Wie Russland Desinformationen in der Ukraine verbreitet

Vor zwanzig Jahren war den meisten Ukrainern das Phänomen Desinformation nicht bewusst und sie überprüften Fakten, die sie über verschiedene Kommunikationskanäle erreichten, eher nicht. Dies lässt sich schlicht darauf zurückführen, dass es nicht genügend unabhängige, objektive Berichterstattung gab. Die Medien, von denen die meisten politisch voreingenommen waren, nutzten ihren Einfluss, um die gewünschten Botschaften zu verbreiten und die Bevölkerung zu verunsichern. Diese Desinformationswelle verlor ihre Wirkung nach der Revolution im Jahr 2004, als unabhängige Medien an den Start gingen, die wahrheitsgemäß informierten.

Kommunikationskrieg – Ein Blick in die Vergangenheit

Die Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine an der Informationsfront kann als Teil einer größeren Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen betrachtet werden. Das angreifende Land hat schon immer viel Geld in diese Konfrontation gesteckt, insbesondere in Desinformationskampagnen. So wurden nach Angaben der Denkfabrik Debunk EU im Jahr 2021 mehr als 1,5 Milliarden Dollar aus dem russischen Staatshaushalt für die Medien bereitgestellt.

Eines der Hauptthemen der russischen Propaganda in der Ukraine ist seit jeher die so genannte "Russki Mir"-Doktrin, nach der drei Kategorien der Weltbevölkerung als "Russen" gelten:

  • ethnische Russen, unabhängig von ihrem Wohnsitz

  • Russischsprachige Bevölkerung jeglicher Nationalität

  • Landsleute, die jemals auf dem Gebiet des Russischen Reiches, der UdSSR, gelebt haben, sowie deren Nachkommen

Dementsprechend propagiert Russland, dass russischsprachige Ukrainer Russen sind. Die Doktrin zielt auch darauf ab, die Territorien Russlands in die Grenzen der UdSSR zurückzuführen.

Mit dem fortwährenden Einsatz von Desinformationsmaßnahmen und Fälschungen versucht Russland, eine Illusion der früheren Größe zu schaffen und sich der Verantwortung für illegale Handlungen zu entziehen. Ein ziemlich prominentes Beispiel für das Erzeugen der Illusion von Russlands Bedeutung in der Ukraine waren die gefälschten Fotos vom Besuch des russischen Patriarchen in Charkiw im Jahr 2011, denen Laien hinzugefügt wurden, die den religiösen Propagandisten angeblich begrüßt hatten.

Auch im Zusammenhang mit dem Abschuss des Flugzeugs MH17 im Juli 2017 gab es eine starke Desinformationskampagne, bei der Russland eine breite Palette von Maßnahmen einsetzte, um seine Beteiligung an dem Verbrechen zu verschleiern. Am 20. Dezember 2017 betonten Vertreter des Geheimdienst- und Sicherheitsausschusses des britischen Parlaments, dass Russland einen massiven Informationskrieg führe und versuche, die ganze Welt davon zu überzeugen, dass es nicht für den Abschuss von MH17 verantwortlich sei.

Medieninstrumente zur Beeinflussung durch Desinformation

Die beliebtesten Kanäle, die russische Propagandisten zur Beeinflussung nutzen, sind Sputnik, RussiaToday, Ria Novosti, LifeNews. Dort werden unablässig Wellen der Desinformation ausgelöst, um zu versuchen, die Weltgemeinschaft von der Richtigkeit der Handlungen der russischen Führung zu überzeugen. Russland hat jahrelang seine Agenten in der Ukraine (Viktor Medwedtschuk, Jewhen Murajew usw.), die Eigentümer zahlreicher pro-russischer Medien waren, verdeckt unterstützt und finanziert: First Independent, 112, ZIK, NewsOne, Nash, Online-Ausgabe "strana.ua", "vesti.ua".

Darüber hinaus ist es Russland gelungen, westliche Medien wie BBC News, Reuters, AFP in seine Desinformationsaktivitäten einzubeziehen. Trotz der erklärten hohen Standards waren diese Medien nicht auf den Informationskrieg vorbereitet und verbreiteten lange Zeit russische Propaganda. Unterstützt wurden sie dabei von westlichen PR-Firmen, die die notwendigen russischen Narrative verbreiteten.

Desinformationskrieg im Jahr 2022

Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 hat die russische Desinformationskampagne ein noch nie dagewesenes Ausmaß angenommen, da das angreifende Land nun fast täglich neue Erklärungen für seine illegalen Aktionen finden muss.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass die russischen Propagandisten nicht nur für die westliche Welt, sondern auch für die Russen selbst eine andere Realität erfinden müssen, um die Verluste beim Militär, die drastische Änderung der Haltung der meisten Länder gegenüber Russland und die massive Blockierung ihrer Aktivitäten zu rechtfertigen.

Die Tatsache, dass ein gefälschter Entwurf des Staatshaushalts in den besetzten Gebieten verteilt wurde, wo russische Propagandisten illegale Volksabstimmungen vortäuschten, wurde öffentlich. In dem gefälschten Staatshaushalt wurde behauptet, dass den besetzten Gebieten für 2023 keine staatlichen Mittel zur Verfügung gestellt würden. Die Russen versuchten auch, die Einwohner davon zu überzeugen, dass die Ukraine alle, die in den besetzten Städten blieben, als "Verräter" einstufen und in der Folge wegen Kollaboration bestrafen würde.

Propagandisten versuchten wiederholt, die Öffentlichkeit mit falschen Tatsachen über die Lage an der Front, insbesondere über die Befreiung der ukrainischen Gebiete, zu informieren. So behaupteten kremlnahe Medien, CNN-Journalisten hätten die Aussage Kiews über die Einkreisung der russischen Armee in Liman durch ukrainische Truppen dementiert. Nach russischen Angaben war es nicht die ukrainische Armee, die das russische Militär verdrängte, sondern sie hätten beschlossen, sich auf wesentlich "günstigere Positionen" zurückzuziehen. So haben die Russen ihre Niederlage erklärt.

Auch die Explosionen auf der Krim-Brücke wurden zum Ziel von Desinformationsattacken. Die Russen verbreiteten die These, dass der teilweise Einsturz der Brücke Russland einen Grund für den Beginn eines großen Krieges gegen die Ukraine geben würde. Auf diese Weise versuchten die Propagandisten, die Weltgemeinschaft falsch zu informieren und die Ukraine als einen Staat darzustellen, der Terror gegen Russland und russische Infrastruktureinrichtungen verübt. Was die Russen dabei nicht berücksichtigten: Es handelte sich um einen Zwischenfall auf einer illegal errichteten Brücke in den Hoheitsgewässern der Ukraine, die 2014 von Russland besetzt wurden.

Konfrontation der ukrainischen Medien

Desinformation ist eine mächtige Waffe, die Russland ständig und zielgerichtet einsetzt. Um an dieser Front Widerstand zu leisten und zu gewinnen, sollte die Ukraine in erster Linie über Personal und Strukturen verfügen, die für die Informationskontrolle zuständig sind. Insbesondere ein Informations-Ombudsmann, der den Informationsraum überwacht, Informationen überprüft und Fälle von Desinformation prüft. Außerdem braucht es eine funktionierende unabhängige Organisation, die von Journalisten auf der Grundlage des Gesetzes gegründet wird und die für die Einhaltung der ethischen Standards der journalistischen Tätigkeit verantwortlich ist.

Zu den Organisationen, die derzeit in der Ukraine tätig sind und sich mit Fragen der Desinformation und der Qualität der Medienarbeit befassen, gehören das Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation, das Zentrum für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und das Institut für Masseninformation. Eines der neuesten thematischen Projekte ist REALIES, das von betterplace lab zusammen mit 1991 Accelerator entwickelt wurde. Es zielt darauf ab, Vertreter der ukrainischen Zivilgesellschaft zu unterstützen, die gegen Desinformation vorgehen.

Die Ukraine hat noch einen weiten Weg vor sich, um auf staatlicher Ebene den notwendigen Schutz im Informationsbereich zu schaffen, der dauerhaft funktioniert und die Existenz von Desinformation produzierenden Medien weitgehend unmöglich macht. Wir können jedoch schon jetzt stolz sein, denn in den letzten Monaten haben die ukrainischen Bürger selbst genauso wie zahlreiche Medien großes Bewusstsein dafür gezeigt und sich für das Land eingesetzt, indem sie eine starke Informationsfront aufgebaut haben.

Dieser Blogpost ist ein Gastbeitrag von Yanina Shabanova, Kommunikationsleiterin von SocialBoost und 1991 Accelerator. In ukrainischer Sprache wurde der Text auf der Plattform SPEKA veröffentlicht.

REALIES – Strong civil society for a healthy information ecology. wird vom Auswärtigen Amt gefördert.

Der Text spiegelt die Meinung der Autorin wieder undnicht zwangsläufig die Meinung des Auswärtigen Amtes und des betterplace lab.

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe