Rückblick auf zwei Jahre co:lab & well:being

Was wird in Zeiten von Stapelkrisen deutlich sichtbar? Genau, alles das, was nicht so richtig flutscht. Dass unsere Programme co:lab und well:being von Pandemiewellen und Kriegsnachrichten begleitet würden, hatten wir uns nicht ausmalen können. Dass sich Krisen türmen, war indes klar. Engagierte aus dem sozialen Sektor kamen von Oktober 2020 bis August 2022 in unseren Workshops zusammen und übten, ihren Selbstkontakt zu stärken und die Fähigkeit zu kollaborativer Zusammenarbeit zu trainieren, um sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen zu können. Die beiden Pilot-Programme gaben jenen Raum, die sich hauptberuflich oder ehrenamtlich für eine gesündere, nachhaltige und solidarische Zukunft einsetzen.

Dem betterplace well:being Programm liegt der Gedanke zugrunde, dass Menschen, die sich den globalen Herausforderungen widmen, ein besonderes Maß an innerer Stabilität brauchen. Denn gerade jene Menschen laufen Gefahr, ihre eigene Gesundheit zu vernachlässigen und sind häufig durch prekäre Lebensverhältnisse besonders beansprucht.

Das betterplace co:lab Programm zielt darauf ab, Organisationen zu befähigen, mit anderen Akteur*innen im gemeinsamen Wirkungsbereich so zusammenzuarbeiten, dass echte Kollaboration entsteht. Gemeinsam lernen sie, sich auf ihre verschiedenen Blickwinkel einzulassen und im gemeinsamen Prozess Lösungsperspektiven zu erarbeiten, die mehr sind als die Summe ihrer Teile. In acht thematischen Clustern suchten Organisationen in den letzten beiden Jahren Wege, um ihren Zielen gemeinsam näher zu kommen.

Während der Projektlaufzeit besuchten innerhalb der beiden Programme rund 1.000 Teilnehmende ca. 90 Workshops. Es fanden acht begleitende Veranstaltungen unter dem Titel co:lab X statt und im September letzten Jahres luden wir zu einer Konferenz in Berlin ein. Zu jedem Programm wurde eine vierteilige Podcast-Reihe veröffentlicht. Ermöglicht wurde das durch die Kollaboration zwischen dem betterplace lab, einem Team aus Trainer*innen und den Förderpartnern Schöpflin Stiftung, Luminate und den drei Betriebskrankenkassen BKK VBU, pronova BKK und Salus BKK, die strategisch von Anfang an mit einbezogen wurden. Das Programm betterplace co:lab ist also Ergebnis eines kollaborativen Prozesses, in dem verschiedene Menschen zusammen kamen und darauf hingearbeitet haben, dass etwas neues Gemeinsames entsteht.

Bei der Aufnahme des Podcasts zu Kollaboration: links: Franziska Schönberg, rechts: Anja Adler

Anja Adler und Franziska Schönberg blicken auf die beiden Jahre Programmleitung zurück.

Franziska Schönberg: Wenn ich an die allerersten Workshops zurückdenke, fällt mir ein, dass ich sehr aufgeregt war. Corona war immerhin schon ein dreiviertel Jahr im Gange, Zoom-Fatigue ein Thema. Wir befürchteten, noch ein weiteres digitales Angebot könnte zu viel sein. Erfreulicherweise traf das aber nicht zu.

Anja Adler: Im Gegenteil. Es war beeindruckend, in diesen Workshops eine ungekannte Qualität im digitalen Raum zu erfahren. Wir alle spürten Tiefe und Nähe. Bis heute ist das etwas Besonderes, dass so eine Ganzheitlichkeit im digitalen Beisammensein möglich ist.

Ein interaktives Format, das darauf fußt, mit sich und mit anderen intensiv in Beziehung zu treten – und das Ganze vor und durch den Bildschirm? Während der letzten fünf Monate und sieben Workshops habe ich mich gerne überraschen und vom Gegenteil überzeugen lassen. Vor allem in den Breakout Sessions habe ich immer wieder die Erfahrung eines authentischen, tiefen, verbundenen Miteinanders gemacht.
Aus dem Erfahrungsbericht der Workshopteilnehmerin Nadine Birner

Was wir mit dem Verlagern der Workshops ins Digitale für einen besonderen Beitrag leisten würden, hatten wir im Vorhinein unmöglich antizipieren können. In dieser gerade auch für Menschen im sozialen Sektor herausfordernden Zeit konnten wir ihnen einen Raum geben, um sich zu orientieren und sich selbst zu erfahren.

Ich fand es überraschend oder sogar ein bisschen erschreckend, wie wenig die Ganzheitlichkeit, zu der wir in diesen Räumen einluden, in anderen Organisationen Normalität ist. Ich selbst komme aus einer Arbeitskultur, sowohl im betterplace lab als auch davor, wo das ganz einfach dazugehört. Es war erbaulich zu hören, wie dankbar die Menschen das aufgenommen haben. Wir hörten Sätze wie: “Wow, das ist wirklich anders hier. Das tut mir gut.” oder “Ich suchte eigentlich danach und finde es schön, das hier zu erfahren.”

Das ganze Programm war voller Aha-Momente

Franziska Schönberg: Die beiden Programme waren Pilotprojekte und der Erkenntnisgewinn damit entsprechend hoch. Viele Überlegungen, die wir im betterplace lab angestellt hatten, sind schließlich in diese Projekte eingeflossen. Wir hatten sehr viel Freiheit, Dinge auszuprobieren und dabei gab es selbstverständlich eine Menge zu lernen.

Man kann ja endlos Zeit und Gedanken in die Konzepte stecken. Geht es dann an die Umsetzung, stellt man fest, dass die Prozesse mal mehr, mal weniger gut passen. Schließlich arbeiten wir mit Menschen, die in ihren jeweiligen Zwängen und Bedürfnissen gefangen sind. Wir haben deswegen fortwährend evaluiert und im Laufe des Programms immer wieder überlegt, was wir ändern sollten. Gerade am Anfang schauten wir uns mit den Trainer*innen wiederholt die Basis-Workshops an und überlegten gemeinsam, ob wir etwas anpassen müssen. Auch an der Zielgruppenansprache und der Programmkommunikation haben wir immer wieder gefeilt. Beim Cluster-Prozess entschieden wir in der Mitte des Programms, einfach noch einmal das Bewerbungsverfahren zu ändern. Es gab lauter Aha-Momente im Sinne von Erkenntnisgewinn. Daraus folgend nahmen wir Anpassungen auf Grundlage unserer Learnings vor.

Anja Adler: Ich fand dieses begleitende Lernen und Anpassen ebenso spannend wie herausfordernd. Da schreibt man einen Antrag, konzipiert gemeinsam mit den Trainer*innen ein Raster für die Workshops und plant, wie ein idealtypischer Cluster-Prozess in der Prozessbegleitung läuft. In meinem Kopf setzt sich dann fest: Das ist eine runde Sache, so sollte es laufen.

Nun haben wir das aber konstant positiv selbstkritisch in Frage gestellt: Ist das, was wir da machen gut? Funktioniert es richtig? Das war echt eine Herausforderung. Wir durften uns gegenseitig in der Leitungsrolle immer mal wieder daran erinnern, insbesondere mit Blick auf die Förderpartner*innen dieses konstante Lernen zu leben, Einzelheiten zu verändern und anfangs nicht genau zu wissen, ob alles optimal geplant ist.

Man kann nicht einfach sagen, wirkt oder wirkt nicht

Wie lassen sich die konstant evaluierten Prozesse bewerten? Wurde die intendierte Wirkung eingelöst?

Anja Adler: Die Programme bilden zwei Säulen. Zum einen geht es um die Kompetenzsteigerung bei den Individuen mit Blick auf Zusammenarbeit und zum anderen um das Begleiten von Organisations-Bündnissen. Schauen wir uns die erste Säule an, wird schnell deutlich, wie wenig genau sich die Wirkung messen lässt. Denn setzen wir den Fokus beim Individuum, müssten wir zuerst den Punkt Null erheben: Was kann die Person am Anfang? Und nach der Teilnahme am Programm wäre dann festzustellen: Was kann sie jetzt mehr? Wir haben das über eine Selbstauskunft nachgewiesen, d. h. den Personen war es selbst überlassen, sich einzuschätzen und sich zu fragen: Habe ich eine Veränderung festgestellt?

Auf Basis dieser Evaluationsergebnisse können wir sagen, bei ⅔ der Menschen, die teilgenommen haben – und unsere Fragebögen wurden tatsächlich von einer Vielzahl ausgefüllt –, dass sie das Gelernte im Alltag anwenden können. Mindestens die Hälfte gibt an, dass sich die Zusammenarbeit durch das, was die Personen im Programm erfahren haben, verbessert hat.

Wir haben über die vielen Freitextantworten in den Fragebögen immer wieder Beispiele dafür genannt bekommen. Zum Beispiel waren Redeanteile in Meetings danach ausgeglichener. Personen, die teilgenommen haben, gaben an, besser auf die verschiedenen Wahrnehmungsebenen (mental, emotional, körperlich) in sich hören zu können und dass sie dafür Zeit einfordern.

Bei der zweiten Säule, der Zusammenarbeit in Bündnissen innerhalb unserer Cluster, ist es nochmal um einiges schwieriger mit der Messbarkeit, weil wir einfach so vieles noch nicht wissen. Die Wirkung ist sehr viel komplexer, wenn vier oder mehr Organisationen zusammenkommen und über einen langen Zeitraum miteinander arbeiten. Hier haben wir uns eher über Fallstudien, einzelne Interviews und Gespräche, die Beobachtung sowie die Reflexion mit den Trainer*innen angenähert, um die Wirkung nachzuverfolgen.

Bettina Rollow, unser Mastercoach, die maßgeblich in die Entwicklung der Programme involviert war, sagt, dass sie sich als Coach völlig in den Dienst der Gruppe stelle. Wenn sie eine Gruppe in einem Prozessabschnitt mit einem zu Anfang definierten Ziel begleitet, dann konzentriert sie sich darauf, wie sie diesen Prozessabschnitt bestmöglich unterstützen kann. Selbst wenn am Ende herauskommt, dass die Gruppe nicht mehr zusammenarbeiten will, dann sei es das bestmögliche Ergebnis für diese Gruppe, das geklärt zu haben. Das macht deutlich, wie viel komplexer und herausfordernd es ist, dabei über Wirkung nachzudenken.

Franziska Schönberg: Die Cluster-Prozesse sollten ja auf die von uns definierten Ziele einzahlen: Kollaboration fördern, Zusammenarbeit stärken und Gruppen dabei unterstützen, ein gesellschaftliches Problem zu lösen, insbesondere wenn es um spezifische Lösungsansätze geht. Gesellschaftliche Probleme sind meistens sehr vielschichtig und multidimensional. Innerhalb unseres Lernprozesses ist die Komplexität greifbarer geworden.

In den Abschlussrunden der einzelnen Workshops beider Programme äußerten die Teilnehmenden ein ganz authentisches, sehr positives Feedback.

Mir hat der praktische Alltagsbezug in der Workshopreihe gut gefallen und einige Elemente, wie beispielsweise Meditation und die bewusste Unterscheidung zwischen der physischen, emotionalen und mentalen Ebene, wende ich inzwischen regelmäßig an. Die Inhalte der Workshops prägen mich zudem auch in meiner Rolle als Geschäftsführerin und haben die Gestaltung von unseren teaminternen Prozessen mit beeinflusst.
Aus einem Interview mit Workshop-Teilnnehmerin Anna Meister

Kollaboration von A bis Z

Die beiden Programme zielen nicht nur darauf ab, kollaborative Zusammenarbeit zu ermöglichen und zu fördern. Sie sind von der Konzeption bis zur Umsetzung Ergebnis kollaborativer Prozesse. Wie stellte sich das dar?

Anja Adler: Was wir mit den Programmen an die Zielgruppe bringen, wenden wir natürlich auch in unserer eigenen Form der Zusammenarbeit an. So pflegten wir mit den Trainer*innen ein sehr partnerschaftliches Verhältnis. Vom Selbstkontakt ausgehend haben wir einen sehr guten Beziehungsraum voller Vertrauen ihnen aufgebaut, so dass wir alle offen, direkt und auch kritisch miteinander sprechen konnten, um das Programm gemeinsam zu verbessern.

Wir haben unsere Ideen und auch unterschiedliche Ansätze immer wieder gemeinsam in Frage gestellt. Ich verstehe die Trainer*innen als erweitertes Programm-Team. Es war nicht einfach nur ein Dienstleistungsauftrag, für uns Workshops durchzuführen, sondern eine gemeinsame Arbeitskultur, die wir in die Workshops tragen konnten.

Franziska Schönberg: Im Endeffekt waren die Trainer*innen ja tatsächlich auch das Gesicht unseres Programms. Wir haben gemerkt, wie gut die Art und Weise der Facilitation bei den Teilnehmenden ankam. Die Trainer*innen hatten unterschiedliche Ansätze und diese trafen auf verschiedene Resonanz bei den Menschen. Über Sucha sagten die Teilnehmenden zum Beispiel häufig, sie kreiere in Sekunden einen sicheren Raum. Anjet wurde in unserer Evaluation aufgrund ihrer tiefen Expertise gelobt, empathisch auf Gruppen einzugehen. Rivka kam mit ihren körperbasierten Ansätzen super an.

Im Endeffekt waren die Trainer*innen ja tatsächlich auch das Gesicht unseres Programms. Wir haben gemerkt, wie gut die Art und Weise der Facilitation bei den Teilnehmenden ankam.
Franziska Schönberg

Das ganze konzeptionelle und programmtechnische Gerüst hat seine Wirkung durch dieses Team entfalten können – Qualität, Ausbildung und Haltung der Trainer*innen waren maßgeblich verantwortlich für das Programm.

Es hat auch ausgesprochen gut harmoniert zwischen uns, dem Projektteam, und dem Trainer*innen-Team. Das war eine wertschätzende Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Von der Offenheit für Feedback in beide Richtungen hat das Programm profitiert.

Anja Adler: Ähnliches können wir über das Verhältnis zu den Förderpartner*innen berichten. Wir haben in den zwei Jahren Programmarbeit zu ihnen ein ehrliches und verbundenes Verhältnis aufgebaut und sie auf unsere Lernreise mit einer großen Offenheit kontinuierlich mitgenommen.

Auf der Seite der Fördererpartner*innen war die Bereitschaft zum Mitlernen, ein Interesse am Ausprobieren, ja, eine wirkliche Experimentierfreude vorhanden, wobei selbst die Möglichkeit zu scheitern in Betracht gezogen werden musste. Das ist etwas Besonderes.
Anja Adler

Gerade die Krankenkassen, die das well:being Programm gefördert haben, kommen aus einer ganz anderen Systemlogik. So eine Art zu arbeiten war ihnen gar nicht bekannt. Sie haben auch an Workshops teilgenommen und es war neu für sie, über innere Kompetenzen in dieser Sprachlichkeit und Vertrautheit zu reden, die sie dort entsprechend erlebt haben. Es gab ein großes Interesse, eine große Offenheit und viel Experimentierfreude.

Franziska Schönberg: Die gute partnerschaftliche Beziehung hat auch im Falle vom betterplace co:lab die Qualität des Programms gesteigert. Die Schöpflin Stiftung und Luminate haben sich konzeptionell beteiligt und es bestand generell ein großes Commitment. Dadurch ist etwas Gemeinschaftliches entstanden, was im Falle der Schöpflin Stiftung jetzt dazu führt, dass sie weiter mit uns arbeiten wollen und an dieses Programm glauben.

Aussichten – Was sollte sich an den Programmen ändern?

Anja Adler: Wir möchten, dass beide Programme noch für viel mehr Menschen als bisher zugänglich sind. In der ersten Phase haben wir Organisationen erreicht, die thematisch relativ nah am betterplace lab stehen. Wir glauben aber, dass sie auch in anderen Kontexten interessant und relevant sein können. Wir haben viele Leute noch nicht erreichen können. Bisher haben zum Beispiel vor allem Frauen teilgenommen und das, obwohl im sozialen Sektor in vielen Führungsetagen noch hauptsächlich Männer sitzen. Um eine Arbeitskultur wirklich nachhaltig zu verändern, ist es wichtig, dass auch sie an solchen Weiterbildungsprogrammen teilnehmen.

Franziska Schönberg: Ein wichtiges Learning aus dieser Pilotphase ist, dass wir die Cluster-Prozesse in der Zukunft sehr viel bedarfsorientierter gestalten wollen. Wir hatten uns einen sehr standardisierten Prozess überlegt, der auf alle acht Gruppen passen musste. Das ist unrealistisch gewesen. Deswegen werden wir in der nächsten Programmphase gemeinsam mit den Trainer*innen mehr Zeit in eine bedarfsgerechte Gestaltung der Cluster-Prozesse und realistische Erwartungen investieren. Wenn wir genauer analysieren, mit welchem Ziel die jeweilige Gruppe den Prozess antritt und was wir in der verfügbaren Zeit mit ihr erreichen können, lässt sich ein individualisierter Prozess stricken, in dem wir bestmöglich unterstützen können.

Die beiden Programmleiterinnen haben wir im November verabschiedet. Aktuell ist Isabel Gahren mit der Leitung betraut.

Das Programm betterplace well:being wurde und wird unterstützt durch die BKK∙VBU, pronova BKK und Salus BKK. Das betterplace co:lab-Programm wurde bisher ermöglicht durch Luminate und die Schöpflin Stiftung. Die Schöpflin Stiftung fördert gemeinsam mit der BMW Foundation den Anschub der zweiten Runde.

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe