Unter dem Titel "Die Zukunft im Blick – Konferenz für eine vorausschauende Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik" lud das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit am 27. Juni 2023 ins Technikmuseum ein. In hübscher Rahmung (inkl. Eröffnung durch Bundesministerin Steffi Lemke, KI-Künstler und Performance) wurden die Möglichkeiten diskutiert, wie in Krisenzeiten die gesellschaftliche Transformation gelingen kann. Auf einem Panel durfte ich mich dazu mit Moderator Tobias Jetzke (VDI/VDE Innovation + Technik GmbH), der Psychologin Dr. Lara Puhlmann (Leibniz Institute for Resilience Research) sowie den insgesamt 130 Teilnehmenden austauschen.
Wortklauberei? Krisengesellschaft, Resilienzgesellschaft, Transformationsgesellschaft
Eine Frage der Perspektive. Wir sehen, dass allein schon durch die beschleunigte technologische Entwicklung viele Systeme an ihre Grenzen stoßen (z. B. durch die Aufweichung des Arbeitsschutzes in der Gig-Economy oder die Bedrohung der Demokratie durch Desinformationen) und entsprechend eine “Aktualisierung” (vermutlich eher disruptiv als inkrementell) benötigen. Der Klimawandel hat und wird ebenfalls massive Auswirkungen haben – u. a. auf unsere Wirtschaft, aber auch auf unser Wohlbefinden. Unsere Gesellschaft sieht sich also im erhöhten Maße mit Krisen konfrontiert (ausführlicher s. unsere Reflexion zum Begriff der Krise). Ist die Krise dadurch selbst zum definitorischen Merkmal unserer Zeit geworden (die “Grundstimmung einer Epoche”, meinte Prisching bereits 1986), sodass eine Verkürzung auf die Bezeichnung “Krisengesellschaft” gerechtfertigt scheint? Dann wäre die Frage, wie wir zur “Krisenbewältigungsgesellschaft” werden und ob wir das dann “Resilienzgesellschaft” oder “Transformationsgesellschaft” als Zielbild nennen wollen. Eine Frage der Haltung. Sehen wir uns in einer Utopie, in der wir als Gesellschaft selbst gewählt und freudig die nächsten und übernächsten Entwicklungssprünge (hin zu einer lebenswerten Welt und Mitwelt) nehmen, wäre “Transformationsgesellschaft” wohl besser gewählt. Denken wir aber, dass uns Veränderungen häufiger ungewollt abverlangt werden und Anpassungen schlicht unausweichlich werden, dann wären wir eine “Resilienzgesellschaft”. In jedem Fall brauchen wir die Anerkennung des stetigen Wandels. Und wir brauchen die Bereitschaft wie Ressourcen, diesen anzunehmen und zu gestalten – das können wir dann wahlweise Krisengesellschaft, Transformationsgesellschaft, Resilienzgesellschaft oder ganz einfach Gesellschaft nennen.
Zwei Drittel oder sind wir nicht schon resilient?
Aus ihrer Forschung konnte Lara Puhlmann zeigen, dass wir in Summe erstaunlich resilient sind. Zumindest hatten laut den Studien des Leibnitz-Institut für Resilienzforschung auch während der Pandemie rund zwei Drittel der Menschen konstant wenig Belastungssymptome. “Resilienz ist somit sowohl vor als auch während der Pandemie die häufigste Reaktion auf Stress”, sagt Puhlmann. Besonders ältere Menschen zeigten noch einmal weniger psychische Folgen durch die Pandemie als jüngere. Die positive Lesart: Menschen werden mit dem Alter gelassener – und das trotz höherem Risiko für schwere Krankheitsverläufe. Die negative Lesart: Erwerbstätigkeit ist ein wesentlicher Stressor, vor allem kombiniert und verstärkt in Mehrfachbelastungen. Wahrscheinlich spielen beide Faktoren eine Rolle – ebenso einzubeziehen ist, dass die Pandemie Menschen an unterschiedlichen Punkten ihrer sozio-emotionalen Entwicklung unterschiedlich schwer trifft und dass sie den Lebensalltag unterschiedlich stark beeinflusst hat (durch Schulschließungen oder Verringerung der Betreuungsangebote). Zudem gehörten viele Menschen auch gewissermaßenzu den “Gewinner*innen der Krise”, weil sie in der Zeit beispielsweise einen wirtschaftlichen und/oder sozialen Aufstieg verbuchen konnten. Für unsere Forschung ist interessant, dass Resilienz zwar einerseits ein gut belegbares Phänomen in der breiten Bevölkerung ist. Andererseits haben individuelle und strukturelle Faktoren enorme Auswirkung auf das Erleben des*der Einzelnen. Wenn sich Krisen nun noch stapeln, bleibt die Frage, ob wir unsere Resilienz durch “überwundene” Krisen weiter stärker können oder ob unser Resilienzniveau durch Überbeanspruchung letzlich sinkt.
Wo fangen wir an?
Wir haben zu Beginn unserer Forschung und Recherche fünf Ansatzpunkte destilliert, die uns auf dem Weg zur “Resilienzgesellschaft” stützen können.

Insbesondere der Punkt “Narrative” hat auf dem Podium für Diskussionen dahingehend gesorgt, wie nah diese an der “Realität” oder einer “Utopie” orientiert sein sollen. These: Die besten Narrative operieren an der Schnittstelle zwischen dem, was wünschenswert und irgendwie machbar erscheint. iDesen Punkt genauso wie die anderen werden wir im kommenden Jahr eingehend untersuchen.
"Die resiliente Zivilgesellschaft" ist ein Forschungsvorhaben des betterplace lab, gefördert für den Zeitraum Januar 2023 bis Juni 2024 durch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt.