Wer ist hier der Boss? Geschäftsführung und New Work

CEO in einer selbstorganisierten Unternehmung sein – ist das nicht ein Widerspruch in sich? Die Frage ist auf jeden Fall berechtigt. Solange allerdings die gesetzliche Lage keine Rechtsform für Unternehmen vorsieht, die ohne Geschäftsführung auskommt, müssen wir uns als selbstorganisierter Betrieb arrangieren. Wie wir damit umgegangen sind, seit das betterplace lab 2020 eine gGmbH wurde und wie die selbst aufgestellten Regeln in den letzten zwei Jahren funktioniert haben, darüber haben Franziska Schönberg und Katja Jäger gesprochen.

Wie sieht die Rolle der Geschäftsführerin im betterplace lab aus? Was unterscheidet sie von der in einem klassisch-hierarchischen Team?

Franziska: Wir haben uns mit der Frage lange beschäftigt, als wir den Verantwortungsbereich der Geschäftsführung im betterplace lab ausgestaltet haben. Vor der Gründung einigten wir uns darauf, dass die Geschäftsführung nach innen vor allem eine rein formaljuristische Funktion ausfüllen würde.. Dadurch erfüllt sie wiederum nach außen die vom Gesetzgeber vorgegebenen Richtlinien und Bestimmungen.

All die Schritte, die vollzogen werden müssen, bis die Funktion der Geschäftsführung zum Tragen kommt (meist in Form einer vertraglichen Vereinbarung), versuchen wir – soweit möglich – in den Projektteams zu gehen. Organisatorische Fragen klären und entscheiden wir in den jeweiligen Kreisen, in denen sich das betterplace lab aufgestellt hat.

In klassischen Unternehmen liegen Personalentscheidungen ebenso wie strategische, finanzielle und kaufmännische Entscheidungen bei der Geschäftsführung. Durch unser kompetenzbasiertes Modell werden solche Entscheidungen bereits im Team vorbereitet und getroffen.
Franziska Schönberg

Das heißt, Personalentscheidungen liegen bei der Teamüberblickerin* im Teamkreis*, strategische Entscheidungen versuchen wir weitestgehend im Strategiekreis* vorzubereiten und Projektentscheidungen liegen in den jeweiligen Projektteams.

Die Projektleitung trägt bei uns sehr viel Verantwortung. Das beginnt bei der Akquise bis hin zu einem erfolgreichen Projektdurchlauf und -abschluss. Es gibt aber den Punkt, an dem Verträge geprüft und Risiken eingeschätzt werden müssen. Diese Verantwortung obliegt der Geschäftsführung. Wir stehen der Projektleitung zur Seite, beraten sie und treffen dann gemeinsam eine Entscheidung.

Im Laufe der Zeit haben wir gemerkt, dass unsere theoretischen Vorstellungen im Vorfeld mit der Praxis nicht immer übereingestimmt haben. Aufgrund von Ressourcen- und Kapazitätenschonung sind Entscheidungen im Vertragsrecht dann doch öfter bei der Geschäftsführung gelandet

Die Geschäftsführung rotiert – Wie muss man sich das vorstellen?

Katja: Idealerweise übernehmen zwei Personen die Geschäftsführung und die damit einhergehende Verantwortung. Eine der beiden gibt die Position nach zwei Jahren weiter. Die andere, unsere Finanzexpertin, bleibt in der Position. Das soll sicherstellen, dass auch viele formaljuristische Dinge nicht alle zwei Jahre komplett bei neuen Personen landen.

Dadurch dass die zweite Rolle rotiert, kommen Personen mit unterschiedlichem Fokus in die Position: bei mir liegt dieser eher auf Netzwerk und Beziehungen zu anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, bei Franziska war es vor allem der nach innen gerichtete Teamüberblick.

Und doch kommt es oft anders als man denkt. Im Moment erleben wir, dass auch die Geschäftsführerin im Finanzbereich wechselt. Das ist herausfordernd.

Es ist nicht so, dass wir intern eine extra Kaderschmiede anlegen, sondern wir glauben generell daran, dass sich Potenzial entfaltet. Das ist bei uns nicht bloß eine Phrase. Das leben wir. Konkret bedeutet das, dass ich mir als Person neue Dinge suchen kann, an denen ich wachsen möchte. Und die dürfen auch außerhalb meiner Komfortzone liegen.

Ich bekomme dann jemanden an die Seite gestellt, entweder aus dem Team oder auch mal ein externes Coaching, um diese Rolle auszuführen. Dass es notwendig ist, mich weiterzubilden, um diese Rolle gut auszufüllen, ist klar. An der Lust an den Aufgaben zu wachsen, in die Verantwortung hineinzuwachsen, mangelt es im betterplace lab auf jeden Fall nicht.

Was motiviert dich, in die Rolle der Geschäftsführerin zu schlüpfen?

Katja: In den inzwischen fünf Jahren im betterplace lab konnte ich einige Stationen durchlaufen und verschiedene Rollen einnehmen. Ich bin damals frisch von der Uni im betterplace lab gelandet und habe zunächst in Projekten mitgearbeitet, die andere geleitet haben – in einem übrigens unter sehr guter Führung von Franziska.

Unser Modell funktioniert so, dass jede*r mal Projektleiter*in, mal Projektmitarbeiter*in sein kann. Ich fühlte mich im ersten Jahr in der Rolle der Projektmitarbeiterin gut und habe recht schnell Verantwortung übernommen. Dann habe ich größere Projekte aufgesetzt und geleitet, darin auch Teams angeleitet und konnte so in Verantwortungsbereiche hineinwachsen.

Das, was wir Kreisarbeit* nennen – unsere Art Managementaufgaben auf mehreren Schultern zu verteilen – durfte ich von Beginn an unterstützen. Im Strategiekreis* habe ich mich viel damit beschäftigt, wohin sich das betterplace lab entwickeln will, also mit welchen Themen wir uns beschäftigen. Auf dem gesamten Weg konnte ich viel von Kolleg*innen lernen und gleichzeitig direkt mit gestalten.

Schließlich habe ich die Rolle der Außenministerin übernommen. In dieser Rolle habe ich den Überblick darüber, womit sich die Teams beschäftigen, repräsentiere das betterplace lab im Außen und vertrete uns als Netzwerkorganisation, d.h. ich spreche mit Menschen darüber, wie wir gemeinsam mehr erreichen können. In dieser Rolle, die eine neue Verantwortungsebene mit sich brachte, habe ich mir unsere Unternehmung auf neue Weise erschlossen und dann gemerkt: Der nächste Schritt könnte die Geschäftsführung sein.

Was hast du für Erwartungen an diese Aufgabe?

Katja: Ich merke schon, dass dieser Titel etwas verändert. Als ich mein Profil auf LinkedIn anpasst habe, haben mich einige Leute beglückwünscht. Auch fremde Leute schrieben mich an, die in ähnlichen Positionen sind und dann auf einmal ganz wichtig fanden, mit mir verbunden zu sein. Das brachte mich zum Schmunzeln, weil ich gemerkt habe: Ach interessant, Status und Hierarchie sind auch in unserer Bubble tief verankert. Die Leute wissen ja nicht, dass ich vorher in meinen Rollen bereits einige Dinge mit hoher Relevanz für die Gesamtorganisation überblickt habe. Ich habe durch die Rolle der Geschäftsführerin keine komplett neuen Entscheidungsbefugnisse bekommen. Wir arbeiten weiterhin kompetenzbasiert. Es ist interessant zu sehen, dass das im Außen anders wahrgenommen wird.

Es ist mir ein Anliegen, deutlich zu machen, dass Geschäftsführung nicht die einzige Möglichkeit ist, wie man Führung leben und nach außen hin gestalten kann.
Katja Jäger

Welche Veränderung hat das Einsetzen einer Geschäftsführung im Team bewirkt?

Franziska: Durch die Übernahme der neuen Rolle haben sich Dynamiken im Team verändert, das ist natürlich nicht zu ignorieren. Als Geschäftsführerin liegt plötzlich sehr viel mehr Aufmerksamkeit des Teams auf deiner Rolle. Aus dem Team habe ich aber vor allem viel Wertschätzung wahrgenommen, diese Verantwortung und zusätzlichen Aufgaben für das Unternehmen tragen zu wollen. Vor allem, da die Aufgaben der Geschäftsführung in meinem Fall zusätzlich zu meiner Projektverantwortung und meiner Rolle als Teamüberblickerin* anfielen.

Auch über die Frage, wie sich Macht jetzt im Team verteilt, haben wir gesprochen. Über Wissen, das sich an einer Stelle in der Organisation neu aufbaut und mit der Zeit kumuliert. Wissensvorsprünge, die die Geschäftsführung gegenüber dem Team hat und die notwendig sind, um kompetente Entscheidungen treffen zu können.

Katja: Macht ist natürlich immer ein Thema. Interessanterweise ist es ganz oft negativ konnotiert. Wie wäre es, wenn wir eher von Ermächtigung sprechen würden? Sicher gibt es Menschen, die Machtpositionen ausnutzen und in einem Unternehmen vielleicht eher an die eigene Agenda und nicht an das große Ganze denken.

Ich habe das Gefühl, dass wir im betterplace lab sehr wirkungsgetrieben unterwegs sind. Jede von uns ist motiviert, Dinge in die Welt zu bringen, Dinge zu verändern und voranzutreiben. Und ich habe nicht das Gefühl, dass Menschen ihre eigene Agenda an die erste Stelle setzen.
Katja Jäger

Deshalb und weil wir auch einen guten Reflexionsprozess dazu pflegen, glaube ich tatsächlich nicht, dass Macht im Sinne von Machtmissbrauch für uns ein Thema ist im betterplace lab.

Franziska: Während Wera und ich die Geschäftsführung gemeinsam inne hatten, haben wir uns die Frage, wie genau das Einsetzen einer Geschäftsführung die Organisation verändert und wie wir zwischen Geschäftsführung und Projektleitung zusammenarbeiten, immer wieder aktiv gestellt. Und wir haben das auch immer ins Team gespielt. Wir haben Briefings durchgeführt, haben unsere Aufgaben und wie wir sie wahrgenommen haben, im Team Meeting reflektiert und das mit allen gemeinsam besprochen. Dabei sind wir auf die Themen Verantwortung und Macht eingegangen und ganz ehrlich damit umgegangen. So war es unser Anliegen, herauszufinden, wie man die Organisation zukünftig so aufbaut, dass sehr viel mehr Kompetenz oder Möglichkeitsraum bei der Projektleitung liegt.

Wir sind uns bewusst, dass sich Macht unterschiedlich im Team verteilt. Das versuchen wir immer im Sinne des Erfolgs der Unternehmung zu reflektieren.
Franziska Schönberg

* Teamüberblickerin, Strategiekreis – Du verstehst nur Bahnhof, wenn du die Bezeichnungen für unsere Rollen und Strukturen hörst? In unserer Verfassung beschreiben wir, wie wir uns organisieren. Eine gute Quelle, wenn du mehr über die Zusammenarbeit im betterplace lab erfahren möchtest, sind außerdem Joana Breidenbachs Bücher, Artikel und Vorträge, in denen sie immer wieder Bezug auf die Prozesse im betterplace lab nimmt.

Foto: RoseBox رز باکس | Unsplash

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