Sehr geehrte Frau Dr. Giffey, sehr geehrte Frau Klöckner, sehr geehrter Herr Seehofer, sehr geehrte Damen und Herren,
Wieso wir uns (jetzt) zu Wort melden
Mit der Annahme des Gesetzesentwurfs am 30.1.2020 im Deutschen Bundestag ist die Errichtung der DSEE auf den Weg gebracht. Im betterplace lab durften wir im Konzeptionsprozess als zivilgesellschaftlicher Stakeholder Impulse geben, umso interessierter haben wir die Genese des vorliegenden Gesetzesentwurfs und die lebhafte zivilgesellschaftliche Diskussion dazu verfolgt. Wir wollen zu diesem Zeitpunkt, da der Rahmen gesetzt ist und die DSEE kurz vor dem Start ihres operativen Aufbaus steht, konstruktive Impulse zur Verortung und Ausgestaltung des Tätigkeitsfelds der Stiftung in die Diskussion geben, und das mit Schwerpunkt auf unsere beiden Herzens- und Kompetenzbereiche: Engagement im digitalen Wandel und soziale Innovation.
Das betterplace lab
Das betterplace lab ist das Denklabor in der Familie des gemeinnützigen Sozialunternehmens betterplace. Seit 10 Jahren finden, erforschen und fördern wir, was das Digitale sozial macht.
Dies tun wir im engen Verbund mit unserer Schwester betterplace.org, Deutschlands größter Spendenplattform für gemeinnütziges Engagement, durch die wir in stetigem Kontakt mit über 30.000 sozialen Projekten, ihren Inhalten und organisatorischen Bedürfnissen stehen. Mit der betterplace academy schaffen wir, gefördert durch das BMI, eine Lernplattform für soziales Arbeiten im digitalen Wandel.
In 2019 haben wir in Kooperation mit der Karuna Sozialgenossenschaft das bUm - Raum für die engagierte Zivilgesellschaft eröffnet: Auf 4000qm ermöglichen wir in Berlin-Kreuzberg Raum für gesellschaftliches Engagement, Austausch und Zusammenarbeit für eine gemeinwohlorientierte Zukunftsgestaltung.
betterplace hat sich zur wichtigen Wirkungsplattform für Engagement in Deutschland entwickelt. Wir unterstützen mit Infrastruktur, Wissen und Vernetzung. Gemeinsam mit den Engagierten erschließen wir, wie soziales Wirken im und durch den technologischen Wandel gelingt und setzen uns für eine starke, innovationsfreudige Engagementlandschaft ein, die mit Kompetenz, Kreativität und Kraft gesellschaftliches Miteinander gestaltet.
Zur Verortung der Stiftung: Arbeit im Netzwerk, und zwischen den Welten
Wir begrüßen die Errichtung einer DSEE. Besonders freuen wir uns über zwei der gewählten Schwerpunkte: einerseits die Stärkung der Engagementlandschaft im Kontext des technologischen Wandels, andererseits die Förderung sozialer Innovation. Wir sind überzeugt, dass die DSEE praktischen Mehrwert und innovative Dynamik in der Engagementlandschaft stiften kann.
Nun kommt es darauf an, die Ausrichtung und Arbeitsweise so zu gestalten, dass sie im lebendigen, vielfältigen Kontext der Engagementförderung in Deutschland einen sinnhaften Platz einnimmt. Wir denken, dass das gelingen kann, wenn die Stiftung ihren Auftrag, Engagement und Ehrenamt zu fördern und zu stärken, bewusst als Aufgabe in einem breiten Netzwerk lebt, in dem sie eine stärkende Rolle einnimmt. Nichts spricht gegen eine operativ tätige Organisation, wenn diese sich als Plattform versteht, die Raum und Ressourcen fürs Miteinander-Wirken im größeren Netzwerk schafft. Umso besser, wenn sie ihre Arbeit im kontinuierlichen Dialog mit denen gestaltet, die sie unterstützen will: den Engagierten vor Ort.
Mit der Errichtung der DSEE ergibt sich die Gelegenheit, Verständnis für- und Austausch miteinander zwischen Politik und Zivilgesellschaft zu stärken. Dass die Stiftung als eigenständige Organisation mit enger Anbindung an die Ministerien ein intersektorales Grenzwesen ist, kann als große Stärke gelebt werden: Bekommt die Stiftung aus beiden Sektoren die Freiheit zugesprochen, weder ganz Behörde noch ganz NGO zu sein, aber beides jeweils ein bisschen, kann sie zu einer Identität als intersektorale Brücke finden. Die Chancen, die darin liegen sind u. a. offene, wirkungsorientierte Kommunikation, bedarfsgerechtere Förderung und besser aufeinander abgestimmte Maßnahmen zwischen öffentlicher Hand und Zivilgesellschaft.
Für alle Maßnahmen würden wir uns wünschen, dass die DSEE sich als Ermöglicher im Miteinander versteht. Sie birgt die Chance, Transparenz in die Landkarte der vielfältigen Angebote und Strukturen zur Engagementförderung zu bringen.
Dort, wo Lücken sichtbar werden, kann sie Aufbau anschieben. Sie kann durch Forschung und Experiment beitragen, dass wir besser verstehen, was Engagement anregt und lebendig hält – kooperativ mit den Organisationen und Engagierten im Feld.
Mit Blick auf die gute Arbeit bestehender Strukturen kann sie neue Wege der Förderung gehen, weg vom Modellprojektzwang, hin zur kontinuierlichen Finanzierung. Und darüber hinaus: Jedem Netzwerk tut es gut, wenn jemand da ist, der es pflegt, Austausch anregt und Wissensressourcen bereitstellt. Welche Potentiale darin liegen, dürfen wir beim Aufbau von Das Nettz, der zivilgesellschaftlichen Vernetzungsstelle gegen Hate Speech, selbst erleben.
Zum inhaltlichen Schwerpunkt Digitalisierung
Wie sehr der technologische Wandel die Engagementlandschaft bewegt, erleben wir bei betterplace jeden Tag. Inzwischen ist allen klar: Bei der Digitalisierung nicht mitzumachen ist keine Option mehr. Ob Engagierte und soziale Organisationen das als Gelegenheit zur Gestaltung oder als zusätzlichen Druck und Verunsicherung erleben, hängt aus unserer Sicht mit Kompetenz, Information und den operativ verfügbaren Ressourcen zusammen.
Engagierte brauchen transparenten Zugang zu Informationen und zu kompetenzbildenen Angeboten, um die Potentiale für effektiveres Arbeiten in der Administration, der Kommunikation und der Finanzierung ihrer Organisationen zu heben. Doch es greift zu kurz, Digitalisierung und Engagement nur auf neue Arbeitsinstrumente und neue digitalrechtliche Auflagen zu begrenzen.
Denn mit dem technologischen geht ein gesellschaftlicher Wandel einher. Spendenverhalten, soziale Problemlagen, Organisations- und Arbeitskultur und damit auch das Engagement selbst verändern sich. Neue Analysemöglichkeiten eröffnen neue Perspektiven auf das eigene Tun und seine Wirkung. Technologie öffnet neue Wege zur Vernetzung und Kollaboration über Organisationsgrenzen hinaus. Eine ganzheitliche Stärkung von Engagement im digitalen Wandel nimmt diese Ebene mit in den Blick, schafft besseres Verständnis, regt kompetenzbildende Angebote an und erprobt in Piloten die neuen Spielräume.
Weiter brauchen zivilgesellschaftliche Organisationen die Möglichkeit, zum kompetenten und kreativen Akteur im digitalen Wandel zu wachsen. Dazu gehört, einzuschätzen, wo für die eigene Arbeit Potentiale liegen, und welchen Trend man auch mal an sich vorbeilaufen lassen kann. Dazu gehört auch, die Stimme zu erheben, wenn eine technologische oder digital-politische Entwicklung im eigenen sozialen Wirkungsbereich zu negativen Folgen führt. Dazu gehört, Technologie selbst innovativ in Lösungsansätze zu gießen und so für das Gemeinwohl zu gestalten.
Will die DSEE das Bürgerschaftliche Engagement in der Digitalisierung so stärken, dass die Engagierten mehr können, als den Status Quo zu verwalten, sollte sie selbst den ‘Blick nach vorn’ zum festen Bestandteil ihres Handelns machen. Das gilt sowohl für ein inhaltliches Wissen um die immer neuen Trends und Handlungsmöglichkeiten der Digitalisierung, als auch für eine grundlegende Haltung des Lernens und agilen Umsetzens, das baut, misst, lernt, anpasst … und das immer wieder von vorn.
Und noch etwas sollte die DSEE leisten: Durch neue technologische Möglichkeiten verändert und pluralisiert sich das Engagement per se. Digitales Engagement ist vielfältig, längst raus aus den Kinderschuhen und reicht von tausenden Autor*innen der Wikipedia über die Freifunk-Aktivist*innen bis zu den Inklusionshelfer*innen der App BeMyEyes. Diese neuen Engagementformen brauchen Anerkennung, besseres Verständnis – auch in ihrer Integration mit analogem Engagement – und die Förderung ihres gesellschaftlichen Potentials, gerade auch zur zusätzlichen Stärkung der Engagementlandschaft in strukturschwachen Räumen.
Zum Wirkungsschwerpunkt Innovation
Wir leben in Zeiten mit großen gesellschaftlichen Zukunftsfragen und starker Veränderungsdynamik. Das bürgerschaftliche Engagement steht vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits muss es sich zu dem kontinuierlichen Neuerungen verhalten, darin zurechtkommen, Orientierung und Handlungskraft nicht verlieren – und das angesichts einer Welt, in der sich Technologie, Arbeitsweisen und auch die Natur ihres sozialen Wirkungsfelds rasant verändern.
Andererseits ist die Engagementlandschaft eine unserer wichtigsten Quellen für eine gemeinwohlorientierte Zukunftsvision. Wir brauchen die Engagierten mehr denn je auch als gesellschaftliche Stimmen und Innovationsgestalter, die im Wandel nicht nur zurechtkommt, sondern ihn auch begreifen, prägen und formen können.
Soziale Lösungsansätze neu zu denken, Gesellschaft neu zu gestalten braucht Freiheit. Die Zivilgesellschaft hat mit Hilfe unterschiedlicher Förderer in den vergangenen Jahren unterschiedliche Schutzräume und Gewächshäuser für Innovation geschaffen, in denen Ideen entstehen, sich ausprobieren und voneinander lernen können (z. B. Prototype Fund, project together, die Social Impact Labs, Deutscher Integrationspreis/Mitwirken, demokratie.io). Finanzierung und Toleranz für agiles Lernen beim Geldgeber haben sich dabei als grundlegende Bausteine erwiesen. Wirkungsvolle Innovationsförderung braucht darüber hinaus aus unserer Sicht Erfahrungsaustausch, Zusammenarbeit und Unterstützung bei der Integration erfolgreicher Ansätze in etablierte Strukturen.
Will die DSEE authentischer Verstärker für soziale Innovation sein, gibt es auch in diesem Feld zahlreiche erfahrene Akteure und etablierte Strukturen, die ein Stiftungswirken stärken und/oder sinnvoll ergänzen können. In jedem Fall lässt sich auch hier voneinander lernen.
Wir wünschen den beteiligten Ministerien ebenso wie dem Gründungsteam erfolgreiche, produktive erste Monate und freuen uns auf weiteren Wind in den Segeln für Engagement und soziale Innovation in Deutschland.
Mit freundlichen Grüßen
Carolin Silbernagl
Außenministerin, für das betterplace lab
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Das betterplace lab hat zusammen mit unseren Partnern zu diesen Themen immer wieder gearbeitet und publiziert. Zum Beispiel hier:
- Studie Digitalisierung von NPOs (2017): betterplace-lab.org/digitalisierung-in-nonprofit-organisationen
- Positionspapier Digitales Engagement (2017): upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d2/Digitales_Engagement.pdf
- Positionspapier Förderung Digitale Demokratie-Innovation (2019): https://www.demokratie.io/abschlusspublikation/index.html