende Austauschrunden angenommen werden.
Neue Glaubenssätze verinnerlichen
Ein grundsätzlicher Kulturwandel und Verhaltensänderungen können bewirkt werden, wenn neue Glaubenssätze verinnerlicht sind und die Mehrheit des umgebenden Systems diese neuen Glaubenssätze mindestens kennt und bestenfalls lebt.
Kein Schneeballeffekt ohne Schnee
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie Personen erreicht werden, welche erstmal keinen Zugang zum Thema Kollaboration haben, aber unter Umständen zahlreichen Herausforderungen ausgesetzt sind. Darunter können z.B. Studierende, Führungskräfte, Senior*innen fallen. Weiter gedacht dienen die Inhalte nicht nur sozial engagierten Personen, sondern auch einer breiten Allgemeinheit. Wenn eine Einzelperson mehr zum Thema Kollaboration weiß, kann sie diese Informationen weitergeben und durch das Leben der neuen Glaubenssätze andere inspirieren.
Männer nicht zurücklassen
Durch die Analysen wurde sichtbar, dass mehrheitlich Frauen an den Workshops teilnehmen. Eine höhere Quote männlicher Teilnehmender wäre wünschenswert, da sie eine relevante Teilgruppe unserer Arbeitswelt darstellt. Ein neues Kompetenzset und eine neue Kultur kann so in alle Ebenen getragen und gelebt werden.
Ein Kulturwandel betrifft alle!
Daher ist es relevant, dass diverse und vielfältige Perspektiven und andere Lebenswirklichkeiten mit in die Workshops einfließen. So wurde ein geringer Teilnehmendenanteil von BIPoC festgestellt.* Es wäre wünschenswert, weitere, diverse Personengruppen als Teilnehmende zu gewinnen. Gleichzeitig besteht die Aufgabe herauszufinden, weshalb diese Personengruppen noch nicht an den Workshops teilnehmen und wie wir unser Angebot in Inhalt und Ansprache anpassen können, damit sie sich angesprochen fühlen.**
Workshops für ganze Teams
Am Ende dieses Pilotprojektes bleiben einige Fragen offen und bieten gleichzeitig Bedarf für weitere Forschung. Durch eine längerfristige Begleitung im Rahmen eines dauerhaften Unterstützungsangebotes könnte die Zielgruppe vermutlich stärker im Verankern der neu gelernten Praxis begleitet werden. Wir beobachten, dass die nachhaltige Anwendung mehr Erfolg hat, wenn mehrere Personen aus einem Team oder aus einer Organisation teilnehmen und durch die Intervention der Workshops ihre gelebte Kultur gemeinsam verändern.
Das Programm betterplace co:lab ist ein Projekt des betterplace lab und wird gefördert durch Luminate und die Schöpflin Stiftung.
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* BIPoC “...ist die Abkürzung von Black, Indigenous, People of Color und bedeutet auf Deutsch Schwarz, Indigen und der Begriff People of Color wird nicht übersetzt. Diese Begriffe sind politische Selbstbezeichnungen.” Quelle
** Eine Überarbeitung der Fragebögen nach den ersten sechs Monaten im Programm führte dazu, dass Diskriminierungserfahrungen der Teilnehmenden erfragt wurden. Ab August wurden die Teilnehmenden gefragt, ob sie Diskriminierungserfahrungen erlebt haben und aus welchem Grund. 231 Personen wurden dazu befragt. 64 Antworten erhielten wir. 72 Prozent erleben Diskriminierungserfahrungen aufgrund der Zugehörigkeit oder Zuschreibung zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Alltag. 26 Prozent verneinten dies. 29 Prozent werden aufgrund mindestens eines Merkmals diskriminiert. 22 Prozent erleben Diskriminierung aufgrund von 2 Diskriminierungsmerkmalen. Die Befragung ergab, dass sich fast die Hälfte (49 Prozent) aufgrund ihres Geschlechts Diskriminierungserfahrungen erlebt haben. 18 Prozent aufgrund ihres Alters und 11 Prozent aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. 20 Prozent beschrieben weitere Merkmale wie gesundheitliche Entscheidungen, Migrationsgeschichte, Mobbing oder Elternschaft.