“Haben wir ein Momentum gerade?” – Christoph May stellt diese Frage in den Raum. Er richtet sie gleichermaßen an sich wie an die Interessierten, die sich zahlreich am frühen Abend des 8. August im Auditorium des ehemaligen Kreuzberger Umspannwerks versammelt haben, um sich mit toxischer Männlichkeit zu beschäftigen. Journalisten vom rbb haben unseren Gast schnell noch für ein Interview vor der Tür abgefangen. Er kommt darum erst ein paar Minuten vor Beginn der Veranstaltung rein und hat nicht viel Zeit, sich auf seinen Workshop vorzubereiten. Seit einer Weile reist Christoph May als kritischer Männlichkeitsforscher durch Deutschland und hat einen Auftritt nach dem anderen. Der Andrang spricht dafür, dass gerade ein großer Bedarf da ist. Vielleicht jetzt erst recht, wo eine kritische Perspektive auf Männlichkeit ein Millionenpublikum erreicht hat – Ken läßt grüßen.
80 Prozent der Anwesenden des Workshops sind Männer*. Sie haben drei Stunden Auseinandersetzung mit dem Thema Männlichkeit vor sich, als sie von harten Techno-Beats empfangen werden. Schließlich sind wir in Kreuzberg, so Christoph May, der seinerzeit im Berghain gearbeitet hat und den Vorschlag, für die Ankunft der Leute vielleicht etwas ruhigere Musik zu wählen, eher überhört. Insgesamt kommt er sehr locker rüber. Seine mit Musikvideos, Bildern, Memes, Instagram-Footage und Tweets gespickten Inputs sprudeln dann auch nur so aus ihm heraus. Sein Workshop ist in drei Teile gegliedert, die jeweils aus einer kurzen inhaltlichen Einführung und einem anschließendes Zusammentragen von Erfahrungen der Teilnehmenden bestehen. Im ersten Teil werden Männerbünde thematisiert, darauf folgt ein Block zu Männerphantasien und im dritten Teil geht es um kritische Männlichkeit und konkrete Handlungsmöglichkeiten.
Männerbünde & Männerphantasien
Die Teilnehmenden zögern nach den Inputs nicht und teilen fleißig, was sie selbst erlebt und erfahren haben. Der Raum ist voller Menschen, die das Bedürfnis haben, über eigene Erfahrungen zu sprechen. Es ist schnell klar, dass in diesem Raum Einigkeit darüber besteht, dass sich an Männlichkeitsbildern etwas ändern muss und Männer* selbst Opfer des Patriarchats sind. So ein Heimspiel sei es nicht immer, weiß Christoph May von anderen Workshops zu berichten. Das kann man sich lebhaft vorstellen, wenn er in eher konservativen Räumen auch gleich zu Anfang seines Auftritts postuliert: “Männerbünde verhindern alles, was die Welt voranbringen würde.” Hinter ihm laufen derweil Bilder durch, wie das des Business-Lunchs am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz ‘22, bei dem keine einzige Frau anwesend war (Das Foto ging durch die Medien).
Was zählt alles zu Männerbünden? Den Teilnehmenden fallen Sportvereine ein, in denen trotz gemischter Sportarten auf Managementebene dann keine einzige Frau mehr zu finden ist. Sie berichten von feuchtfröhlichen Junggesellenabschieden, aber auch von einem traurigen Ereignis, durch das sich ein Männerfreundeskreis auflöste, weil niemand mit den Emotionen umgehen konnte. Eine der Teilnehmenden, die sich lange in der Gaming-Szene wohl gefühlt hatte und sich dort austoben konnte, hat es wiederum kalt erwischt, als die Technik es ermöglichte, statt nur über Textbotschaften in der Community zu kommunizieren, die Stimme ins Spiel zu bringen. Als sie als weibliche Person entdeckt wurde, war der Spaß vorbei. Außerdem ist die Rede von Handwerksbetrieben, die auf keinen Fall Frauen* anstellen würden, sich aber über den Fachkräftemangel beklagen. Die Wortmeldungen wollen gar nicht abreißen, denn alle haben jede Menge Erlebnisse, die man unter Männerbünden verbuchen kann.
Für den Kampf um die paritätische Zusammensetzung in jedweden Gremien und Teams gibt Christoph May einen Trick mit: Man müsse beim Wording anfangen. Auf den Begriff “Frauenquote” reagiere die Mehrzahl der Männer allergisch. Würde man stattdessen von Männeranteil sprechen, dann hätte man sie in der Tasche.