Transformation der Landwirtschaft

Über intelligente Technologien, einen globalen Wirtschaftssektor und die inklusive Wende

Die Landwirtschaft hat es nicht leicht. Einerseits soll sie eine der zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lösen – die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung – andererseits wird sie als eine der Hauptursachen für die große Katastrophe im Anthropozän, den Klimawandel, verteufelt. “Precision Farming” (Präzisionslandwirtschaft) ist die Antwort, die die Bundesregierung, die EU und internationale Wirtschaftsberatungen auf beide Probleme geben. Doch das industrielle Agrarbusiness hat nur wenig mit der kleinbäuerlichen Misch-Landwirtschaft zu tun, die in großen Teilen der Welt noch immer vorherrscht. Wie kann ein digital-optimiertes Agrarmanagement da zum universellen Heilsbringer werden?

Was fest steht: Die Agrarwirtschaft ist ein diverser, weltumspannender Wirtschaftszweig, mit einer Vielzahl an vor- und nachgelagerten Sektoren. Ein gutes Drittel der Landfläche unserer Erde wird landwirtschaftlich genutzt (Weltbank, 2016), mit schwerwiegenden Auswirkungen für Natur und Umwelt. So sind laut eines Berichts des Weltklimarates die Land- und Forstwirtschaft sowie andere Landnutzung für fast ein Viertel der weltweiten Treibhausgase verantwortlich. Methan-Emissionen aus der Tierhaltung und Lachgas-Emissionen aus landwirtschaftlich genutzten Böden tragen maßgeblich zum globalen Klimawandel bei. Eine umfassende Transformation des Agrarsektors ist zwingend notwendig.

Landwirtschaft 2020: Status Quo und Entwicklungen

Seit Jahren dominiert in der Landwirtschaft der Industrienationen die Tendenz zu Betriebskonzentration und Flächenwachstum. In Deutschland hat die durchschnittliche Fläche pro Betrieb zwischen 1999/2000 und 2016 von 36,3 Hektar auf 60,5 Hektar zugenommen. In den Vereinigten Staaten beträgt die Durchschnittsfläche mit rund 180 Hektar gar das Dreifache. Und EU-weit mussten innerhalb von nur zehn Jahren (2003 - 2013) über ein Viertel aller Bauernhöfe aufgegeben werden, sodass heute 3,1 Prozent aller Betriebe mehr als die Hälfte des europäischen Agrarlandes bewirtschaften.

Neben neuen technischen Möglichkeiten für eine automatisierte Ackerbearbeitung und Tierhaltung im großen Stil, hat auch die Struktur von Agrarsubventionen diese Entwicklungen wesentlich begünstigt. Ein Beispiel: Durch die EU-Agrarpolitik fließen jährlich fast 60 Milliarden Euro in die europäische Landwirtschaft. Ca. 70 Prozent dieser Gelder werden pro Hektar und ohne weitreichende Auflagen vergeben, sodass Landwirt*innen jeden verfügbaren Quadratmeter bestellen – wer viel Land bewirtschaftet, erhält schließlich viel Geld.

Gleichzeitig streben viele industrielle Landwirtschaftsbetriebe eine neue Form der Betriebsführung an, die Präzisionslandwirtschaft. Bereits heute sind Sensoren und andere digitale Assistenten weit verbreitet. Sie tragen zur Arbeitsvereinfachung, Effizienzsteigerung und Schonung von Ressourcen und Umwelt bei. Durch “Precision Farming” soll die Prozesseffizienz noch weiter gesteigert und das Optimum aus dem Boden herausgeholt werden. Mit der Digitalisierung und innovativen Technologien (wie Künstliche Intelligenz, Plattformen und Blockchain) sind weitere hohe Erwartungen für die Bereiche Düngung, Pflanzen-, Klima- und Umweltschutz, Qualitätssicherung oder der Rückverfolgbarkeit von Produkten zum Ackerbaubetrieb verbunden.

Mit der Realität der weltweit rund 886 Millionen offiziell im Agrarsektor beschäftigten Menschen hat diese Art der Landwirtschaft allerdings nicht viel gemein. Als “agricultural treadmill” beschreibt der Weltagrarbericht schon 2009 dieses Entwicklungsmodell der Industrieländer, dem Kleinbäuer*innen, Subsistenzlandwirt*innen, Hirt*innen und Fischer*innen auf um ein Vielfaches kleineren Flächen und ohne nennenswertes Kapital nicht folgen können. Dabei sind es meist kleine Familienbetriebe, die etwa 75 Prozent der globalen landwirtschaftlichen Nutzfläche bestellen. Entgegen dem Trend zu immer größeren Betriebsflächen in Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen, wird die Nutzfläche der Bäuer*innen in Ländern mit niedrigem Einkommen tendenziell kleiner.


Der Ertrag ist dabei sehr ungleich verteilt. Obwohl die “weniger entwickelten Länder” 2016 mehr als 15 Prozent der weltweiten Agrarfläche bewirtschafteten, hatten sie nur einen Anteil von knapp 1,5 Prozent am internationalen Agrarhandel. Dabei sind die in Asien, Afrika und Lateinamerika weit verbreiteten Familienbetriebe auch ohne große Maschinenparks, vernetzte Technologien und hektarweite Monokulturen erstaunlich produktiv: In Brasilien machen familiär geführten Betriebe durchschnittlich 40 Prozent der Produktion einiger Hauptanbauprodukte des Landes auf weniger als 25 Prozent der Ackerfläche aus. Und Bäuer*innen im Inselstaat Fidschi stemmen 84 Prozent der Produktion von Yamswurzeln, Reis, Maniok, Mais und Bohnen auf weniger als der Hälfte der landesweiten Anbauflächen. Und das, obwohl Menschen aus diesen Ländern oft in besonderem Maße unter den Begleiterscheinungen des Klimawandels zu leiden haben.

Die digitalisierte (Präzisions-)Landwirtschaft

“In kaum einer Branche ist die Digitalisierung so flächendeckend angekommen wie in der Landwirtschaft”, stellt brandeins fest und Roland Berger fügt hinzu: “Agriculture today is at the forefront of the Internet of Things (IoT) revolution”. Damit gemeint ist wohl die industrielle Landwirtschaft in der westlichen Welt. Satellitendaten stechen hierzulande schon lange die sprichwörtliche Bauernschläue aus. Landwirt*innen, die sich der Präzisionslandwirtschaft verschreiben, sind eher im Management als im Stall zuhause. Eine aktuelle Umfrage der bitkom unter 500 Landwirt*innen fand heraus, dass mehr als acht von zehn landwirtschaftlichen Betrieben (82 Prozent) in Deutschland digitale Technologien und Anwendungen einsetzen. Und jede*r siebte (69 Prozent) sieht in der Digitalisierung eine Chance für eine nachhaltigere Landwirtschaft.

Wie die Landwirtschaft in Zukunft aussehen könnte, zeigen einige bemerkenswerte Beispiele: In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz entwickelte die Universität des Saarlandes “nPotato”, eine mit Sensoren ausgestattete künstliche Kartoffel. Im Feld vergraben liefert die intelligente Knolle Echtzeitdaten für den Ernteprozess und Daten, die mittels Deep Learning Technologien Gewinnprognosen für die aktuelle Ernte ausgeben können. Das amerikanische Start-up Indigo zeigt als weiteres Beispiel, dass die Transformation des Agrarsektors nicht nur durch digitale Technologien stattfindet, sondern auch neue Geschäftsmodelle zu Tage fördert. So hat das Unternehmen einen auf Mikroben und Big Data basierenden Ansatz entwickelt, der die Widerstandsfähigkeit von Nutzpflanzen gegen Trockenheit und Krankheiten verbessert und den Bedarf an Düngemitteln reduziert. Um das Risiko für Landwirt*innen zu minimieren und einen Anreiz für die Einführung der neuen Technologie zu setzen, verdient Indigo durch einen prozentualen Anteil am Ertragsgewinn, den die Lösung generiert hat.

Um die Präzisionslandwirtschaft als weltweiten Standard einzuführen, müssten zunächst einige substantielle Herausforderungen gelöst werden:

  • Hohe Kosten: Die Implementierungskosten von digitalen Anwendungen und smarten Maschinen sind vor allem für kleinere landwirtschaftliche Betriebe schwer stemmbar. Dazu kämen hohe Infrastrukturkosten, da eine Internetverbindung obligatorisch, aber in ländlichen Gebieten (insb. weltweit) natürlich alles andere als selbstverständlich ist.
  • Fehlende Schnittstellenkompatibilität: Die komplexen Wertschöpfungsketten und große Homogenität bei der eingesetzten Technik (Maschinen, Software, Datenspeicherung) im Agrarsektor machen gute Schnittstellen und einheitliche Standards erforderlich. “Komplettanbieter” haben gegenwärtig einen Produktvorteil und zwingen Landwirt*innen in technische Abhängigkeiten.
  • Fragwürdiger Datenschutz und -souveränität: Der unzureichende gesetzliche Schutz für landwirtschaftliche Daten lässt befürchten, dass die erhobenen Daten von Dritten genutzt werden, um einen Wissensvorsprung zu erlangen (z. B. Saatguthersteller) und Landwirt*innen in schlechtere Verhandlungspositionen zu bugsieren. Außerdem bergen Hackerangriffe und technische Störungen ein großes Risiko für den laufenden Betrieb.

Auch in der Landwirtschaft ist somit eine Monopolisierung durch die Digitalisierung zu befürchten, bei der Plattformen die Kontrolle erlangen und über Pfadabhängigkeiten und Datenhoheit eine starke Marktmacht ausüben. Die digitale Ungleichheit könnte sich zudem verstärken, wenn nicht ein verbindlicher und umfassender Rechtsrahmen zur Regulierung der Digitalisierung in der Landwirtschaft geschaffen wird (s. bspw. der Vorschlag eines New International Council for Food and Agriculture) oder ein starkes Bestreben der Inklusion – durch Bildungsangebote, gezielte Investitionen und Kooperationen – die Digital Divide auflöst, die sich zwangsläufig durch die Zugangshürden (Kosten, Bildung, geschlossene Systeme) ergibt und verstärkt. Bei der Entwicklung digitaler (oftmals eben auch industrieller) Produktionssysteme werden Kleinbäuer*innen und ihr Arbeitsalltag schlicht nicht mitgedacht.

Natürlich enden dort nicht die Möglichkeiten wie Notwendigkeiten, um eine inklusive Wende in der Landwirtschaft herbeizuführen. Auch der Handel mit Agrargütern wird bei fortschreitendem Klimawandel, einer wachsenden Bevölkerung und schwindenden Ressourcen an Boden, Wasser und Biodiversität weiter an Bedeutung gewinnen. Ohne nachhaltige Handelsregeln (wie bspw. das in der Agenda 2030 angestrebte Verbot für Exporterstattungen) bleiben ärmere Länder weiter benachteiligt, für die der Handel ein wesentlicher Faktor für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung und Stabilität darstellt.

Zugang zu Internet und Technologie, Datensouveränität, Verhinderung von Monopolen, Förderung von Vielfalt und Einhaltung von Arbeitsrechten sind die Hausaufgaben. Erreichen wird man keine inklusive Wende, indem weltweit der industrielle Standard kopiert und skaliert wird. Dafür wären auch die klimatischen Folgen noch zu schwer abschätzbar. Das Positionspapier Landwirtschaft 4.0 schließt daher das entsprechende Kapitel mit der Forderung weitergehender Analysen und den zwingend notwendigem Respekt planetarischer Grenzen: “Im Rahmen einer umfassenden Technikfolgenabschätzung sollte geprüft werden, inwieweit sich die großflächige Anwendung digitaler Instrumente in der Landwirtschaft in einem potenziell weltweiten Maßstab innerhalb der planetaren Grenzen – vor allem in Bezug auf den Energie- und Ressourcenverbrauch – realisieren lässt. Die Anwendung digitaler Technik darf die Übernutzung der Ressourcen und Energien nicht verstärken, sondern muss vielmehr zu einer deutlichen Eindämmung beitragen. Angesichts der negativen Umweltauswirkungen und möglicher Folgen für die menschliche Gesundheit bleibt es von zentraler Bedeutung, die analoge Produktion von Lebensmittel zu stärken. Den unterzeichnenden Organisationen ist der Zielkonflikt zwischen Ressourcenschutz und flächendeckendem Internetausbau bewusst. Die Harmonisierung von Umweltzielen und dem Ziel sozialer Gerechtigkeit sollte aus diesem Grund im Zentrum der politischen Debatte stehen.”

Weiterführende Literatur:



Foto: Flickr

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Die erste Folge in der Resilienz-Reihe