Resiliente Teams in Zeiten von Erschöpfung
Die letzten beiden Jahre waren für viele Menschen energiezehrend. Care-Arbeit, Ehrenamt, Job, Beziehungen, Weiterbildung – ganz schön viele Bälle, die es gleichzeitig in der Luft zu halten gilt. Mehrfachbelastungen können dazu führen, dass wir an unsere Grenzen geraten. Auch im betterplace lab Team gab es Krankheitsausfälle und zeitweise machte sich Erschöpfung breit. Wenn stressverschärfende Dynamiken wie eine zu hohe Arbeitslast, Zeitdruck oder mangelnde Konzentration dazu kommen, drohen uns einzelne Bälle aus den Händen zu gleiten.
Was kann uns in herausfordernden Zeiten, die von Unsicherheiten geprägt sind, stärken? Wo finden wir Ressourcen, mit denen wir Frustrationen begegnen? Wie können wir neuen Mut schöpfen?
Um das herauszufinden, habe ich mit Wirtschaftspsychologin und Resilienz-Trainerin Patrizia Thamm (sie/ihr) von der Pronova BKK gesprochen, eine unserer Förderpartner im betterplace well:being-Programm.
Patrizia, wie können wir uns gegenseitig in schwierigen Phasen stärken?
Was für Teams stärkend sein kann, ist vor allen Dingen Empathie und gegenseitige Achtsamkeit. Wir sollten verstehen und ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass jede und jeder in seiner ganz eigenen Realität lebt, mit ganz eigenen Erfahrungswelten und auch privaten Herausforderungen im Gepäck, die wir nicht unbedingt kennen. Gerade im beruflichen Team oder beim ehrenamtlichen Engagement ist man sich meistens nicht darüber bewusst, mit welchen Herausforderungen sich die anderen gerade auseinandersetzen müssen. Ich denke, dafür ist ehrliche Kommunikation ganz wichtig und auch das Schaffen von Reflexionsräumen. Eine gute Zusammenarbeit braucht einen offenen Austausch. Bewusstes Zuhören und lebendige Dialoge sind wichtig. Das schafft letztendlich die wichtige psychologische Sicherheit im Team.
Gesprächsroutinen können hierbei Unterstützung bieten. Wir können uns immer wieder die Fragen stellen: Wie geht es uns eigentlich miteinander? Was läuft gerade gut? Was läuft nicht so gut? Was können wir vielleicht noch verbessern, damit die Zusammenarbeit leichter und produktiver wird? Wenn wir solche Kommunikationsräume schaffen, bekommen die Teams immer wieder die Möglichkeit, neu festzulegen, wie sie mit ihren ganz unterschiedlichen individuellen Erfahrungswelten gut zusammenarbeiten möchten.
Im Rahmen solcher Reflexionsräume lassen sich auch Aufgaben anders verteilen, bzw. anders priorisieren, sodass Belastungen dadurch insgesamt im Team besser gestemmt werden und gesetzte Ziele gut erreicht werden können. Außerdem lassen sich Konflikte und Stressquellen im Team besser erkennen, woraufhin man diese ansprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen kann.
Was auch viel Sicherheit in diesen Zeiten schaffen kann, ist eine gute Feedbackkultur. Und damit meine ich, dass man auch mal, wenn man nicht aktiv danach gefragt wird, Feedback gibt oder ein Lob ausspricht, wenn etwas gut gelaufen ist. Ebenso ist ein Zusammengehörigkeitsgefühl essentiell. Das lässt sich auch durch virtuelle Rituale herstellen. Im Team haben wir während der Lockdown-Zeiten beispielsweise Gespräche, die wir normalerweise in der Kaffeeküche geführt haben, in den virtuellen Raum verlegt. Wir haben eine virtuelle Coffee Break eingeführt und virtuelle Feierabendbier-Runden. Diese Formate haben merklich die Team-Stimmung gestärkt und einen besonderen Zusammenhalt geschaffen.
Du bist Resilienz-Trainerin. Was bedeutet Resilienz?
Resilienz wird gerne als Immunsystem unserer Seele bezeichnet. Sie beschreibt unsere psychische Widerstandskraft. Das heißt zum einen die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen, Krisen, Stress und auch Niederlagen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Zum anderen bedeutet es, mit unerwarteten Ereignissen im Leben umgehen zu können, Krisen auch als Chance zu sehen und im besten Fall gestärkt daraus herauszutreten und daran zu wachsen. Ich nehme mal ein Beispiel aus der Natur.
Ich vergleiche die menschliche Resilienz immer gern mit dem Bambus, der für eine gelungene Strategie im Umgang mit stürmischen Zeiten steht. Er biegt und wiegt sich im Wind, anstatt zu brechen. Der Bambus steht für Flexibilität und Beweglichkeit. Gleichzeitig ist er aber auch tief verwurzelt und zeigt sich stabil und standhaft.
Wie können wir unseren Arbeitsalltag so gestalten, dass wir unsere Resilienz stärken?
Erholung Wenn wir psychisch und körperlich stark und gesund bleiben wollen, sollte Erholung zu einem täglichen Prinzip werden. Wir sollten eine Art “Frühwarnsystem” für unsere Bedürfnisse entwickeln. Dafür ist es ganz wichtig, dass wir ebenso unsere Ressourcen wie auch unsere Belastungsgrenzen kennen(lernen) und dafür auch einstehen. Es ist schwer, mental gesund und leistungsstark zu bleiben, wenn wir selbst oder andere ständig unsere Grenzen überschreiten. Es ist wichtig, dass wir auf unsere eigenen Bedürfnisse und Grenzen achten – egal ob im Arbeitsumfeld, im Privaten, im Ehrenamt oder in welchen Systemen wir uns sonst bewegen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Resilienz. Dazu gehört es auch, mal “Nein” zu sagen.
Positives Denken Ein weiterer wichtiger Baustein, um Resilienz zu fördern, ist, dass man sich mit positivem Denken die eigenen Erfolge und positiven Erlebnisse, die man schon hatte, bewusst macht. Jede und jeder hat in seinem Leben schon jede Menge erreicht und sicher bereits die ein oder andere Hürde gemeistert und es ist ganz wichtig, sich das auch immer mal wieder vor Augen zu führen – vor allem, wenn man in belastenden Zeiten dazu tendiert, das zu vergessen. Optimismus ist eine ganz wichtige Säule im Arbeitsalltag. Das bedeutet, auch Fehler, Schwierigkeiten und Misserfolge als Chance wahrzunehmen und zur Weiterentwicklung zu nutzen.
Vernetzung Auch das soziale Unterstützungsnetz spielt eine entscheidende Rolle für mehr Resilienz und dient in schwierigen Zeiten als Kraftquelle und Glücksgenerator.
Wenn man merkt, es läuft mal nicht so, kann man aus dieser Ressource wieder Kraft schöpfen und so die eigene psychische Widerstandskraft stärken. Man kann sich überlegen: Wer kann mich unterstützen? Welche Unterstützung brauche ich von wem in welcher Situation? Es lohnt sich, diesen Support aktiv zu suchen und einzufordern.
Du hast gerade von einem Frühwarnsystem für die eigenen Bedürfnisse gesprochen. Wie kann das für Individuen aussehen? Woran merkt man, dass etwas gerade zu viel wird?
Überforderung kann sich natürlich ganz unterschiedlich äußern. Entweder durch körperliche Symptome oder auf der mentalen Ebene, zum Beispiel durch eine dauerhaft erlebte Kraftlosigkeit oder übergreifende Demotivation und Ängste. Der Schwellenwert zwischen einer Herausforderung und einer erlebten Überlastung ist zudem sehr individuell. Hier gilt es, achtsam zu sein und ein Gespür für die eigenen Grenzen zu entwickeln. Das hat man nicht von jetzt auf gleich etabliert und es ist auch nicht jedem in die Wiege gelegt. Aber man kann sich selbst besser kennenlernen, sich beobachten, sich reflektieren, sich vielleicht auch am Abend regelmäßig fragen:
Wie ging es mir heute in der Situation? Was hat mir so ein Gefühl der Überforderung vermittelt? Was waren die Auslöser? Wenn wir regelmäßig reflektieren, können wir darauf auch reagieren.
Außerdem können wir mit der Führungskraft oder mit den Kolleginnen und Kollegen sprechen und sagen: “Hey, das ist jetzt einfach gerade zu viel. Da brauche ich eure Unterstützung, das schaffe ich nicht mehr alleine.” Hier transparent und ehrlich zu kommunizieren geht aber eben nur, wenn wir uns die Zeit nehmen und damit anfangen, uns selbst dahingehend richtig kennenzulernen, um unsere Belastungsgrenzen auch nach außen vertreten und kommunizieren zu können.
Du warst bei der Konferenz für Engagement, New Work & systemischen Wandel Anfang September dabei. Welche Antwort hast du persönlich auf die Leitfrage “Woher kommt der Mut?” gefunden?
Ich glaube der Mut kommt - auch bei mir persönlich - aus zwei Richtungen. Mut entsteht zum einen aus dem eigenen Selbstvertrauen heraus, kann aber auch aus dem Unterstützungsnetz kommen, also aus dem Zutrauen von anderen – vor allem wenn man auch mal kurzzeitig das Vertrauen in sich selbst verloren hat.
Was Mut entstehen lässt oder ihn wieder zurückbringt, ist meines Erachtens die Kombination aus beidem. Ich denke, mutige Menschen tragen eine grundsätzlich positive Zuversicht in sich. Also, so ein unerschütterliches Selbstvertrauen und Urvertrauen in sich selbst. Aus dem festen Glauben an sich selbst und die eigenen Stärken lässt sich immer wieder Mut schöpfen. Dazu gehört aber eben auch, dass wir auch mal schwache und schwierige Momente durchleben, Momente, in denen wir uns mal nicht mutig präsentieren. Und wenn wir in diesen Momenten auf ein ehrliches, kräftigendes Unterstützungsnetz zurückgreifen können, kann uns dieses auffangen und wieder Mut schenken.
Eine weitere nicht zu verachtende Entstehungsquelle für Mut ist meinem Gefühl nach oft ein Ziel oder ein größerer Sinn, den man in einer Aufgabe sieht, an der wir arbeiten. Etwas, das uns trägt und dran bleiben lässt. Eine Mission, die über allem steht. Ich finde, das sieht man gerade bei Menschen, die sich haupt- oder ehrenamtlich für etwas Gutes einsetzen, für eine bessere Welt bzw. für eine gesunde Zukunft. Sie kämpfen mit einer großen Portion Leidenschaft und bringen bei ihren Aufgaben immer wieder neuen Mut auf, mit dem Wissen, dass sie damit - zumindest ein kleines Stück - die Welt besser machen.
Ich glaube, dass wir aus diesen drei Säulen insgesamt eine optimistische Grundhaltung entwickeln können, die entgegen aller schlechten Prophezeiungen und Erfahrungen Mut in uns entstehen lässt für wichtige Entscheidungen oder Veränderungen in unserem Leben.
Was trägt dich bei deiner Arbeit? Woraus schöpfst du persönlich deine Kraft?
Ich finde, mit Optimismus, einer Spur Humor, ein paar verlässlichen KraftspenderInnen und der richtigen Portion Begeisterung geht alles viel leichter.
Vor allem wenn es mal nicht so gut läuft oder sich der (Arbeits-)Alltag schwer und anspruchsvoll anfühlt. Humor, sagt man ja auch mit einem Augenzwinkern, ist die achte Resilienz Säule. Die kann uns auch in kräftezehrenden, schwierigen Zeiten den lebenswichtigen Optimismus zurückgeben. Und wenn wir dann noch einer Aufgabe mit Leidenschaft nachgehen und für schwierige Momente ein paar KollegInnen im Umfeld haben, die uns unsere Stärke zurückgeben, können wir vielen Herausforderungen leichter begegnen. Diese Glücks-Kombi trägt auch bei mir dazu bei, dass ich meinen Job persönlich super gerne mache.
Dieser Beitrag ist im Rahmen der Konferenz für Engagement, New Work & Systemischen Wandel am 2. September 2022 entstanden. Mit über 170 Gästen gingen wir gemeinsam der Frage auf den Grund: “Woher kommt der Mut?”.
Die Pronova BKK, die BKK VBU und die Salus BKK sind Förderer des betterplace well:being-Programms.