Hast du gewusst, dass 89% der Schüler*innen angeben, ihnen sei das Thema mentale Gesundheit wichtig oder sehr wichtig? Leider fühlen sich 76% der Schüler*innen aber nicht gut dabei unterstützt, sich um ihre mentale Gesundheit zu kümmern.
Darum waren Jugendliche im Alter von 14 bis 25 Jahren am 19. November eingeladen, das Thema selbst in die Hand zu nehmen – beim Kopfsachen Jugend-Kongress “Kopfsachen-Connect”. Den Initiator*innen des Events ging es darum, Jugendliche in den Austausch zu bringen, ihre Bedarfe hinsichtlich gesundheitsförderlicher Umfelder zu hören und gleichermaßen von ihnen zu lernen. Das Programm enthielt neben Workshops zu Themen wie Prüfungsangst, Diskriminierung und Klimaangst auch einen Markt der Möglichkeiten. Dort konnten die Jugendlichen mit Vertreter*innen von Organisationen wie der Bildungsinitiative mehr als lernen oder der Greenpeace Jugend sprechen. Zudem gab es kreative Erlebnisräume, in denen sich die jungen Menschen mit Themen wie “Selbstwert und Ängste”, “Mentale Gesundheit und Diskriminierung” oder auch “Prävention psychischer Erkrankung” auseinander setzen konnten.
Der Tag startete mit einem gemeinsamen Auftakt, den Shai Hoffmann moderierte und in denm sich Lisa Paus (MdB) kurz dazu schaltete. Pauline vom Happy Clappy Club führte anschließend in das Thema mentale Gesundheit ein und betonte gegenüber den etwa 80 Jugendlichen, dass jede*r von uns mit Krisen konfrontiert sei und es darum gehe, Strategien zu finden, um damit umzugehen.
![]()
Wellbeing am Lernort
Im Anschluss ging es in die erste Workshop-Phase, in der neben SHITSHOW – Agentur für psychische Gesundheit und den Psychologists 4 Future auch ich mit einem Workshop zum Thema “Wellbeing am Arbeits- und Lernort” dabei war. Als Pädagogin beschäftigt mich das Thema Schulentwicklung sehr, entsprechend ist es mir ein großes Anliegen, auch die Jugendlichen hinsichtlich ihres Wellbeings und damit einhergehenden Bedürfnissen zu hören.
In dem knapp 2-stündigen Workshop kamen 12 Teilnehmende mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Herausforderungen zusammen. Die Altersspanne lag zwischen 13 und 23 Jahren. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde stiegen wir mit einer kleinen Meditation zur Beruhigung des Nervensystems ein, ergänzt durch eine Visualisierung. Ich nahm die jungen Erwachsenen mit auf eine Reise zu einem typischen Montagmorgen und den damit verbundenen Emotionen: “Wie fühlt es sich für dich an, in deinem Bett zu liegen, aufzuwachen?” und “Wie fühlt es sich für dich an, vor der Tür des Ortes zu stehen, an dem du während der Woche die meiste Zeit verbringst?” Nach dem gemeinsamen Einstieg reflektierten die Schüler*innen und Student*innen über ihre Erfahrung mit Meditation und der erlebten Visualisierung. Viele von ihnen sagten, dass sie sich beruhigt fühlten. Eine Teilnehmerin meinte erstaunt:“Krass, wie sehr ich mir den Ort und das damit verbundene Gefühl gerade vorstellen konnte”.
Nach diesem Einstieg in den Workshop ging es darum, sich seine einzelnen Lebensbereiche und damit verbundene Gefühle anzuschauen und darüber zu reflektieren. Während des Austauschs in Dreiergruppen übten sich die Jugendlichen im aktiven Zuhören und merkten, wie gut es tut, in ihrem Erleben wirklich gehört und gespiegelt zu werden. Gleichzeitig bemerkten sie, dass ein Austausch über solch verletzliche Themen und Gefühle eine vertrauensvolle Atmosphäre benötigt. Beim Sammeln der Auslöser von Stress und Druck fiel auf, dass vor allem die Schule genannt wurde.
Schule als Stressor
Also schauten wir uns in der 2. Phase des Workshops das System Schule näher an. In Kleingruppen stellten sich die Teilnehmenden die Frage, was die Schule zu einem Ort machen würde, an dem sie sich wohlfühlen können.
Ich führte die Schüler*innen und Student*innen in das AQAL Modell nach Ken Wilber ein, mit dem wir auch im betterplace lab viel arbeiten. Dieses Modell bildet den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit und im Kontext seines Umfeldes ab. Neben den Aspekten, die wir im Außen individuell und kollektiv wahrnehmen (Verhalten und Fähigkeiten sowie Prozesse und Strukturen), werden hier innere Aspekte (Werte und Haltungen als auch Kultur und Kommunikation) abgebildet. Um das Modell direkt anzuwenden, bat ich die Teilnehmenden ihre Bedürfnisse an ihren Lernort in die jeweiligen Quadranten des AQAL Modells einzuordnen.
![]()
Das AQAL-Modell (All Quadrants, All Levels) - Keks Ackermann CC BY-NC, basierend auf Ken Wilber
Während der gemeinsamen Besprechung im Anschluss fiel auf, dass die Teilnehmenden vor allem Bedarfe hinsichtlich der Fähigkeiten von Lehrer*innen hatten und sie gleichermaßen die Lernkultur adressierten, von der sie sich weniger Leistungsorientierung und stattdessen mehr Potenzialorientierung wünschten. Die jungen Menschen nannten im Zuge dessen auch die Future Skills - also Fähigkeiten wie Kollaboration, Resilienz oder Futures Literacy - die für ein Leben im 21. Jahrhundert entscheidend sind. Sie störten sich an der herkömmlichen Form des Unterrichts in Form reiner Wissensvermittlung. Die hohe Motivation der Schüler*innen, ihre Schule mit und anders zu gestalten, würde aber dahingehend von Lehrkräften häufig nicht gehört werden. Wirklich schade, denn die Jugendlichen sind absolut hörenswert – nicht nur in dem, was sie sagen, sondern auch wie sie es sagen. Sicher könnten Lehrkräfte im Rahmen gelingender Zusammenarbeit viel von den jungen Menschen lernen, denn sie zeigten sich – zumindest im Workshop – offen und verständnisvoll. Ebenso schuf der gemeinsam kreierte Raum Vertrauen, sodass sich die Jugendlichen trauten, sich verletzlich zu zeigen. Eben jene Räume wünschten sich die Teilnehmenden auch in der Schule und so landete der Punkt “Austauschräume” im gemeinsamen AQAL-Modell (Kultur und Kommunikation).
![]()
Mit einer abschließenden Dankbarkeitsmeditation beendeten wir den Workshop und gingen in die gemeinsame Mittagspause.
Es konkret machen und trotzdem das Feiern nicht vergessen
Nach dem Mittagessen ging es für die Jugendlichen dann weiter mit einer Fischbowl-Diskussion mit Vertreter*innen des Landesschüler*innen-Ausschusses Berlin und dem Grünen-Politiker Louis Krüger. Daran schloß sich eine zweite Workshopphase mit diversen Akteur*innen. Unter anderem waren das SV Bildungswerk und Campact am Start, die gemeinsam mit den Teilnehmenden Forderungen an die Politik stellten und überlegten, wie eine politische Kampagne gestaltet werden könnte. Den Abschluss des Tages bildeten ein Panel Gespräch mit dem Cast von “Sonne & Beton” sowie ein Konzert mit Brenda Blitz.
Mein persönliches Fazit: Ein wunderbares Event! Wir brauchen mehr Räume dieser Art - Räume, die Jugendliche in ihrer Ganzheitlichkeit einladen und in denen sie Motivation, Mut und Kraft für die Mitgestaltung der Gesellschaft schöpfen können.