Reflexion zu unterschiedlichen Formen von Führung und Zusammenarbeit

In unserem diesjährigen Team-Retreat haben wir unser gemeinsames Verständnis von New Work in der aktuellen Konstellation in den Blick genommen. Dabei machte ich einen kurzen Input zum Zusammenhang zwischen Organisationsformen und den Haltungen und Weltsichten der Beteiligten. Denn Organisationsmodelle sind nie neutral.

Organisationsmodelle sind nicht neutral

Wir liegen falsch, wenn wir davon ausgehen, dass es sich bei den verschiedenen Organisationsmodellen, also beispielsweise Bürokratien, funktionalen Hierarchien oder kompetenzbasierter Führung, um Strukturen handelt, die von allen Menschen ausgefüllt und bedient werden können. Ebenso wenig sind sich diese Menschen darin einig, wie die Form gefüllt werden muss, damit sie ihrem Zweck dienen kann.

Unterschiedliche Zusammenarbeitsmodelle basieren vielmehr auf zum Teil sehr unterschiedlichen Wertesystemen und Haltungen und sind nur bedingt miteinander kombinierbar. Das liegt auch daran, dass sie als Antworten auf sehr spezifische Herausforderungen zu unterschiedlichen Zeiten und in anderen Arbeitszusammenhängen entstanden sind. Ihre strukturellen und prozessualen Elemente spiegeln verschiedene Vorstellungen von Führung, Macht, Individualität und Gesellschaft wider und reflektieren die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen, Technologien und Regulierungen. Jedes Zusammenarbeitsmodell inkludiert damit bestimmte Haltungen, Qualitäten, Fähigkeiten und Verhaltensweisen und exkludiert andere. Folglich ist jeder Struktur- und Prozessbaustein mit bestimmten Annahmen, Potenzialen und Begrenzungen verbunden, die wiederum unterschiedliche Formen von Diskriminierung und Machtmissbrauch begünstigen oder verhindern.

Im Team kamen wir auf unsere Erfahrungen mit unterschiedlichen Organisationsmodellen zu sprechen. Serap Yılmaz-Dreger, ganz frisch im Team, war in verschiedenen Arbeitsumgebungen tätig: in ihrer Anstellung in der Verwaltung, an einer Universität, als selbständige Podcast-Produzentin und als Ehrenamtliche in einem Verein. Im Anschluss an unsere Teamdiskussion setzte ich mich mit ihr zusammen, um gemeinsam diese unterschiedlichen Arbeitsumgebungen zu reflektieren.

Du hast in den letzten 10 Jahren in sehr unterschiedlichen Settings gearbeitet. Mich würde interessieren, welche Erfahrungen du da gemacht hast.

Serap: Obwohl sich die Strukturen stark voneinander unterschieden, hatten alle Teams, in denen ich gearbeitet habe, eines gemeinsam: Sie waren sehr motiviert und teilten übergeordnete Werte. Wir alle wollten stets etwas Größeres gemeinsam machen. Das ist mir persönlich total wichtig.

Ich habe erlebt, dass es Wechselwirkungen gibt zwischen der Motivation und dem Verhalten einzelner Mitarbeiter*innen und den äußeren Strukturen, in denen sie agieren. Idealerweise wird der Veränderungswille eines Menschen gut aufgefangen und begleitet, ist der Arbeitsplatz ein Ort der Potentialentfaltung. Wir sprechen ja davon, dass Menschen, nachdem sie zuerst von ihrer Familie und dann von Schule und Freundeskreis geformt werden, am Arbeitsplatz eine 3. Sozialisation erfahren. Und da ist es wichtig, sich anzuschauen, wie Mensch und Organisationskultur sich wechselseitig beeinflussen.

Verwaltung: Sicherheit vs. Entfaltung

Als ich nach dem Studium anfing in einer Verwaltung zu arbeiten, waren die Strukturen, die ich dort vorfand, sehr hilfreich. Es war klar, was ich mache und wie ich mich weiterentwickeln kann. Im Gegensatz zu dem oft schlechten Ruf der Bürokratie, als zu starr und langsam, habe ich erlebt, dass der öffentliche Sektor wirklich Lust auf Diversität in all ihren Ausprägungen hat.

Wenn Menschen schnell ins Tun kommen, mit viel Freiraum umgehen können und selbst viel gestalten wollen, stoßen sie in Verwaltungen an Grenzen. Vorgesetzten, die das Wachstum durchaus gern unterstützen wollen, sind die Hände gebunden, denn sie können nur einen bestimmten, abgesteckten Freiraum zur Entfaltung anbieten.

Nichtsdestotrotz finde ich es wichtig, dass wir die psychologische Sicherheit, die mit einer solchen Anstellung einher geht, wertschätzen. Gerade auch Menschen aus nicht-privilegierten Lebenssituationen gibt sie Stabilität. Du hast einen festen Platz, materielle Sicherheit, deine Stelle ist unbefristet. Und noch dazu arbeitest du weitgehend ohne den externen Druck, irgendwelche Kennzahlen zu erfüllen. In dieser Hinsicht sind die Rahmenbedingungen in gut geführten Verwaltungen mit motivierten Mitarbeiter*innen geradezu paradiesisch.

Ehrenamt: Freiräume, Verbundenheit, hohes Wirksamkeitsempfinden und die Gefahr, die eigenen Grenzen zu vergessen

Du engagierst dich auch im Ehrenamt. Wie erlebst du die Arbeit dort, in ihren Höhen und Tiefen?

Serap: Ich bin Teil eines Kollektivs, in dem viele Führungsaufgaben verteilt sind. Ich habe die Tätigkeit als sehr ermächtigend empfunden. Menschen fragen dich: Worauf hast du Lust? Womit möchtest du dich einbringen? Ich habe ganz viele neue Freiräume kennengelernt. Und das ist gerade für Menschen, die sonst im Job noch nicht viel Verantwortung übernehmen können, eine super Erfahrung. Da kommen Sicherheit und Freiheit zusammen. Wir geben uns auf der Beziehungsebene viel Stabilität und erkennen zugleich die Wirksamkeit jede*r*s Einzelnen an. Und wir pflegen eine explizite Fehlerkultur, was ich weder von den anderen Arbeitszusammenhängen kenne noch überhaupt in Deutschland so erlebt habe.

Aber wenn du nach Höhen und Tiefen fragst, dann entstehen im Bereich ehrenamtlicher Arbeit Herausforderungen durch den Mangel an Ressourcen. Man läuft ständig Gefahr, sich selbst auszubeuten.

Ja, das kenne ich aus dem Gemeinwohl-Sektor nur zu gut. Das ist ja auch ein wesentlicher Grund, weshalb wir uns im betterplace lab mit Resilienz, Wellbeing und Inner Work beschäftigen. Magst du noch etwas über deine Selbstständigkeit erzählen? Wie erfährst du diese Beschäftigungsform?

Spielwiese und unternehmerischer Druck

Serap: Ich habe einen Podcast zur post-migrantischen Erinnerungskultur auf die Beine gestellt und mit Freelancer*innen daran zusammengearbeitet. Hinzu kommt, dass ich im Auftrag von Kultur- und Bildungsinstitutionen Aufträge annehme. Ich mache das in Selbstständigkeit als Nebentätigkeit. Full-time würde die Selbstständigkeit einen ganz schönen Druck erzeugen, wenn ich immer genügend Aufträge bräuchte, um mich finanzieren zu können. Aber so, als Nebentätigkeit, ist es eine fantastische Spielwiese, auf der ich mich austoben kann.

Interessanterweise haben mir meine bisherigen unterschiedlichen Arbeitserfahrungen dabei sehr geholfen. Denn ich weiß, welche “Sprache” ich jeweils sprechen muss, damit die Zusammenarbeit funktioniert. Ich fungiere als Übersetzerin, ich habe eine gewisse sogenannte „Systemschläue“.

Ja, ich glaube wir brauchen in einer Gesellschaft, in der so viele unterschiedliche Organisationsmodelle mit den jeweiligen Haltungen und Bedürfnissen koexistieren, viel mehr Menschen, die wie du die verschiedenen Organisationsformen aus eigener Erfahrung kennen und dann zwischen ihnen vermitteln können. Eben weil sie ihre meist ja nur impliziten Merkmale und Besonderheiten kennen.

Serap: Mir ist wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass unterschiedliche Aufgaben auch unterschiedliche Organisationsstrukturen und Führungsformen erfordern. Wenn ich bei der Feuerwehr bin, ist es wichtig, dass eine Person das Kommando hat und ansagt, wie viele Menschen mit welchen Werkzeugen in ein brennendes Haus gehen. Und ich wünsche mir auch ein explizites Bewusstsein dafür, dass diese Organisationsformen nicht in Reinform existieren, sondern es selbst in einem Unternehmen verschiedene Formen gibt, dass beispielsweise in einer funktionalen Hierarchie viele kleine Teams schon längst kompetenzbasiert arbeiten. Oft jedoch nicht sichtbar und offiziell, sondern eher implizit.

Und nach meiner positiven Erfahrung in der Verwaltung möchte ich auch dafür ein Plädoyer halten, dass wir die nicht klischeehaft abwerten.

Bürokratie behandelt Menschen erstmal gleich. Ich selbst hätte es als Berufseinsteigerin gar nicht geschafft, mein Gehalt selbst auszuhandeln, so wie das im betterplace lab gemacht wird. Mich hat es entlastet zu wissen, dass ich das Gleiche verdiene wie andere auch. Von dieser Basis aus konnte ich mich selbst entfalten.

Und wenn es um Erfahrungen geht, wünsche ich mir für meinen Arbeitsplatz, dass auch Kompetenzen, die Menschen in ihrem Privatleben aufgebaut haben, im Job eingebracht und wertgeschätzt werden. Wie toll ist das, beispielsweise, wenn jemand eine Familie managed? Wenn jemand bestimmte Interessen hat? Leider wird das zumeist ausgeblendet oder sogar gebremst. Aber genau da findet Kollaboration statt: wenn wir uns als ganze Menschen gemeinsam aufeinander einlassen und dabei etwas Neues entsteht.

Vielen Dank, Serap, für dieses Gespräch.

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe