Wie Kollaboration gelingt

Man stelle sich mal vor, es gäbe Krisen, Kriege, Katastrophen und keine*r würde dafür sorgen, dass Mensch, Tier und Umwelt geholfen wird. Nicht auszumalen! Herausfordernde Situationen gibt es zurzeit (und eigentlich immer) viel zu viele. Wer sich hauptberuflich und/oder ehrenamtlich engagiert, braucht zum einen innere Stabilität und zum anderen Kompetenzen, um gut mit anderen Menschen zusammenwirken zu können. Dafür gibt es seit 2020 das Programm betterplace co:lab. Die ersten beiden Jahre Programmarbeit in der Pilotphase liegen hinter uns. Wir schauen zurück auf 56 gut besuchte Basisworkshops und acht Themencluster.

Basisworkshop, Kollaborationsprozess, Themencluster – Was steckt dahinter?

Das Programm betterplace co:lab bestand in den letzten beiden Jahren aus zwei Komponenten: einer fünfteiligen Workshop-Reihe und acht sogenannten Themenclustern.

Die Module der Workshop-Reihe konnten von haupt- und ehrenamtlichen Engagierten einzeln gebucht werden. Die Teilnehmer*innen wurden darin trainiert, ihre Grenzen wahrzunehmen und zu kommunizieren sowie ihre Rolle in der Zusammenarbeit mit anderen zu reflektieren. Die Workshops setzten sich zusammen aus Impulsen von den Trainer*innern, Reflexionsübungen in Kleingruppen und Elementen der Körperarbeit.

In den Themenclustern fanden sich Organisationen zusammen, um in ihrem gemeinsamen Themenfeld einen großen Schritt vorwärts zu kommen. Sie besuchten die Basis-Workshops und wurden parallel von unseren Coaches dabei begleitet, in die kollaborative Zusammenarbeit zu finden. Ausführlichere Informationen dazu findet ihr hier.

Auf welcher Grundlage werten wir die Programmarbeit aus?

An den Workshops der fünfteiligen Reihe nahmen während der zweijährigen Pilotphase 645 Personen teil – einige besuchten ausschließlich die Workshops, um sich persönlich weiterzubilden, für andere war die Workshopreihe Bestandteil ihres Kollaborationsprozesses in den Themenclustern. Nach jedem der Workshops gaben wir Fragebögen aus, die von einer großen Mehrheit der Teilnehmer*innen ausgefüllt wurden. Die Antworten dienten zum einen dazu, die Module direkt anpassen zu können. Zum anderen ziehen wir nun nach zwei Jahren Programmarbeit Bilanz und bauen unsere zukünftige Arbeit auf den Erkenntnissen auf.

Neben den Fragebögen haben wir Fokusgruppen-Interviews geführt, an denen Personen aus den Themenclustern beteiligt waren. Außerdem fließen in unsere Evaluierung die Beobachtungen der Trainer*inner ein.

Eine Zwischenauswertung haben wir schon nach dem ersten Jahr vorgenommen. Im Folgenden zeichnen wir das Bild nach, das sich aus der Auswertung der gesamten Pilotphase von 2021/22 ergibt.

Wie wurde das Programm angenommen? Von wem und warum?

Zukunftsthemen liegen in den Händen der Frauen: Wenn wir uns anschauen, wer sich von unserem Programm angesprochen fühlte, fällt auf, dass es vor allem Personen sind, die sich als weiblich identifizieren. Nach der ersten Auswertung haben sich die Zahlen nur bei der Zuordnung divers leicht verändert: von 1 Prozent auf 2 Prozent. In beiden Auswertungen gaben 76 Prozent an, weiblich zu sein und 22 Prozent männlich.

Wie sich die Altersstruktur von der Auswertung 2021 zur Auswertung 2022 verändert hat, ist in den beiden folgenden Grafiken zu sehen. Wir haben aufgrund der ersten Evaluierung die besonders große Gruppe der 30-40 bei der zweiten Erhebung in kleineren Abstufungen abgefragt. Uns erreichte zu dieser Frage der berechtigte Einwand, dass es als diskriminierend empfunden werden kann, alle, die ein Alter jenseits der 50 erreicht haben, in einer Gruppe zusammenzufassen. Bei weiteren Erhebungen werden wir das berücksichtigen.

Besonders großen Anklang fand das Programm bei Menschen, die in Vereinen aktiv sind (36 Prozent), gefolgt von Angestellten in gemeinnützigen Unternehmen (18 Prozent) und Freiberufler*innen (17 Prozent). Jeweils 10 Prozent der Teilnehmenden kamen aus profitorientierten Unternehmen und Netzwerken, 7% gaben an, nicht organisiert zu sein und 3 Prozent gehörten Genossenschaften an.

Stellen wir heraus, welche Rollen die Befragten jeweils in ihren Organisationen übernehmen, waren das vor allem Leiter*innen (34 Prozent) und Mitarbeiter*innen (29 Prozent) in Programm- und Projektarbeit, gefolgt von Menschen in Führungspositionen (16 Prozent) und Freelancernn (15 Prozent). 2 Prozent gaben an, administrative Aufgaben zu erfüllen. Die restlichen 5 Prozent konnten sich keiner der vorgeschlagenen Kategorien zuordnen.

74 Prozent der Teilnehmer*innen nannten als Grundmotivation für ihr Interesse an Kollaboration ihre Beteiligung an gesellschaftlichen Herausforderungen. 63 Prozent trieb die Neugier auf neue Leute und andere Organisationen an, das kostenfreie Workshop-Angebot zu nutzen. 48 Prozent gabe als Grund für die Teilnahme die Komplexität gesellschaftlicher Herausforderungen an.

Ich möchte an den Workshops teilnehmen, weil ich weiß, dass es wichtig ist, mit Menschen gemeinsam Räume zu gestalten, um gesellschaftlich Dinge voran zu bringen.
Workshop-Teilnehmer*in (anonym)

Was stresst die engagierte Zivilgesellschaft?

Hilfe, ich sehe kein Land mehr! Wer kennt dieses Gefühl nicht angesichts der Komplexität gesellschaftlicher Herausforderungen. In den Fragebögen wurde das als stärkster Stressfaktor bezeichnet. Ein Fünftel der Befragten belastet die unsichere Finanzierung. 16 Prozent der Antwortenden würde es gut tun, Planungssicherheit zu haben. 13 Prozent gaben an, dass der hohe Leidensdruck, unter dem die Zielgruppe der Engagierten steht, sie über die Maßen strapaziert. Niemand führte Streß auf Diskriminierungserfahrungen aufgrund des eigenen Engagements zurück.

Das bedeutet nicht, dass die Teilnehmer*innen keine Diskriminierungserfahrungen gemacht hätten. 66 Prozent der Befragten gaben an, dass sie in ihrem Alltag Diskriminierungserfahrung aufgrund der Zugehörigkeit oder Zuschreibung zu einer bestimmten sozialen Gruppe erleben. Schauen wir uns an, welche Formen der Diskriminierung genannt wurden, sieht das Ergebnis folgendermaßen aus.

Haupt- und ehrenamtliche Engagierte sind durchaus von Diskriminierungsformen betroffen, die von den Teilnehmer*innen nicht genannt wurden. Daraus können wir schließen, dass ein großer Teil von unserem Programm nicht erfahren hat oder sich nicht davon angesprochen fühlte. Bei der Weiterentwicklung des Programms setzen wir den Fokus darauf, Grundlagen dafür zu schaffen, dass eine breitere Zielgruppe partizipieren kann. Dazu gehören auch Menschen mit Mehrfachbelastungen. Außerdem wäre es wünschenswert, wenn das Workshopangebot mehr Männer erreichen würde, nicht zuletzt um patriarchale Strukturen abzubauen.

Wie schlägt sich der Stress bei den Personen nieder?

Bei einem Viertel derer, die angaben, sich gestresst zu fühlen, wirkt sich das in Form von Niedergeschlagenheit aus. 21 Prozent beobachten Gereiztheit und Agressionen an sich. 15 Prozent führen körperliche Schmerzen auf den Stress zurück. 13 Prozent haben Schlafstörungen.

Wie kamen die Workshops an?

Total schöner Raum, um wirklich anzukommen und sich zu öffnen. Total schöner Vertrauensraum, obwohl wir uns nicht kennen. Tolle Fragen. Mir hat gut gefallen, dass es nicht zu viel, aber sehr entscheidender Input war, zentrale Themen direkt deutlich wurden. Toller Mix aus Breakout Sessions und Sharing in der großen Gruppe. Tolle Workshopleitung.
Workshop-Teilnehmer*in (anonym)

Alles toll! Viel gutes Feedback haben wir dazu eingesammelt. Wenn wir die Teilnehmer*innen fragten, was ihnen besonders gut gefallen hat, wurden besonders häufig genannt:

  • hoher Anteil an persönlichem Austausch

  • Zusammenspiel von Input, Austausch und Reflexion

  • Offenheit, vertrauliche Atmosphäre

  • inspirierende Moderation

Die Teilnehmenden bewerteten die Workshops mit einer Durchschnittsnote von 4,1. Die Note 1 entspricht hierbei schlecht, 5 steht für hervorragend. 35 Prozent der Bewertenden empfanden die Workshops als hervorragend, 44 Prozent als sehr gut und 19 Prozent als gut. Nur 2 Prozent bewerteten die Workshops als mittelmäßig.

Was haben die Leute aus den Workshops mitgenommen?

Die Unterscheidung von mental, emotional und körperlich hat bei mir viele Denkprozesse ausgelöst und ich versuche, keine der drei Ebenen zu vernachlässigen.
Workshop-Teilnehmer*in (anonym)

70 Prozent der Teilnehmenden gaben an, die vermittelten Inhalte zu verstehen. Auf die Frage, wie häufig die Teilnehmenden die Inhalte aus den Workshops im Alltag anwenden, beantworteten 13 Prozent diese Frage mit häufig, 65 Prozent mit öfter. 20 Prozent nutzen ab und zu Wissen, das sie sich innerhalb des betterplace co:lab Programms angeeignet haben.

Einige Personen beschreiben, dass sie Erlerntes für sich persönlich nutzen und oft auch im privaten Rahmen anwenden können.

Im Austausch mit anderen Menschen werden mir immer wieder Themen aus den Workshops bewusst.
Workshop-Teilnehmer*in (anonym)
In Konflikten mit meinem Partner schaue ich heute viel stärker darauf, ob er mir mental, emotional oder körperlich antwortet, um einen besseren Zugang zu seinem Erleben zu haben.
Workshop-Teilnehmer*in (anonym)
Im Alltag gibt es für mich immer wieder Situationen oder Gespräche, wo ich Themen aus dem Workshop z.B. das Gleichgewicht zwischen belonging und becoming oder die Art meines Wirkens reflektiere.
Workshop-Teilnehmer*in (anonym)

Nicht jede*r würde von sich behaupten, direkt neue Skills einsetzen zu können.

Ich habe es im Hinterkopf, aber finde es schwer, das jetzt auf eine konkrete Situation zu beziehen. Ich denke, es geht für mich mehr um eine generelle innere Haltung.
Workshop-Teilnehmer*in (anonym)

Bei einigen wirken sich eine veränderte Haltung oder angeeignete (Re-)aktionen auf Teams aus, mit denen sie zusammenarbeiten.

Wir haben mit unserem Team teilgenommen und die Workshops gaben Vielem, was in unserem Team passiert ist, einen Namen. Wir haben eine andere Perspektive auf vieles erhalten. Und die Workshops haben uns Hinweise darauf gegeben, was vielleicht noch als Team auf uns zukommt und wie wir darauf reagieren können.
Workshop-Teilnehmer*in (anonym)
Ich habe einen Workshop zur Teamentwicklung und Strategie gehalten und dabei die "Legende 8" eingeführt. Es hat sehr viele Emotionen gelöst und positiv zum Fortbestand und zur Entwicklung der Gruppe beigetragen. Meine Arbeit wurde sehr geschätzt.
Workshop-Teilnehmer*in (anonym)

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die große Mehrheit der Teilnehmenden sowohl eine kurzfristige Veränderung ihres Wellbeing als auch in der Kollaboration beschreiben. Langfristige Veränderungen des Bewusstseins und der Fähigkeiten beschreiben ebenfalls einige Teilnehmenden. Eine Veränderung der Lebenslage ist auf Basis der Daten nicht nachvollziehbar.

Wer mehr aus erster Hand über die Workshops wissen möchte, findet hier einige Erfahrungsberichte von Teilnehmer*innen.

Was ist in den Themenclustern passiert?

Wir begleiteten acht organisationsübergreifende Gruppen (sogenannte Themencluster). Durch Prozesscoachings und regelmäßige Arbeitssessions unterstützten wir sie bei der Bearbeitung eines gesellschaftlichen Zukunftsthemas. Über einige Clusterprozesse wurden Berichte verfasst, die hier in einer Übersicht zu finden sind.

Der Ablauf eines Clusterprozesses ist in der folgenden Grafik dargestellt.

Wie haben sich die Clusterprozesse ausgewirkt?

In Fokusgruppeninterviews erfragten wir, was aus den Workshops und Coachings Einfluss auf die einzelnen Personen und die Cluster-Gruppen hatte. Zwischen dem ersten und dem zweiten Fokusgruppeninterview lagen sechs Monate. Der Gedanke dabei war, zu untersuchen, was von dem Erlernten frisch nach dem Prozess angewendet werden konnte und was sich davon ein halbes Jahr später bewährt bzw. gefestigt hatte.

In den Interviews äußern sich die Teilnehmer*innen zu dem Erlebten. Es wird darüber gesprochen, dass sich die Übungen grundsätzlich positiv auf den Selbstkontakt ausgewirkt haben und die Beziehungsebene gestärkt werden konnte, was beides wichtige Voraussetzungen für gelingende Kollaboration sind. Was man über alle Prozesse sagen kann, ist, dass es auf dem Weg in eine gelingende Kollaboration Barrieren zu überwinden gilt.

Ich konnte mehr Distanz zwischen das Kollaborationsprojekt (unser Clusterprojekt) und meine Person bringen. Anfangs habe ich die Verantwortung für das Gelingen rein bei mir gesehen, da ich es angestoßen habe. Nun bin ich ein Puzzleteil von mehreren, die ineinandergreifen, sich einbringen und die Dinge vorantreiben. Das nimmt einerseits die "Last" und hilft mir aber auch, die Ursprungsidee in einer anderen Offenheit weiterzuentwickeln.
Teilnehmer*in an einem Clusterprozess (anonym)

Es wurde deutlich, dass auch wenn die Teilnehmer*innen im Cluster gut in die Zusammenarbeit gefunden haben, die Einzelnen – zurück in den Teams ihrer Organisationen, die nicht an den Workshops und Coachings teilhatten – vor dem Problem standen, die gewonnenen Erkenntnisse und Kompetenzen nicht 1:1 weitergeben zu können. Sicher ist schon eine Menge gewonnen, wenn einzelne Teammitglieder mit einer veränderten Haltung agieren und ihr Wissen einbringen. Jedoch wäre es noch besser, wenn entweder ganze Teams an den Lernprozessen beteiligt wären oder sich der Transfer in die Teams besser vorbereiten ließe.

Die Clusterprozesse hatten unterschiedliche Dynamiken, was anhand der oben erwähnten Berichte deutlich wird. Das Ergebnis konnte ebenso gut die Erkenntnis sein, dass eine Kollaboration wegen zu großer Hürden unmöglich ist, wie dass eine Zusammenarbeit handfeste Früchte zu tragen vermochte.

Das Programm betterplace co:lab ist ein Projekt des betterplace lab und wurde von 2020-2022 durch Luminate und die Schöpflin Stiftung gefördert.

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe