Warum wir mehr Frauen im Civic-Tech-Sektor brauchen – und was wir dafür tun können

Etwas über ein Jahr ist es jetzt her, dass wir unsere Sachen gepackt, die Forscherbrille aufgesetzt und die Diktiergeräte verstaut haben. Auf vier verschiedenen Kontinenten haben wir über 40 Interviews geführt um herauszufinden, wie wir Frauen weltweit den Zugang zu digitalen Technologien erleichtern können, sodass sie genauso von der Digitalisierung profitieren können wie Männer. Unsere Erkenntnisse (und ein paar nette Anekdoten) könnt ihr in unserer Studie “Bridging the Digital Gender Gap” nachlesen.

Wo sind die Frauen?

Damals recherchierten wir ebenso in Deutschland, und stellten fest, dass es auch hier einen digitalen Gender Gap gibt – wenn auch nicht so sehr in der Frage des Zugangs, doch aber zur Nutzung und Entwicklung von Technologien. Auch in der Tech-Branche selbst kann von Diversität keine Rede sein: Zwar ist laut einer Bitkom-Umfrage der Anteil von Frauen an allen Mitarbeiter:innen in der IT-Branche etwas gestiegen (von 24 Prozent in 2014 auf 28 Prozent in 2017), ihr Anteil an IT-Fachkräften beträgt jedoch gerade mal 17 Prozent. Aufgrund dieser schleppenden Entwicklung werden Frauen auch zukünftig noch die Minderheit in IT-Unternehmen (oder Abteilungen) bilden, sie scheiden schneller aus und gelangen kaum in Führungspositionen. Gemischte Teams, denen man einen nachweisbar besseren Erfolg nachsagt, bilden in klassischen Unternehmen wie auch in Tech Start Ups noch die Ausnahme. Ganz zu schweigen von Gründerinnen: Nur knapp 13 Prozent der Technologiegründungen haben in ihrer Kernmannschaft überhaupt eine Frau.

Mehr Sichtbarkeit für Civic-Tech-Projekte von und für Frauen

Im Rahmen des dritten Calls des Prototype Funds der Open Knowledge Foundation zum Motto “Mehr Vielfalt: Open Source für Alle!” haben wir uns mit einigen inspirierenden Frauen unterhalten, die sich durch ihr Studium oder über den Quereinstieg für eine berufliche Karriere im Civic-Tech-Sektor entschieden haben. Die Interviewpartnerinnen eint ihre Beschäftigung in – in fünf Fällen auch die Gründung von – Tech-Projekten, deren Zielgruppe vor allem Frauen sind. Es handelt sich um Netzwerkprogramme für weibliche Tech-Unternehmerinnen, Mentoring-Angebote, Maker Spaces nur für Frauen, Coding-Workshops für Frauen in verschiedenen Programmiersprachen, Vermittlung von guten Speakerinnen oder Mailing-Listen mit Jobangeboten nur für Frauen. Gleichzeitig unterscheiden sich die Frauen bezüglich ihres Alters, Werdegangs, familiären Hintergrunds, ihrer IT-Bildung und -Kenntnisse, sowie ihrer aktuellen Tätigkeit im Tech-Sektor (haupt- und nebenberuflich, ehrenamtlich).

Neben den Fragen zu Hürden und Herausforderungen, gleichberechtigt am Entwicklungsprozess in (Civic-)Tech-Projekten teilnehmen zu können, wollten wir vor allem gemeinsam herauszufinden, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, sodass zukünftig mehr Frauen im Tech-Sektor arbeiten.

Außerdem haben wir Initiativen und Projekte gemapped, die die Tech-Kompetenzen bei Frauen in Deutschland fördern wollen. Zum sinnvollen Clustering wurden sie verschiedenen Kategorien zugeordnet: Inspiration, Tech-Kompetenz, Gründungskompetenz, Netzwerk und Konferenz. Hier könnt ihr die Mindmup anschauen (benötigt Google Konto): https://bit.ly/2NBAYVQ. Diese Mindmup soll dabei helfen, Projekte sichtbarer zu machen und auch leichter nach ihnen suchen zu können. Schreibt uns gern an, wenn ihr auch gelistet werden wollt!

Was bisher noch schief läuft

Hürden gibt es, und derer nicht zu wenig. Hier die Wichtigsten aus Sicht der Interviewten:

  • Fehlende Beratung und positiv stärkende Unterstützung während der Schul- und Studienausbildung
  • Ermüdender Kampf gegen Stereotype und Rechtfertigungsdruck für technologisches Interesse
  • Wenige weibliche Vorbilder im Sektor vermitteln den Eindruck, der Sektor biete keine Perspektive für Frauen
  • Ständige Arbeit am Selbstvertrauen: „Wir Frauen unterschätzen uns gern selbst, weil andere es uns nicht zutrauen. So müssen wir uns unser Gehör gefühlt doppelt verdienen, indem wir beweisen, etwas wichtiges ‚Technisches’ beitragen zu müssen.“
  • Geringer Frauenanteil in IT-Studiengängen sowie in der Tech-Branche
  • Wenige Männer in von Frauen geleiteten Tech-Projekten

Was wir tun können

Problembewusstsein schaffen und Lösungen entwickeln

Unabhängig davon, aus welcher Perspektive sich der Fragestellung genähert wird (Schule, Studium, Beruf) ist wichtig, zunächst immer wieder darauf hinzuweisen und bei den entsprechenden Entscheidungsträgern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es ein Problem darstellt, dass es zu wenig Frauen im Tech-Sektor gibt – und dass dieses Problem vor allem auf strukturellen Voraussetzungen beruht, die es zu beseitigen gilt.

Gender-sensitiven IT-Unterricht ab der 5. Klasse anbieten

In der Öffentlichkeit scheint es einen Konsens über die Notwendigkeit besserer technologischer Ausbildung von Schülern ab der 5. Klasse zu geben. Es ist aber ebenso wichtig, über gender-sensitive Strategien in der Vermittlung dieser Kompetenzen nachzudenken. Dies würde bereits bei Gender-Diversity Trainings im Lehramtsstudium beginnen, denn die (unterstützende) Rolle der Pädagogen darf nicht unterschätzt werden.

Verstärktes Angebot von Netzwerken im Studium bereitstellen

Während die Ursachen des geringen Frauen-Anteils in MINT-Studiengängen vornehmlich in der Ausbildung an weiterführenden Schulen zu suchen sind, bildet die hohe Abbruchrate eine Problematik, der sich die Universitäten selbst annehmen sollten. Das Angebot von Netzwerkgruppen, in denen Frauen sich untereinander austauschen und bestärken können, sowie mit Alumnis in Kontakt treten können, um sich über berufliche Perspektiven auszutauschen, kann dafür eine wichtige Grundlage bilden.

Demystifikation geforderter Kompetenzen vorantreiben

Für Frauen, die sich erst auf dem zweiten Weg für eine Karriere im Tech-Sektor entscheiden, müssen Angebote für Coding-Klassen prominenter bereitgestellt werden. Ergänzende, öffentliche Programme sollten über die Möglichkeiten des Quereinstiegs aufklären und die dafür notwendigen Voraussetzungen demystifizieren. Diversität zu fördern heißt, Stereotype aktiv abzubauen.

Nicht nur im Tech-Sektor: Vereinbarkeit von Beruf und Familie befördern

IT-Unternehmen müssen Frauen anstellen wollen! Unter dieser Voraussetzung können Angebote geschaffen werden, sodass es Frauen leichter fällt, in einem Unternehmen zu bleiben und erfolgreich zu sein. Hier wie auch in anderen Sektoren spielt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine zentrale Rolle. Flexiblere Teilzeit-und Homeoffice-Angebote für Mütter, oder Elternzeit für Väter, die als selbstverständlich betrachtet wird, bilden dabei nur zwei Möglichkeiten.

Universell geltenden Code of Conduct etablieren

Verhaltensregeln gewaltfreier Kommunikation sowie der Respekt voreinander und der Leistung der/des Einzelnen sollten nicht allein in von Frauen für Frauen entwickelten Tech-Projekten gelten, sondern darüber hinaus als Standard in allen Bereichen der IT-Branche etabliert werden. Nicht per se für sich abgeschlossene – und nicht selten wenig diverse Bereiche im Netz bildeten damit sogenannte „Safe Spaces“, sondern das Internet und der IT-Sektor an sich würden damit Regeln befolgen, die in der Gesellschaft selbst bisher ebenso noch häufig missachtet werden.

Stimmenfang

Und hier zum Abschluss noch die schönsten Zitate aus unseren Interviews, die wir euch nicht vorenthalten wollen:

„Wenn Frauen beim Entwicklungsprozess dabei sind, verändert sich die Arbeitsatmosphäre im Team. Es wird auf eine wertschätzende, gewaltfreie Kommunikation geachtet. Zudem geht es sehr effizient und zeitsparend zu.“
„Es braucht immer mindestens zwei Frauen, um von innen in einem Unternehmen etwas verändern zu können.“
„Ich arbeite prinzipiell nur in Gruppen, die einem Code of Conduct folgen. Denn mein eigenes Wohlbefinden steht für mich im Vordergrund.“
„Frauen gehen in den Tech-Sektor, um Probleme zu lösen. Sie haben Ideen, die auf Erfahrungen beruhen und entwickeln darauf aufbauend Lösungen.“

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe