Wie hat sich die ukrainische Medienlandschaft nach dem 24. Februar verändert?

Russlands großangelegter Einmarsch in die Ukraine hat nicht nur die staatlichen Grenzen, sondern auch die Informationsgrenzen des Landes verletzt und die nationale Medienlandschaft mittels Propagandawaffen durchlöchert. Die ukrainischen Medien, die in den letzten Jahrzehnten mit diversen Herausforderungen konfrontiert waren, sahen sich neuen Bedingungen und Anforderungen gegenüber.

Auf Grundlage der Recherchen der vergangenen Jahre und letzten Monate haben wir versucht, die Trends und Veränderungen auf dem Medienmarkt zu untersuchen.

Historischer Kontext zur Entwicklung der ukrainischen Massenmedien

Betrachtet man die Geschichte der Medienentwicklung in der Ukraine, insbesondere in den letzten Jahrzehnten, ist eine grundlegende Tendenz zu erkennen: Die Massenmedien stehen unter ständigem politischem Einfluss, der je nach Politik der Regierungspartei und Partnerschaftsabkommen mit anderen Ländern variiert – auch der Einfluss des Kremls ist stark.

Auch nach der Erklärung der Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Ukraine griff das russische Nachbarland regelmäßig in die staatliche Autonomie ein und versuchte, seine Sichtweise sowohl indirekt als auch direkt zu diktieren, indem es den Zugang zu einflussreichen ukrainischen Massenmedien nutzte.

Eines der ersten öffentlichkeitswirksamen Ereignisse, das sich zu einer Art Zusammenprall zwischen pro-ukrainischen und pro-russischen Eliten entwickelte, war die Orangene Revolution von 2004, die durch massiven Betrug bei den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine ausgelöst wurde. Einschüchterung von Wählern und Betrug – all dies empörte die ukrainische Bevölkerung so stark, dass es schließlich zu großen Protesten kam.

Es wird angenommen, dass die Revolution von 2004 die erste war, die im Internet stattfand. Während die meisten Fernsehsender den pro-russischen Kandidaten unterstützten, waren durch Internetquellen Berichte über die Ereignisse ohne Zensur verfügbar.

Im Laufe der vergangenen Jahre haben sich die Online-Medien weiterentwickelt und in der Bevölkerung immer mehr an Beliebtheit und Einfluss gewonnen. Gleichzeitig wurde das Internet durch technologische Fortschritte für die breite Masse in allen Regionen des Landes zugänglich. Geschichte wiederholt sich, allerdings mit anderen Helden.

In den Jahren 2013 und 2014 erlebte die Ukraine eine schwierige Phase in der Geschichte der Unabhängigkeit. Die Revolution der Würde (oder: die Maidan Revolution) begann mit einem Facebook-Post, in dem es darum ging, dass der amtierende Präsident Viktor Janukowitsch sich weigerte, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen. Die ersten darauf folgenden Proteste verliefen friedlich und hielten drei Monate lang an. Als dann im Februar 2014 das erste Blut vergossen wurde, änderte sich alles grundlegend.

Gewaltsame Maßnahmen der Regierung führten zum Tod von 100 Bürgern, Dutzende wurden verletzt. Präsident Viktor Janukowitsch floh aus dem Land. Dies führte zu einem beschleunigten Prozess der EU-Integration sowie zu internen Reformen, auch im Bereich der Medien. Russland weigerte sich jedoch, den damit verbundenen Machtverlust zu akzeptieren, und setzte seine illegalen Aktionen auf dem Territorium der Ukraine fort, was zu gefährlichen Konfrontationen in den östlichen und südlichen Regionen führte.

Im März 2014 wurde die Krim annektiert. Die Proteste in den Regionen Luhansk und Donezk eskalierten später zu einem bewaffneten Konflikt und Russlands militärischen Feldzug gegen die Ukraine. Neben diesen illegalen Befehlen griff der russische Präsident die Ukraine auch weiterhin im Medienbereich an.

Pro-russische und vom Kreml unterstützte Fernsehsender, Zeitungen, Radiosender und Websites verbreiten seit Jahren anti-ukrainische Botschaften, verstoßen dabei aber offiziell nicht gegen Gesetze und respektieren die Medienfreiheit. Seit dem Einmarsch russischer Truppen auf der Krim im Februar 2014 bis zu den Ereignissen im Februar 2022 wurde der Konflikt des Kremls mit der Ukraine weitgehend durch Informationskriegsführung aufgebaut und aufrechterhalten.

Um dem Einfluss Russlands im Informationssektor entgegenzuwirken, sperrte die ukrainische Regierung 2014 etwa 14 russische Fernsehsender. 2015 verbot der Oberste Rat die Ausstrahlung russischer Propaganda-Inhalte im ukrainischen Fernsehen. 2017 wurden die größten russischen sozialen Netzwerke und Internetdienste verboten, darunter VK und OK, Yandex, Mail.ru sowie die russischen Medienunternehmen RBC, Ren-TV, TNT, NTV Plus, Zvezda, Moscow 24 und Russia Today.

Im März 2021 verbot Präsident Selenskyj die Arbeit von acht pro-russischen Fernseh- und Medienunternehmen, darunter ZIK, NewsOne und 112 Ukraine. Nach Ansicht in- und ausländischer Expert*innen waren diese Medien anti-ukrainisch eingestellt. Die Befürworter*innen der Meinungsfreiheit kritisierten Selenskyj’s Vorgehen, doch die Ereignisse seit dem 24. Februar 2022 trugen dazu bei, dass jede*r die Richtigkeit des Handelns des Staatschefs erkannte.

Medienhintergrund vor der groß angelegten Invasion

Um zu verstehen, was sich nach dem 24. Februar 2022 genau geändert hat, lohnt es sich vor Augen zu halten, wie der Medienmarkt vorher aussah. Laut der USAID-Internews Media Consumption Survey, die im Jahr 2021 durchgeführt wurde, zeichnen sich folgende Trends ab:

  • Soziale Medien und Nachrichtenseiten haben das Fernsehen als Hauptnachrichtenquelle für Ukrainer*innen abgelöst, insbesondere bei den unter 35-Jährigen. Ukrainer*innen über 46 bevorzugen das Fernsehen.

  • Die Einschaltquoten der nationalen Fernseh- und Radiosender sind rückläufig.

  • Trotz der geringen Zahl wächst die Reichweite nationaler Printmedien, internationaler Websites und regionaler Radiosender.

  • Online-Nachrichtenseiten und Internet-Messenger werden auf lokaler Ebene in allen Regionen des Landes immer wichtiger.

  • Facebook, YouTube und Instagram sind die wichtigsten sozialen Netzwerke, während Telegram und Viber die führenden Messaging-Dienste sind, über die Nachrichten empfangen werden.

  • Die Medienkompetenz und die Fähigkeit der Ukrainer*innen, Desinformationen zu erkennen, nehmen zu, und ihr Vertrauen in die russischen Massenmedien ist gering.

Wie wir sehen können, hat die Ukraine den Weg des medialen Fortschritts und der Entwicklung unabhängiger, seriöser Medien eingeschlagen. Allerdings haben viele Sender immer noch politisch motivierte Eigentümer; gewissermaßen dominiert die Oligarchie den Informationsraum.

Generell ist zur Meinungsfreiheit zu sagen, dass Online-Medien mehr Freiheit genießen und weniger von den Interessen ihrer Inhaber abhängig sind, als dies beim Fernsehen, Radio und den Printmedien der Fall ist. In der Ukraine gibt es jedoch keine Rechtsvorschriften über die Transparenz von Online-Medien, was bedeutet, dass Nachrichten-Websites die Interessen ihrer Eigentümer fördern können, dies aber im Verborgenen tun.

Wie hat sich die ukrainischen Medienlandschaft im Jahr 2022 verändert?

Der russische Einmarsch in die Ukraine, der am 24. Februar 2022 begann, brachte Veränderungen in der Arbeit der ukrainischen Medien mit sich, deren Mitarbeiter*innen rund um die Uhr ohne freie Tage am Werk waren, um die Bürger*innen rechtzeitig mit allen notwendigen Informationen zu versorgen: von Luftalarm über mögliche Raketenangriffe bis hin zu Ereignissen an der Front. Wochenschauen, Digests und Nachrichtenmarathons sind während des Krieges zu festen Bestandteilen der neuen Medien geworden. Die Informationen wurden hauptsächlich über soziale Netzwerke verbreitet.

Laut einer von OPORA in Auftrag gegebenen KIIS-Studie, die im Juli 2022 durchgeführt wurde, sind Telegram, YouTube und Facebook die beliebtesten sozialen Netzwerke. Der Nachrichtenkonsum der Ukrainer*innen verteilt sich folgendermaßen: 41% entfallen auf Telegram, 37% auf YouTube, 12% auf Facebook und 6% auf Viber.

Von Beginn an wurde der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch im Informationsraum ausgetragen, da die ukrainischen Medien ständig gegen eine gewaltige Welle von Desinformationen ankämpfen mussten, die von russischen Propagandapublikationen, Politiker*innen und Meinungsführer*innen verbreitet wurden. Russische Informationsquellen erhielten die Aufmerksamkeit von 13 % der Ukrainer*innen, wobei 89 % davon als Begründung angaben, überprüfen zu wollen, wie die Informationen in der Informationslandschaft des Aggressorlandes präsentiert werden.

Die sozialen Medien erfüllen auch eine nützliche Funktion bei der Unterstützung der ukrainischen Armee. Spenden wurden und werden für alles gesammelt, was für das Militär und die vom Krieg Betroffenen notwendig ist. Eine der bekanntesten und meist diskutierten Spendenaktionen war die von der Serhiy Prytula Foundation organisierte Spendenaktion, die auf den Erwerb von Bajraktaren (Kampf- und Aufklärungsdrohnen) durch die Bevölkerung abzielte. Innerhalb weniger Tage spendeten die Ukrainer*innen Millionen Hrywnja.

Die ukrainischen Medien haben einen langen und schwierigen Entwicklungsweg hinter sich, der noch nicht abgeschlossen ist. Die Medienentwicklung ist nicht nur aufgrund des historischen Hintergrundes ein komplexes Thema, hinzu kommt eine schwierige Gegenwart, in der die Medienlandschaft unseres Landes jeden Tag neu gestaltet wird. Wie sich der Marathon an Veränderungen auswirkt, hängt weitgehend davon ab, wie die Massenmedien auf die Ereignisse reagieren werden und ob ihre Professionalität ausreicht, um sich an die Realitäten anzupassen und die Ukrainer*innen in eine Zukunft zu führen, in der Transparenz und wahrheitsgemäße Nachrichten an der Tagesordnung sind.

Dieser Blogpost ist ein Gastbeitrag von Yanina Shabanova, Kommunikationsleiterin von SocialBoost und 1991 Accelerator. In ukrainischer Sprache wurde der Text auf der Plattform SPEKA veröffentlicht.

REALIES – Strong civil society for a healthy information ecology. wird vom Auswärtigen Amt gefördert.

Der Text spiegelt die Meinung der Autorin wieder undnicht zwangsläufig die Meinung des Auswärtigen Amtes und des betterplace lab.

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