Präsenz, Verkörperung und Innovation

Wie ein Meditationsraum unsere Arbeit verändert

Jede Sekunde produziert der menschliche Körper die gleiche Datenmenge wie 40–50 High-Resolution Filme. Unser Inneres ist unentwegt in Bewegung, so viele Informationen werden ausgetauscht, gedacht, gefühlt — wie kann es da überhaupt möglich sein in “Stille” zu sitzen, wie es uns Mindfullness-Kurse suggerieren? Zumal die meisten dieser Prozesse und Bewegungen unbewusst, automatisch und selbstorganisiert ablaufen, völlig jenseits unserer Willenskontrolle. Das erste, das jedem Meditierenden auf dem Kissen begegnet, außer den eingeschlafenen Füßen oder dem schmerzenden Rücken, ist das eigene “Monkey Mind”. Dieser buddhistische Begriff bezeichnet die innere Unruhe, das unbeständige, unkontrollierbare Kommen und Gehen, das zirkuläre Kreisen von Gedanken und Empfindungen.

Und dennoch kennen viele Meditierende diese köstlichen Momente, in denen das Gewimmel der Empfindungen und Wahrnehmungen sich absenkt und eine andere Qualität von Raum und Stille in uns auftaucht. Manchmal habe ich dann das Gefühl, als wenn ich ganz neu in meinem Körper lande, quasi wie an einer Ladestation andocke und plötzlich viel mehr mit mir und der Welt verbunden bin. Die Qualität des Seins verändert sich in diesen Momenten so stark, dass es mir fast wie eine Parallelwelt erscheint.

Meditation im bUm

Als wir im Herbst 2019 das bUm, den neuen Raum für die engagierte Zivilgesellschaft in Berlin Kreuzberg bezogen, war es mir ein großes Anliegen, Meditation in unserem Arbeitsalltag zu verankern. Durch die großartige Unterstützung des Benediktushofs wurde dies schnell zur Realität: wir konnten nicht nur 2 Räume mit Matten und Kissen ausstatten, sondern auch von einem Pool erfahrener Meditationslehrer profitieren, die seit November zweimal wöchentlich jeweils eine Stunde verschiedene Meditationen anleiten.

Präsenzraum im bUm

Da ist Morten, der Dienstag morgens eine Tee-Meditation anbietet (kannte ich vorher nicht, ist aber der Hit!), Constanze und Hans, die klassisches ZaZen machen (25 Minuten sitzen, 5 Minuten Gehmeditation, weitere 25 Minuten sitzen in Stille), oder Liliane, die — gerade auch für Anfänger sehr passend — ihre Meditation mit einer Körper- oder Atemübung beginnt und die Stillemeditation stärker anleitet.

Ich erlebe diese Meditationen, zu Beginn des Arbeitstags oder an dessen Ausklang, als enorme Bereicherung. Anders als meine eigene Sitzpraxis morgens zu Hause, wirken sie viel mehr in meinen Arbeitsalltag hinein. Morgens stimmen sie mich auf die Arbeit im bUm ein, indem sie eine Qualität von Ruhe und Aufmerksamkeit erzeugen. Abends wirken sie enorm regenerativ, wie ein Aufladen der hochtourig gelaufenen Batterie.

Meist sind wir 4–8 Teilnehmer, die für die ganze Zeit, oder die Hälfte (es ist jeweils möglich schon nach 30 Minuten zu gehen) zusammen sitzen. Noch sind es meist die “üblich Verdächtigen”, Teile des bUm Teams oder des betterplace labs. Aber immer öfter gesellen sich auch andere Teilnehmer der entstehenden bUm-Community dazu. Uns ist sehr daran gelegen, wirklich alle Interessierten zu erreichen und die Meditation so niedrigschwellig wie möglich zu machen.

Also — wenn ihr dieses liest und noch nicht mit uns meditiert habt — kommt vorbei und setzt euch einfach aufs Kissen oder die Sitzbank. Es bedarf keiner Vorkenntnisse und man kann nichts falsch machen. Die Sessions finden jeweils Dienstags um 9:00 und Donnerstags um 17:30 im Untergeschoss des bUms, Paul-Lincke Ufer 21 statt. Wer möchte, bleibt danach noch ein paar Minuten für einen Erfahrungsaustausch zusammen.

Der Meditationsraum als Meetingraum

In der restlichen Zeit kann man den Meditationsraum auch für Meetings buchen. Teams sind aufgefordert ein paar neue Elemente in ihre Meetings zu integrieren — Check-ins und Check-outs, ein paar Elemente der transparenten Kommunikation und Metareflexion, die es ihnen ermöglichen sollen wacher, fokussierter und kreativer zu arbeiten.

Unsere ersten Experimente mit diesem Raum und den Impulsen für eine wachere Meetingkultur haben spannende Ergebnisse zutage gefördert. Diese sind bislang nur anekdotischer Natur und basieren auf Gesprächen mit Teilnehmern, meinen eigenen Erfahrungen, sowie Einträgen im Gästebuch, welches im Raum ausliegt. Wir hoffen, in Zukunft belastbarere, empirische Ergebnisse präsentieren zu können (dafür brauchen wir Funding).

Der Raum scheint grundsätzlich dazu beizutragen das Meetings ruhiger, empathischer und entspannter ablaufen. Alleine die Tatsache, dass alle auf dem Boden sitzen, hilft dem Einzelnen sich (nicht nur sprichwörtlich) zu erden. Nicht nur im Kopf zu sein, sondern den Körper stärker einzubeziehen.

Eine NGO, die mit entkoppelten Jugendlichen arbeitet und sich mit einem besonders hyperaktiven Jugendlichen im bUm Präsenzraum traf, berichtete, dass sie selten eine solche ruhige und konstruktive Begegnung hatten. In Treffen zwischen Geldgebern und Förderprojekten wiederum konnte ich erleben, dass das bestehende Machtgefälle zwischen beiden ausgeglichener erschien und man sich mehr auf Augenhöhe begegnete. Der Raum lädt dazu ein, offener, direkter und bewusster miteinander zu kommunizieren. Alleine schon deshalb, weil das Setting ungewöhnlich ist, sind Menschen bereit sich anders zu verhalten als gewöhnlich.

Zusätzlich zur normalen Raumbuchung hat das bUm-Team noch ein weiteres Format für den Präsenzraum entwickelt: die bUmUnity Werkstatt. Hierzu kann ein Mitglied der bUm-Community alle anderen einladen, um gemeinsam an einer konkreten Herausforderung zu arbeiten. Eine meiner Kolleginnen vom betterplace lab moderiert die Session und hält den Raum für die Anwesenden, die Aufgabe und den Prozess.

Wenn ihr an einer solch moderierten Session zu einem konkreten Thema interessiert seid (auch als (noch) nicht Mitglied des bUm), wendet euch an unsere Community-Managerin Florinn unter florinn(at)bum.com.

Umfassenderes Fühlen ebnet den Weg für bedeutsame Innovationen

Ein Thema, das wir im bUm Präsenzraum besonders erforschen wollen ist, wie Fühlen und Verkörperung mit Innovation und Purpose zusammen hängen. Unsere These ist, das Embodiment zum einen die Beziehungsqualität unter den Teilnehmern stärkt. Denn Kopf/Körper zu Kopf/Körper kommuniziert einfach um Längen besser als Kopf zu Kopf. Uns interessiert darüber hinaus, wie wir unseren Körper und ein erweitertes Fühlen als Instrument einsetzten können, um bessere Ideen und Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen zu bekommen (mehr dazu in dem Artikel How Can we Create Meaningful Innovations?). Wenn wir im Körper verankert und mit unseren Gefühlen im Kontakt sind, können wir auf verschiedenen Ebenen — der intellektuellen, emotionalen, physischen und der spirituell-intuitiven — Informationen empfangen und die in diesem Raum entstehenden Ideen und Innovationen sind höchstwahrscheinlich viel reichhaltiger als herkömmliche Kopfgeburten.

Habt ihr Erfahrungen an dieser Schnittstelle zwischen Meditation und Arbeitskultur, Körper und Innovation? Dann freue ich mich über eure Hinweise und Kommentare unter dem Artikel!

Dieser Artikel wurde ursprünglich veröffentlicht auf Medium.

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe