Auf welchen Wegen streut das russische Regime Desinformation? Welche Kanäle werden genutzt? Wer sind die Akteur*innen?
Oleksandr Zamkovoi, Faktenchecker bei StopFake, war zu Gast bei einem digitalen Treffen innerhalb des Projekts REALIES – Strong civil society for a healthy information ecology. Er teilte Erkenntnisse zu Quellen und Wegen von russischer Desinformation. Wir haben seine Ausführungen für euch zusammengefasst.
Russische Propaganda – offen und versteckt
Oleksandr Zamkovoi unterteilt in sichtbare und versteckte russische Propaganda. Bei ersterer handelt es sich um die offizielle Propaganda, die neben Putin und Lawrow weitere Köpfe verschiedener staatlicher Institutionen verbreiten. Darüber hinaus unterstützen Medien, Kriegsberichterstatter*innen und Kultur- und Bildungseinrichtungen in der ganzen Welt, indem sie Russland bei der Verbreitung von Narrativen helfen.
Unter versteckte Propaganda fallen Marionetten-Organisationen und Politiker*innen aus dem ultrarechten sowie ultralinken Spektrum, die in allen EU-Ländern zu finden sind – besonders laut sind darunter die AfD in Deutschland, die österreichische FPÖ, Griechenlands Chrysi Avgi und Syriza, die ungarische Jobbik, Frankreichs Front National und Lega Nord in Italien. Neben den politischen Akteur*innen gibt es einzelne Influencer, die sich auf dem Feld der pro-russischen Propaganda bewegen. Eine wichtige Rolle spielen Social Media Kanäle, auf denen zusätzlich Trolle und Bots eingesetzt werden.
Beliebte Narrative: Die Ukraine gibt es nicht, Gefahr aus dem Westen und das Kiewer Nazi-Regime
Die meisten werden Putins Lieblingsgeschichte kennen: Die Ukraine hat es nie gegeben, sie war schon immer ein Teil Russlands. Er stellt es so dar, als sei Grundlage aller Auseinandersetzung eigentlich die Idee des Westen, einen unabhängigen Staat zu schaffen mit dem Ziel, Russland zu besiegen und zu zerstören.
Aber nicht allein der Despot kurbelt die Propaganda-Maschine an. Eine ganze Menge anderer Leute sind involviert: vom Außenminister und den Vertretern des Verteidigungsministers über den Auslandsnachrichtendienst und die Parlamentarier*innen bis zum ehemaligen Präsidenten Medwedew. Auch in den von Russland besetzten Gebieten sind schon Propagandist*innen am Werk und konstruieren eine parallele Realität, in der die dortige Bevölkerung längst russisch sei. Sie beschuldigen die Ukraine der Kriegsverbrechen und spulen die Leier vom Nazi-Staat ab.
Michail Jewgenjewitsch Misinzew gibt beispielsweise vor, die ukrainischen Streitkräfte terrorisierten die Menschen in Charkiw. Es fände dort eine Zwangsmobilisierung statt und die Menschen hätten Angst, auf die Straße zu gehen.
Eine neue Form der Sklaverei prophezeit der Vorsitzende der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin: Der Lend-Lease-Act der USA würde die Ukraine in den Zusammenbruch führen, weil es eine zu große Belastung für die Ukrainer*innen sei, die im Laufe der Jahrzehnte zu viel für die Landpacht aufbringen müssten. All diese Geschichten wurden laut Oleksandr Zamkovoi bereits von verschiedenen Faktenprüfer*innen widerlegt.
Unterstützung durch russische Institutionen und Organisationen im Ausland
Als ‘soft power‘ bezeichnet Oleksandr Zamkovoi, was sich im Ausland unter dem Einfluss des Kremls abspielt und wiederum für das Erzeugen von Fake News genutzt wird. Eins der Beispiele, die er vorstellt, bezieht sich auf das Russische Zentrum für Wissenschaft und Kultur, das ähnlich wie Deutschlands Goethe-Institut agiert. Unter dem kurzen Namen ‘Russisches Haus‘ werden an verschiedenen Orten der Welt Kulturprogramm und Russisch-Sprachkurse angeboten. Eine Meldung der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti sorgte im Oktober für allgemeine Belustigung, denn die Formulierung suggerierte, in Finnland und Luxemburg kämen Leute in diese Russischen Häuser, um sich zu wärmen. Nach den Aussagen von Oleksandr Zamkovoi stellt sich Russland im eigenen Land mit dieser Geschichte als Helfer dar für die leidenden Westeuropäer*innen, die die Energiekrise zu überstehen hätten. Fun Fact: Zu dem Zeitpunkt herrschten sommerliche Temperaturen.
Einige fragen sich, weshalb im Berliner Russischen Haus in der Friedrichstraße Tickets verkauft werden können und ob solche Einnahmen aus dem Kulturbetrieb nicht eigentlich sanktionswidrig sind.
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Foto: Sven Wolter / Lizenz: Creative Commons BY-SA-3.0 de
Der Faktenchecker skizziert einen weiteren Fall, der für Aufsehen sorgte: Bei einer Schulung der Wiener Polizei durch den "Koordinationsrat der Organisation russische Landsleute" (KSORS). erhofften sich die Teilnehmer*innen umfassende Informationen über die Ukraine und wurden stattdessen über die Inexistenz des Landes “aufgeklärt”. Zudem warnte man sie vor den eingewanderten Nazis und legte ihnen nahe, die Ankömmlinge bloß genau zu überprüfen. Die groß angelegte Invasion in der Ukraine wurde von den “Expert*innen” als Präventivmaßnahme gegen die Bedrohung durch die NATO bezeichnet.
Als weitere Akteurinnen auf dem Feld der “soft power” nennt Oleksandr Zamkovoi die Bildungsorganisation „Russki Mir“ und die Russische Orthodoxe Kirche mit angedockten 400 Organisationen. Beide sind in verschiedenen Ländern Europas präsent und verbreiten das Weltbild des russischen Regimes. Er weist allerdings auch deutlich darauf hin, dass keineswegs alle Organisationen, die mit russischen Kultur- und Bildungseinrichtungen in Europa zusammenarbeiten, in einen Topf zu werfen seien und es glücklicherweise durchaus auch Unterstützung für die Ukraine gebe.
Erdachte Nachrichten verteilt von den Medien
Wenn es darum geht, was die Medien verbreiten, spielt es inzwischen eigentlich keine Rolle mehr, ob man sich die vier staatlich finanzierten Mediengruppen anschaut oder jene, die Privateigentümer gehören. Da letztere vom Staat kontrolliert werden, zeichnen sie sowieso dasselbe Bild. Kritische Berichterstattung ist ausschließlich über YouTube oder aus dem Exil möglich.
Die erdachten Nachrichten, die über die Medien transportiert werden, untermauern beispielsweise die Geschichte von der Ukraine als Nazi-Staat. Dabei berufen sich die Medienunternehmen auf Aussagen ehemaliger pro-russischer Parlamentsmitglieder der Ukraine, denn schließlich würden sie die Ukraine kennen und wüssten, was dort vor sich geht.
Ihre Hauptaufgabe ist es, Wut zu verbreiten, sie über die hitzige Diskussion aufrechtzuerhalten und das Publikum mit ihr zu füttern. Weil Propaganda ohne Emotionen einfach nicht funktioniert, erfinden sie Fake News. Oder sie versorgen ihr Publikum mit ungeheuerlichen Aussagen, wie beispielsweise: "Wir verbrennen die Verfassung und erobern die Ukraine" oder "Wir werden die Ukrainer töten". Vor 2022 hätte man das für Fake halten können. Aber jetzt ist das kein Fake. Mit solchen Aussagen arbeiten wir jeden Tag.
Die Rolle der Kriegsreporter*innen
Die „Journalist*innen“, die sich in den Kriegsgebieten tummeln, gehören laut Oleksandr Zamkovoi meistens zum Verteidigungsministerium oder zu den russischen Geheimdiensten, denn niemand von der russischen Seite der Frontlinie könne wirklich Zugang haben. Ihre Aufgabe ist es, Material zu finden, das zu den russischen Erzählungen passt. „Das Traurige an ihnen ist, dass sie auch Kriegsverbrechen begehen und dass sie sich nicht wie jemand verhalten, der wirklich über den Krieg aufgebracht ist. Ein Kriegsberichterstatter darf das Feuer des Krieges nicht mit seinen Reportagen anfachen. Man muss zumindest versuchen, den Konflikt zu beruhigen und das Leid beider Seiten zu zeigen. Das tun sie aber nicht.“
Oleksandr Zamkovoi beschreibt, wie einige Kriegsreporter*innen ihre eigenen Kriegsverbrechen selbst aufdecken, weil sie nicht geschickt genug vorgehen. Die Informationen, die sie für die russische Propaganda erzeugen, können dann ein großartiges Beweisstück für Faktenchecker*innen und investigative Journalist*innen sein, die anhand der Bilder verstehen, was wirklich passiert ist.
Beim Raketenangriff der Russischen Föderation auf den Bahnhof von Kramatorsk wurde von russischer Seite die Information veröffentlicht, dass diese Raketen viele ukrainische Soldaten getötet hätten. Fast 30 Minuten später kamen vom Ort des Angriffs die ersten Bilder. Es waren lauter Zivilisten auf diesem Bahnhof getötet worden und kein einziger ukrainischer Soldat. Daraufhin begann man auf russischer Seite, die eigenen Nachrichten zu löschen. Aber natürlich waren sie bereits von uns und anderen per Screenshot festgehalten worden. Und damit lag auf der Hand, dass dies ein geplanter Angriff Russlands war.
Wie Russland aus dem Ausland unterstützt wird
Oleksandr Zamkovoi spricht von beinahe 300 Marionetten-Organisationen, die Verbindungen zu Russland haben, und fast 700 Politiker*innen, die Russland mit ihren Aussagen in die Hände gespielt haben. Man führe sich vor Augen, dass Russland seit 2014 über 300 Millionen US-Dollar für die Beeinflussung von Wahlen im Ausland ausgegeben hat. Das könnte seiner Meinung nach „eine sehr gute Erklärung dafür sein, warum so viele Politiker*innen in Europa Russland in den letzten acht Jahren in besonderer Weise unterstützt haben.“
Als eins der Kreml-unterstützenden Mitglieder im Europäischen Parlament nennt er die Lettin Tatiana Zdanek, die nicht nur darauf dringt, dass die Wirkung der antirussischen Sanktionen besser berechnet wird, sondern auch russische Propaganda-Narrative reproduziert, indem sie die Ukraine als gescheiterten Staat voller Nazis darstellt. Es herrsche Terror, unter dem die russischsprachigen Bürger in der Ukraine litten und Russland stelle die Gerechtigkeit wieder her.
Die Alternative für Deutschland bezeichnet Oleksandr Zamkovoi als „eine der größten prorussischen Parteien in der Europäischen Union“. Von den Parteien und Politiker*innen abgesehen, gibt es aber auch andere Akteur*innen außerhalb Russlands, die Propaganda unterstützen. Der Anti-Spiegel in Deutschland ist zum Beispiel ein Blog für freiberufliche Journalist*innen, auf dem eine Menge falscher Nachrichten über die Ukraine, Fake News über die Politik der USA und der Europäischen Union und eine Menge Verschwörungstheorien veröffentlicht werden. Es gibt in ganz Europa diverse Institute und Think Tanks, die für den Kreml arbeiten, indem sie Falschinformationen, Berichte und gefälschte Umfragen produzieren. All das, was da veröffentlicht wird, wird wiederum in ganz Europa von verschiedenen Medien reproduziert.
Influencer, soziale Medien, Trolle & Bots
Oleksandr Zamkovoi stellte eine Reihe von Influencern vor, die von StopFake entlarvt wurden. „Einer von ihnen, der Franzose Adrien Bouquet, behauptete, er sei in Butcha gewesen und habe die Kriegsverbrechen der ukrainischen Nazis gesehen. Ich habe bewiesen, dass er nicht in Butcha war und dass die einzige Stadt, die er besucht hat, Lviv war. Er hat es nie geschafft, nach Butcha zu gehen, weil es in diesem Zeitraum einfach unmöglich war.“
Wie wir schon in dem Artikel über die Veränderungen der Medienlandschaft seit dem 24.2.2022 gelesen haben, informiert sich der größere Teil der Ukrainer*innen über Soziale Medien. Der favorisierte Kanal ist dabei Telegram. Auch pro-russische Inhalte werden konsumiert, wenn auch vor allem mit dem Ziel, über die Gegenseite informiert zu sein.
Die großen russischen Telegrammkanäle schossen in den besetzten ukrainischen Gebieten seit Februar wie Pilze aus dem Boden.
Als sie mit ihrem Militär einmarschierten, begannen sie sofort mit der Informationsintervention und schufen eine Vielzahl von Telegrammkanälen in den Gebieten. Sie waren präsent
Die meisten von ihnen sind jetzt geschlossen und arbeiten nur noch in den Gebieten, die noch von Russland besetzt sind.
Mit den pro-russischen Inhalten, den Trolle und Bots auch auf ukrainischen Social-Media-Seiten teilen, in dem z.B. die Verluste der ukrainischen Armee thematisiert werden, Nachrichten über Geflüchtete oder Raketendrohungen geteilt werden, wird versucht die Ukrainer zu demoralisieren und zu verwirren.
Oleksandr Zamkovoi erinnert an den Raketenvorfall auf polnischem Territorium. Auf den pro-russischen Telegrammgruppen gab es sofort lauter Erklärungen dazu, was tatsächlich geschehen sei, als die Rakete auf polnischem Gebiet einschlug. Sie begannen von Anfang an, das Publikum mit unterschiedlichen Versionen der Ereignisse zu füttern. Das macht eins der Hauptziele russischer Propaganda greifbar: Die Wahrheit soll vernebelt und vernichtet werden, damit die Menschen nicht wissen, woran sie glauben sollen.
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Die Faktchecking-Seite StopFake.org existiert seit 2014 und hat inzwischen mehr als 6000 Fälschungen in 14 Sprachen aufgedeckt. StopFake ist Metas Third-Party-Fact-Checking-Partner, d.h. wenn StopFake auf Instagram oder Facebook Fälschungen entlarvt, werden diese mit dem fehlenden Kontext oder einer Fehlinformation oder einer Fake-News-Markierung angezeigt. StopFake ist außerdem zertifiziert vom Poynter Institute in den Vereinigten Staaten.
StopFake wird weder finanziell noch anderweitig von einer offiziellen ukrainischen Organisation oder Regierungsstelle unterstützt. Die Medienfachleute arbeiten auf Freiwilligenbasis und werden durch Crowdfunding und Spenden der Leser*innen unterstützt. Gefördert wurde das Projekt von der International Renaissance Foundation, dem Außenministerium der Tschechischen Republik, der Botschaft des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland in der Ukraine und der Stiftung Sigrid Rausing Trust.
Das Projekt untersucht und analysiert alle Aspekte der Kreml-Propaganda. Dabei geht es nicht nur darum, wie Propaganda die Ukraine beeinflusst, sondern auch, wie sie außerhalb wirkt, sowohl in den Ländern der Europäischen Union als auch in den ehemaligen Sowjetgebieten.
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Für alle, die auf dem Laufenden bleiben wollen über russische Desinformation, stellt der TV-Sender Arte die internationale, wöchentlich erscheinende Ausgabe des Formates "Fake News" – Propaganda leicht entlarvt des russischen Kreml-kritischen Senders Doschd TV bereit.
REALIES – Strong civil society for a healthy information ecology. wird vom Auswärtigen Amt gefördert.
Die im Text zusammengefassten Informationen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung des Auswärtigen Amtes und des betterplace lab wider.