Ein Blick in die Literatur unter dem Schlagwort „organisationale Resilienz“ macht deutlich: Im Fokus stehen bislang meist klassische Unternehmen (vgl. Hoffmann 2017). Entsprechend gilt als grundsätzliches Ziel, dass Organisationen als solche überleben, d. h. wirtschaftlich leistungsfähig bleiben. Für zivilgesellschaftliche Organisationen muss das nicht unbedingt gelten. Denn sie bestehen häufig nicht zum Selbstzweck, sondern sind grundsätzlich gemeinwohlorientiert. Oft widmen sie sich gesellschaftlichen Problemen oder wollen ein bestimmtes normatives Ziel erreichen. Etwas utopisch gedacht schaffen sie sich also bestenfalls selbst ab, wenn der gesellschaftliche Missstand behoben ist, dem sie etwas entgegensetzen wollen, oder wenn die Vision erreicht ist, nach der sie streben. Oder sie finden einen ganz neuen Zweck. Wirklich realistisch ist das allerdings nicht, denn viele gesellschaftliche Herausforderungen werden uns leider noch lange begleiten.
Auch deshalb ist und bleibt das Thema Resilienz für die Zivilgesellschaft relevant. Aber was genau meinen wir, wenn wir von der Resilienz zivilgesellschaftlicher Organisationen sprechen? Unsere allgemeine Resilienz-Definition haben wir bereits in einem früheren Blogpost vorgestellt; übertragen auf Organisationen arbeiten wir mit folgender Definition:
Organisationale Resilienz ist die erlernbare Fähigkeit einer Organisation, einen Umgang mit Krisen zu finden, um langfristig handlungsfähig zu bleiben.
Krisen verhindern ein Weiter-wie-bisher und erfordern eine aktive Anpassung an die Veränderungen. Das können Organisationen nicht gleich gut.
Nach unserem Verständnis ist Resilienz allerdings keine Eigenschaft, die eine Organisation hat oder nicht, sondern sie kann entwickelt, trainiert und gestärkt werden, um den selbstgewählten Organisationszweck – siehe oben – auch in sich veränderten und oftmals (zunächst) verschlechternden Bedingungen einer Krise weiterhin erfüllen zu können.
Dabei spielen verschiedene Elemente zusammen: Auf Grundlage ihrer jeweiligen Ressourcen auf den Ebenen der einzelnen Personen (individuell), deren Zusammenwirken (intersubjektiv) sowie der Organisation selbst (strukturell) ist sie im Stande, kontextspezifische Handlungsstrategien auszuwählen, um mit der jeweiligen Krise umzugehen.
Als Ressourcen verstehen wir dabei sowohl Greifbares, etwa finanzielle Puffer oder Notfallpläne, als auch psychologische und organisationskulturelle Aspekte. Darunter fallen zum Beispiel ein guter Informationsfluss in der Organisation oder ein stabiles Netzwerk zum Austausch mit anderen Organisaitonen.
Die Verfügbarkeit dieser Ressourcen schafft letztlich das Aktionspotenzial der Organisationen, um adäquat auf die jeweilige Krise reagieren (also sich im Moment oder vorausschauend anpassen) zu können.
Dabei ist jede Krise kontextabhängig zu bewerten. Jede Krise hat ihre spezifischen Implikationen mit ganz unterschiedlichen Einschränkungen, Verflechtungen und Handlungsoptionen. Die Corona-Krise hat andere Auswirkungen als der Klimawandel; ein Sportverein wurde durch Corona anders eingeschränkt als die Obdachlosenhilfe usw.
Die verfügbaren Handlungsstrategien, ob implizit oder explizit, eröffnen den Organisationen letztlich den Raum zur Anpassung auf die jeweilige Krise.
Dabei unterscheiden wir den Zeitpunkt der Anpassung: Eine resiliente Organisation ist in der Lage, von vergangenen Krisen zu lernen und zu heilen, aktuelle Krisen zu bewältigen und sich mit Blick auf zukünftige Krisen proaktiv zu transformieren.
Grundsätzlich trifft diese Definition auch auf klassische Unternehmen zu. Vergleichen wir diese mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, interessiert uns allerdings weniger, wie sie ihr „blankes Überleben“ und ihre Wirtschaftlichkeit sichern können, sondern eher, wie sie ihre gemeinwohlorientierte Kernfunktion bewahren können. Doch schon auf dieser grundlegenden Definitionsebene hält die Trennschärfe nur begrenzt: Denn auch ein Sportverein will bestehen bleiben und die nötigen Mittel haben, bei Bedarf neue Trikots oder Hanteln für seine Mitglieder anzuschaffen. Deshalb sind die Erkenntnisse zu resilienten (Wirtschafts-)Organisationen auch für unsere Forschung interessant. Die Herausforderung liegt in der Anpassung dieses Wissens an die ganz unterschiedlichen Akteur*innen der Zivilgesellschaft und deren Ziele.
Die resiliente Organisation: sehr komplex und ziemlich abstrakt
Herausforderungen zeigen sich auch in der Literatur zum Thema: Das Konzept zu fassen, ist nicht leicht. Gregor Hoffmann beschreibt organisationale Resilienz in seinem Grundlagenwerk als sehr komplexes, soziales Phänomen. Das lässt viele Interpretationsansätze zu und viele Fragen offen. Entsprechend divers sind auch die Vorschläge, welche Faktoren zu organisationaler Resilienz führen. Seit den 1990er Jahren wird wissenschaftlich zur Resilienz von Organisationen gearbeitet. Doch Forscher*innen sind sich noch längst nicht einig, was genau eine resiliente Organisation ausmacht. Empirische und theoretische Arbeiten haben eine Vielzahl von Fähigkeiten und Prozessen zusammengetragen, die entscheidend sind. Beispiele sind:
Entwicklungen gut beobachten und aufkommen sehen (Antizipieren)
sich vor negativen Folgen schützen können (Vorbereiten)
aktiv und angemessen mit eintretenden Störungen oder Krisen umgehen (Antworten) und
kluge Schlüsse aus gemachten Erfahrungen ziehen (Lernen und Anpassen).
Das klingt erst einmal sinnvoll – und ziemlich allgemein. Was resilient zu sein für eine Organisation in ihrer ganz spezifischen Identität und in ihrem konkreten Umfeld bedeutet, muss jeweils bewusst und feinfühlig angepasst werden. Die eine Resilienz-Checkliste für alle kann es daher nicht geben – vor allem nicht für zivilgesellschaftliche Organisationen, die vom losen Aktivist*innenkollektiv bis zum großen Wohlfahrtsverband reichen können. Wenn wir uns also in der nächsten Zeit Kriterien für die Resilienz zivilgesellschaftlicher Organisationen annähern, dann meißeln wir sie nicht in Stein. Sie müssen konkretisierbar und anpassbar bleiben.
Resilienter Mensch, resiliente Organisation?
Der derzeitige Stand der Forschung gibt auch noch keine klare Antwort darauf, wie genau individuelle Resilienz – die in der Psychologie schon seit den 1950er Jahren erforscht wird – und kollektive bzw. organisationale Resilienz zusammenhängen. Naheliegend scheint, dass resiliente Menschen in Organisationen dazu beitragen, die Organisationen als solche resilienter zu machen – und andersherum. Wenn also tendenziell optimistische Charaktere zusammenkommen, gewinnt auch die Organisation an Zukunftsvertrauen. Hat die Organisation eine klare, positive Vision und Strategie, werden auch ihre Mitglieder eher positiv in die gemeinsame Zukunft schauen. Wissenschaftlich nachgewiesen sind solche Zusammenhänge bisher allerdings nur in Ansätzen (vgl. Gilan et al. 2022). Aus unserer Erfahrung und Forschung in den Themen New Work und Kollaboration greifen die individuelle und kollektive Ebene durchaus produktiv und stützend ineinander. Deshalb werden wir uns diese Verschränkung auch für die Frage nach der Resilienz von zivilgesellschaftlichen Organisationen verstärkt anschauen.
Wir werden in der nächsten Zeit Punkte zusammenzutragen, die Orientierung dabei geben können, die Krisenfestigkeit der eigenen Organisation zu reflektieren und Veränderungsimpulse zu setzen – und zwar zugeschnitten auf die besonderen Bedarfe und Bedingungen zivilgesellschaftlicher Akteur*innen. Dazu graben wir uns weiter intensiv durch Forschungs- und Beratungsliteratur, sind im Austausch mit Resilienz-Expert*innen verschiedener Disziplinen und Zugänge und befragen zivilgesellschaftliche Akteur*innen: Was sind eure eigenen Erfahrungen und Best-Practices? Gibt es in eurer Organisationen bereits einen Resilienz-Fahrplan? Was fehlt euch, um das Thema besser anzugehen? Schickt uns gern eure Fragen und Antworten.
Kontakt:
Stephan Peters (Projektleitung) – stephan.peters@betterplace-lab.org
Hintergrund: Seit Anfang des Jahres forschen wir im betterplace lab zum Konzept der Resilienz. Was sich als Buzzword durch politische Papiere, Katastrophenschutzpläne und digitale Hochglanzbroschüren von Unternehmensberatungen zieht, nehmen wir mit einem konzentrierten Blick auf die Zivilgesellschaft genauer unter die Lupe. Das Forschungsprojekt „Die resiliente Zivilgesellschaft“ betrachtet deshalb zunächst, was Resilienz für zivilgesellschaftliche Organisationen bedeuten kann. Auf dieser Basis fragt es, welche Ansätze und Unterstützung wir brauchen, damit Akteur*innen im sozialen Sektor in einer komplexen Welt gut mit Krisen und Rückschlägen umgehen und aus ihnen lernen können.
Zitierte Literatur:
Gilan, D., Helmreich, I., Himbert, M., & Hahad, O. (2022). Wirkzusammenhänge zwischen individueller und kollektiver Resilienzförderung (pp. 71–91). https://doi.org/10.1007/978-3-658-37296-5_3
Hoffmann, G. P. (2017). Organisationale Resilienz. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53944-6
„Die resiliente Zivilgesellschaft“ ist ein Forschungsvorhaben des betterplace lab, gefördert für den Zeitraum Januar 2023 bis Juni 2024 durch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt.