Selbsterfahrung im Kachelteppich

Langsam öffnen sich viele kleine Kacheln in Zoom. 30 neugierige Gesichter blicken mich an. Ich habe mich für den Workshop “Hallo Selbst!” im betterplace well:being und betterplace co:lab-Programm angemeldet und bin gespannt, was mich hier heute erwartet.

Weiterbildung in Pandemiezeiten

Die Workshops sollen zum einen den Selbstkontakt stärken und zum anderen die Kollaborationsfähigkeit verbessern. Klingt beides noch etwas abstrakt, finde ich. Ich frage mich, wie sinnvoll eine solche Fortbildung ist, wenn ich die anderen Teilnehmer:innen nur digital sehe und deren Präsenz nicht direkt spüren kann. Tja, der Pandemie sei dank müssen wir uns wohl auf neue Formate einlassen.

Los geht es mit einer Vorstellungsrunde im Chat. Spannende Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen sind dabei. Alle engagieren sich entweder haupt- oder ehrenamtlich für ihr Herzensthema. Die Trainerin Anjet spricht ein paar einleitende Worte:

Die meisten denken an Yoga, Pausen und Spaziergänge im Wald, wenn sie den Begriff Wellbeing hören. Wir meinen damit die Fähigkeit die Spannung, die zwangsläufig zwischen der inneren und äußeren Welt besteht, besser auszugleichen und auch auszuhalten.
Anjet Sekkat, Coach

Sie hat eine angenehme, ruhige Stimme und ich fühle mich sofort wohl. Anjet leitet eine Meditation an, in der wir die drei Ebenen unseres Selbst erspüren sollen – Körper, Emotionen und Geist. Dann werden wir zu dritt in Break-Out-Sessions geschickt und sollen über unsere Erfahrung reflektieren. Zunächst sind wir noch etwas verhalten. Ohne viel Vorbereitungszeit seine Gedanken mit einer fremden Person teilen? Nach kurzer Zeit sind wir jedoch alle überrascht, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmungen sind und wie schnell wir es schaffen, mit unserem Gegenüber in den Austausch zu persönlichen Themen zu kommen.

Nach ein paar Minuten werden wir wieder in den großen “Raum” zurückgeholt. Anjet befragt uns nach unseren Sessions und es werden unterschiedliche Eindrücke geteilt. “Nur wenn wir als Menschen im Kontakt mit uns Selbst sind, können wir auch Kontakt zu anderen aufnehmen. Im Alltag fällt es uns manchmal schwer, Zugang zu unseren Emotionen zu bekommen. Der Körper kann uns dabei unterstützen. Um das wahrzunehmen, müssen wir uns aber Zeit und Raum nehmen”, erläutert Anjet. Eine Katze läuft durch den Bildschirm. Ein Kind zupft am Ärmel seiner Mama. Irgendwie schön, wie nah man sich trotz digitalem Kontext kommt. Vielleicht ist das Online-Format doch weniger hinderlich als anfänglich gedacht.

In der nächsten Aufgabe geht es ums Zuhören. Wir finden uns zu zweit in einem digitalen Raum wieder und dürfen uns selbst beim Zuhören beobachten. Ich erwische mich dabei, wie ich während mein Gegenüber spricht, bereits darüber nachdenke, was ich gleich sagen möchte. Dabei soll ich doch zuhören! Meine Partnerin berichtet, wie froh sie ist, dass die Workshops digital stattfinden.

Ich sitze in Basel und wenn der Workshop live in Berlin stattgefunden hätte, wäre ich sicher nicht dabei gewesen. Ich finde das digitale Format nicht schlechter als ein Präsenzworkshop. Einfach anders.
Workshopteilnehmerin

Wir legen eine kurze Pause ein. Diese sollen wir als “echte” Pause verbringen und keine Mails checken, ermutigt uns die Trainerin. Anschließend fordert sie uns auf, uns zu bewegen. Man sieht 30 sich schüttelnde Menschen vor ihren Bildschirmen. Ich muss lachen.

Gemeinsame Energie entsteht auch in digitalem Raum

In der großen Runde teilen wir wieder unsere Erfahrungen aus den Kleingruppen. Auffällig ist, dass viele Menschen ähnliche Dinge berichten. “Es tut mir gerade richtig gut, zu teilen und zu sehen, dass es anderen genauso geht.”, meint ein Teilnehmer. Das Tempo ist angenehm und ich habe genügend Zeit, mir zu überlegen, wie ich selbst zu den Workshopinhalten stehe. Die Trainerin betont, dass keiner gezwungen ist, vor den anderen zu sprechen. “Es ist jedem und jeder selbst überlassen, wieviel er oder sie von sich preisgeben möchte.”

Ich fasse mir ein Herz und schalte mein Mikrofon an. Normalerweise spüre ich eine ordentliche Portion Lampenfieber, wenn ich vor vielen Menschen sprechen muss. Das ist scheinbar auch im digitalen Kontext so. Ich fühle, wie sich mein Herzschlag beschleunigt. 30 freundliche Gesichter schauen mich an. Ich berichte von meinem Vater, bei dem ich auch häufig das Gefühl habe, dass er mir nicht richtig zuhört: “Ich kann vielleicht meine eigene Zuhör-Kompetenz verbessern, aber was tue ich, wenn mein Gegenüber mir nicht zuhört?”, gebe ich als Frage in die Runde. Eine Teilnehmerin berichtet von einer ähnlichen Situation in ihrem Leben und gibt mir den Denkanstoß, meinen Vater das nächste Mal darauf anzusprechen, was ich mir von ihm wünschen würde.

In einer gemeinsamen Schlussrunde wird mir klar, wie wertvoll die gemeinsamen Stunden auch für viele andere Teilnehmer waren. Eine Frau teilt:

Mir ist bewusst geworden, dass ich Handlungsspielraum habe.
Workshopteilnehmerin

Ein Mann berichtet, er habe “bei der Arbeit nicht diesen Raum, um über solche Dinge zu sprechen. Ich genieße es sehr, dass das hier möglich ist”. “Mir hat mal jemand gesagt: Dein größtes Problem ist, dass du glaubst, du solltest keine Probleme haben” gibt eine Teilnehmerin als Schlusswort in den Kachelteppich.

Mir kommt der Gedanke, dass ein solcher Workshop in der Zeit der Pandemie wie gerufen kommt. Viele Menschen kommen aktuell an ihre Grenzen. Die Kinderbetreuung muss plötzlich neu organisiert werden. Konflikte verschärfen sich, weil wir seit Monaten von Zuhause aus arbeiten und uns kaum aus dem Weg gehen können. Die Workshops geben Orientierung und helfen uns, in der Beziehung zu uns selbst und im Umgang mit anderen souveräner und feinfühliger zu werden.

Auf die Frage hin, wer beim nächsten Workshop wieder dabei ist, heben fast alle Teilnehmer:innen die Hand. Ich sehe lächelnde Gesichter.

Was hat's gebracht?

In den folgenden Wochen fallen mir kleine Veränderungen an mir auf. Zuhören fällt mir leichter. Ich erlaube es mir, Pausen in einem Gespräch entstehen zu lassen, um meinem Gegenüber Raum zu geben. Während des Tages räume ich mir Minipausen ein, in denen ich bewusst in mich hineinspüre und kurz wahrnehme, wie es mir aktuell geht.

Der nächste Workshop trägt den Titel “Sein oder Wirken?”. Ich freue mich schon, die anderen Teilnehmer:innen wieder zu sehen und bin neugierig auf die kommenden Inhalte. Ihr auch?

Mehr zu den Programmen:

-> betterplace well:being

-> betterplace co:lab

Bei Interesse am Workshop-Programm könnt ihr euch für unseren Infobrief anmelden. Wir informieren euch dann über neueste Entwicklungen des Programms und die anstehenden Termine.

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe