Das Transformationspotenzial und die Notwendigkeit eines strukturellen Wandels ausloten
Am 1. Juni organisierten wir vom betterplace lab einen Online-Roundtable unter dem Titel "Towards a feminist digital development cooperation". Wir trafen uns mit 15 Expert*innen und Vertreter*innen verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen aus der Majority World, um gemeinsam an der Vision einer erstrebenswerten digitalen Zukunft im Sinne einer feministischen Entwicklungspolitik zu arbeiten. Es wurden wertvolle Diskussionen über den Zugang, die Nutzung sowie die Gestaltung und Entwicklung digitaler Technologien geführt und kritische Ansichten zum aktuellen Stand der Technik in diesem Bereich ausgetauscht. Die Expert*innen machten Vorschläge dazu, welche strukturellen und praktischen Veränderungen auf den verschiedenen Verwaltungsebenen vorgenommen werden müssen, damit die digitale Zukunft wirklich eine feministische ist. Die Veranstaltung war Teil unserer Trendstudie zur feministischen digitalen Entwicklungszusammenarbeit. Die Studie wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert und von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt. Ziel der Studie ist es, durch die direkte Zusammenarbeit mit Expert*innen aus der Majority World mehr über die Anforderungen und Potenziale feministischer digitaler Entwicklung zu erfahren.
Im März 2023 veröffentlichte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seine Strategie zur Feministischen Entwicklungspolitik, die darauf abzielt, diskriminierende Strukturen zu beseitigen – für Frauen* und Mädchen* sowie für marginalisierte Gruppen. Neben verschiedenen anderen Ansätzen steht die Strategie auch für eine geschlechtergerechte digitale Transformation. Hier kommt unsere Arbeit und Expertise im Bereich Digitalisierung und feministische Praxis ins Spiel. Um zu erkunden, welche Herausforderungen, Bedarfe, Potenziale und Erfolge im Bereich der Digitalen Rechte und Entwicklung im Kontext der Majority World bestehen, haben wir gemeinsam mit Expert*innen aus der Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen, Forscher*innen und Akademiker*innen einen Roundtable organisiert. Mit dem Ziel, gemeinsam eine feministische digitale Zukunft zu entwerfen, tauschten die Teilnehmer*innen in verschiedenen Übungen ihr Fachwissen aus über den aktuellen Stand im Bereich des Digitalen Zugangs, der Nutzung und der Gestaltung hinsichtlich Fragen der Geschlechtergleichstellung und feministischen Ansätze im weiteren Sinne. Im Folgenden teilen wir einige der wichtigsten Überlegungen der Teilnehmer*innen zu Erfolgen und Motivationen, großen Herausforderungen sowie Empfehlungen, wie feministische Entwicklungspolitik die Reise in eine feministische digitale Zukunft unterstützen kann.
Wind in unseren Segeln
Feminist movements are asking the right questions, speaking truth to power.
An den Schnittstellen von Feminismus und Digitalpolitik wird hervorragende Arbeit geleistet. Wir haben über Beispiele für positive Veränderungen gesprochen und darüber, was uns motiviert, weiter an einer feministischen digitalen Zukunft zu arbeiten. Einige unserer Gedanken beziehen sich auf die inspirierenden Frauen in diesem Bereich, die uns immer wieder daran erinnern, dass eine Vision vorhanden ist, und sich Menschen, die Projekte entwerfen, wirklich feministischen Prinzipien verschrieben haben. Die Verlagerung von individualistischen Ansätzen hin zu mehr kollaborativer Süd-Süd- und Süd-Nord-Arbeit ist produktiv, insbesondere bei interdisziplinären Projekten, bei denen eine Vielzahl von Perspektiven einbezogen wird. Finanzierungsmodelle sind von entscheidender Bedeutung, wie wir derzeit an den Vorteilen der Finanzierung von Open-Source-Initiativen sehen, die sich für Inklusion einsetzen, wie z. B. das Projekt Common Voice. Schließlich motiviert die Präsenz von digitalen Aktivist*innen, die wegweisende Arbeit leisten, und muss unterstützt werden.
Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen
Feminism in this context is an antithesis to capitalism.
Bei der Diskussion über die Hindernisse auf dem Weg zu einer feministischen digitalen Zukunft vertraten die Teilnehmer*innen die Ansicht, dass die meisten Schwierigkeiten, mit denen wir im Bereich der digitalen Transformation konfrontiert sind, vor allem mit strukturellen Problemen wie soziokulturellen Normen und patriarchalen Strukturen zu tun haben, aber auch mit politischer Unbeweglichkeit hinsichtlich feministischer Prinzipien und dem Fortbestehen von Rassismus, Neokolonialismus und Queerphobie. Als weitere Hürde wurde der Einfluss ausgemacht, den große, profitorientierte Tech-Unternehmen auf das digitale Ökosystem als Ganzes haben, und wie sie aufgrund ihrer Macht und Dominanz Innovationen in einer Weise vorantreiben, die nicht unbedingt den feministischen Grundsätzen von Inklusion und Gleichberechtigung entspricht. Die auf Profit ausgerichteten Unternehmensstrategien haben wiederum großen Einfluss auf die nationalen Gesetze und Politiken, die Überwachung, eingeschränkten Zugang und Kontrolle insbesondere für Frauen, queere Menschen, Menschen mit Behinderungen und andere Randgruppen ermöglichen. Da diese Probleme nicht auf die digitale Sphäre beschränkt sind, bedeutet dies, dass die feministische digitale Transformation Hand in Hand gehen muss mit einer gesellschaftlichen Transformation, die einen politischen und wirtschaftlichen Wandel hin zu gerechter Umverteilung, Inklusivität sowie Entwicklung und Wachstum beinhaltet, das die Natur und alle Lebewesen respektiert.
Eine wünschenswerte feministische Zukunft
A feminist digital policy means noticing the power.
Gemeinsam haben wir ein Brainstorming über wünschenswerte feministische Zukünfte in Bezug auf den digitalen Zugang, die Nutzung sowie die Gestaltung und Entwicklung digitaler Technologien durchgeführt. Ein solches Beispiel wäre eine Welt, in der Frauen* genauso wie marginalisierte Menschen gleichberechtigt vertreten wären. Sie würden an jedem Entwicklungszyklus eines digitalen Raums oder Produkts mitwirken und mitarbeiten und frei von Diskriminierung und Gewalt leben und arbeiten. Die Community würde die Anforderungen festlegen, und das Fachwissen käme von der Basis - das heißt, die Lösung würde direkt von Mitgliedern der Gemeinschaft geschaffen, die bei der Gestaltung und Entwicklung federführend sind. Dieses Konzept ist in der Lage, Unterschiede wie z. B. die sprachliche Vertretung zu berücksichtigen. Das Wirtschaftsmodell, in dem diese Gemeinschaft arbeiten würde, ist nachhaltig und ermöglicht kollektive und wirtschaftliche Rechte, die wiederum die Kontrolle der lokalen Gemeinschaft ermöglichen. Wie eine der Teilnehmerinnen betonte, erfordert dieses Szenario systemische Veränderungen, denn feministische Digitalpolitik bedeutet, die Macht wahrzunehmen. Das wiederum heißt, dass echte Geschlechtergerechtigkeit ohne wirtschaftliche und entwicklungspolitische Gerechtigkeit nicht möglich ist. Dies gilt auch, wenn man über feministische Entwicklungspolitik im digitalen Bereich nachdenkt.
Der Weg nach vorn
Der Roundtable endete mit einer umfassenden Diskussion über Empfehlungen für das weitere Vorgehen. Um erfolgreich auf eine feministische digitale Zukunft hinzuarbeiten, brauchen wir dringend:
Ganzheitliche Ansätze – alle wichtigen Akteur*innen müssen sich an der Diskussion beteiligen und konkrete Anstrengungen unternehmen, einschließlich der Regierungen und politischen Entscheidungsträger*innen, der Wissenschaft, der großen Technologieunternehmen und des Privatsektors, der Zivilgesellschaft und vor allem der Frauen* und der Randgruppen.
Finanzierung und Programmplanung – müssen in erheblichem Umfang und mit Bedacht auf Mikrofaktoren und unterrepräsentierte Gruppen, einschließlich Frauen* und Randgruppen, ausgerichtet und umgeschichtet werden. Langfristige Finanzierung und Programmplanung sind unerlässlich.
Betroffenen Communities zuhören und sie mit Macht ausstatten – sie als sachkundig und ressourcenorientiert behandeln, ihre Bedürfnisse sorgfältig anhören und Lösungen für bestehende Probleme auf Gemeinschaftsebene unterstützen.
Wir verließen diesen reichhaltigen und aufschlussreichen Austausch am runden Tisch mit dem Bewusstsein, wie wichtig es ist, die Vielfalt feministischer Gedanken in physischen und virtuellen Räumen zu nähren und zu stärken und dass wir inspiriert und motiviert sind, dies als Teil des betterplace lab weiter zu tun.
Foto: Christina Morillo