Mit dem well:being Programm gegen Stress

Im Flugzeug gilt die klare Reihenfolge, sich zuerst selbst die Sauerstoffmaske anzulegen, bevor man anderen hilft. Dieses Prinzip lässt sich auch auf die mentale Gesundheit anwenden. Nur wenn es uns selbst gut geht, können wir uns für andere einsetzen. Doch das fällt vielen Menschen schwer. Studien zeigen, dass vor allem Personen, die sich sozial engagieren, besonders häufig von Burnout und Depressionen betroffen sind. Dabei spielt Stress eine große Rolle. Der komplette Dritte Sektor in Deutschland leidet unter chronischer Unterfinanzierung von Projekten und sieht sich mit komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert – das stresst.

Um deren innere Stabilität zu fördern, haben wir zwei Jahre lang Sozialunternehmer*innen und haupt- und ehrenamtlich Engagierte und Beschäftigte des sozialen Sektors mit dem betterplace well:being Programm begleitet. In fünf Workshops trainierten die Teilnehmenden Fähigkeiten wie Selbstreflexion, Selbstregulation und Körperwahrnehmung. Bereits im ersten Jahr 2021 haben wir die Wirkung des Projektes evaluiert. Wir wollen wissen, wie sich das Wellbeing unserer Zielgruppe verändert hat und inwiefern sie Stress erlebt. Die Ergebnisse der Fragebögen und Fokusgruppeninterviews mit Teilnehmenden der Workshops aus beiden Projektjahren haben wir hier für euch zusammengestellt.

Was stresst haupt- und ehrenamtlich Engagierte?

Stressoren

¼ der Befragten erlebten Stress aufgrund von mindestens drei der angegebenen Faktoren. Bei fast allen Stressoren gab es über die Projektlaufzeit einen leichten Anstieg. Gründe dafür könnten in der Pandemie liegen, die im sozialen Sektor bestehende Probleme noch verschärft hat.

Im Einzelnen bietet sich uns folgendes Bild:

  • Der größte Stressfaktor besteht in der Größe und Komplexität der gesellschaftlichen Herausforderung, hier gab es 2022 sogar einen leichten Anstieg auf 64 Prozent.

  • Unsicherheit in der Planung nahm als Stressfaktor zu.

  • Unsichere Finanzierung wurde 2021 von 31 Prozent, 2022 von 39 Prozent der Befragten als Grund für Stress genannt.

  • Insgesamt sind 28 Prozent gestresst von einem hohen Leidensdruck der Zielgruppe des Engagements.

  • Drei Prozent sind über die Projektlaufzeit aufgrund von Diskriminierungserfahrungen gestresst. Ein Grund für diesen relativ niedrigen Wert könnte sein, dass bisher nur wenige BIPoC und Menschen mit Migrationsgeschichte am Programm teilgenommen haben.

Als weitere Stressfaktoren wurden 2021 persönliche Unsicherheit, hohe Komplexität der Aufgaben, Zeitdruck, Rollenunsicherheit, hohe Verantwortung, Kommunikationsprobleme und Leistungsdruck genannt.

2022 kamen ein hoher Workload, die Koordination des Ehrenamts mit der hauptberuflichen Tätigkeit, Perfektionismus, selbstgemachter Leidens-/Leistungsdruck, fehlende Strukturen, unklare Entscheidungsprozesse innerhalb der Organisation, fehlende Wertschätzung, Weltschmerz, Hoffnungslosigkeit, Hierarchien, Wettbewerb und Konkurrenzdruck hinzu.

Wie wirkt sich Stress aus?

Neben Stress litten haupt- und ehrenamtlich Engagierte unter folgenden Beschwerden:

Stressbedingte Beschwerden
  • Etwa die Hälfte der Befragten litt unter Niedergeschlagenheit und Motivationsmangel, Tendenz steigend.

  • Auch körperliche Schmerzen wie Rücken-, Kopf-, oder Bauchschmerzen waren verbreitet.

  • Ängstlichkeit nahm leicht ab.

  • Beschwerden wie Schlafstörungen, Gereiztheit & Aggressionen wurden verstärkt erlebt.

40 Prozent der Befragten wählten mindestens drei der genannten Auswirkungen.

Das betterplace well:being Programm:
Stress durch Selbstreflexion entgegenwirken

Mit fünf aufeinander aufbauenden Workshops zielt das betterplace well:being Programm darauf ab, individuelle Kompetenzen der Teilnehmenden zu stärken, um widerstandsfähiger durch Spannungen und Herausforderungen im Leben zu navigieren. Die ersten beiden Workshops fokussieren die Verbesserung des Selbstkontaktes und beschäftigen sich mit dem Konzept der Existenzberechtigung. Workshops 3-5 unterstützen die Engagierten im Umgang mit Stress und Überlastung und sollen so langfristig ihre mentale Gesundheit schützen. Führungsqualitäten, emotionale Intelligenz, Abgrenzung, innerer Fokus, Zufriedenheit und Motivation werden genauso gefördert wie die Kompetenzen zur Selbstverortung, Selbstmanagement und der Wahrnehmung von Körpersignalen. Im letzten Workshop wird Meditation als Tool erlebbar gemacht.

Wie werden die Programme angenommen?

Insgesamt fanden 2020 bis 2022 51 well:being-Workshops statt. Über 450 Teilnehmende wurden in beiden Jahren erreicht. Die Aktivitäten wurden begleitet von Kommunikationsmaßnahmen (Blogposts, Social Media Beiträge, der Vorbereitung einer Podcast-Reihe). Erfahren haben die Teilnehmenden am häufigsten (38 Prozent) von Kolleg*innen, über einen Newsletter (14 Prozent) oder über Social Media (14 Prozent).

Die Mehrheit der Teilnehmenden sind im sozialen Sektor freiwillig oder bezahlt beschäftigt. Aus den Fragebögen ergibt sich, dass das Programm vornehmlich von sich als weiblich bezeichnenden Personen angenommen wurde (81% w / 17% m / 2% div). ¼ der Teilnehmenden ist Programm- oder Projektleiter*innen. Programm- oder Projektmitarbeiter*in nahmen mit 30 % am häufigsten an den well:being Workshops teil. Weiter haben 20% Freelancer:innen und 22% Teilnehmende aus der Geschäftsführung teilgenommen. Die Teilnehmenden arbeiten am häufigsten in Vereinen (32 %), gGmbHs (23%) oder als Freiberufler*in (22%). Der Rest verteilt sich in folgende Organisationsformen: Netzwerke, nicht organisierte Engagements, for Profit Organisationen, Genossenschaften und andere. Sie kamen 2021 zu 28 Prozent aus dem sozialen Sektor, 2022 engagierten sich 28 Prozent der Teilnehmenden im Bereich Sport und Bewegung. Die anderen Bereiche sind sehr vielfältig und eher gering vertreten. Beispiele hierfür ist die Jugendarbeit, Interessenvertretungen, oder der Naturschutz (zwischen 9 und 14%).

Verändern sich Bewusstsein und Fähigkeiten infolge der Teilnahme an den Workshops?

Im Schnitt bewerten die Teilnehmenden die Workshops mit 4,1 von 5 Punkten (5 bedeutet sehr gut). Insgesamt wurden die Fragebögen nach den well:being Workshops 675 mal ausgefüllt.

Ich empfand es als bereichernd, in Kontakt mit Anderen aus dem gleichen Sektor zu kommen und zu merken, wie sich viele Einstellungen und Gefühle ähneln.
Workshop-Teilnehmerin (anonym)

Laut Fokusgruppeninterviews und Freitextantworten in den Fragebögen gewannen die Teilnehmer*innen ein tieferes Verständnis für Wellbeing.

Über 70 Prozent stimmten zu, die vermittelten Inhalte zu verstehen. Auch ein bewusster Umgang mit Überforderungssituationen wird in den Interviews mehrfach beschrieben.

Wie zeigt sich Wirkung im Handeln der Individuen?

78 Prozent der Teilnehmenden gab an, die Inhalte der Workshops öfter bis häufig in ihren Alltag zu integrieren, die gewonnenen Kompetenzen zur Reflexion zu nutzen und aktiv auf ihr Wellbeing zu achten.

Im Privaten wie im Alltag kann ich besser "nein sagen", zeige meine Grenzen, höre in mich hinein und sauge Stress von außen nicht sofort auf.
Teilnehmerin Workshop (anonym)

Sind die Engagierten durch die erlernten Kompetenzen bei ihrer Arbeit gesünder und zufriedener?


42 Prozent der Teilnehmenden aus den well:being-Workshops gaben an, dass sich ihr Wellbeing durch die Workshops verbessert hat. Insgesamt meinten 48 Prozent, dass sie sich nicht sicher sind, ob sich ihr Wellbeing verbessert hat. Nur elf Prozent können keine Verbesserung ihres Wellbeings spüren.

Ich versuche in verschiedenen Situationen, nicht mehr nur auf meinen Kopf zu hören, sondern vor allem bei Entscheidungen auch meine Körperempfindungen stärker wahrzunehmen und einzubeziehen. Ich versuche, mehr Mitgefühl für mich selbst zu haben und mich selbst mehr anzunehmen – mit meinen Gedanken, Emotionen und körperlichen Wahrnehmungen.
Workshop-Teilnehmer (anonym)

Folgeprogramm

Um eine Kultur zu schaffen, in der mentale Gesundheit ein höherer Stellenwert zugeschrieben wird, gilt es, die Angebote einer breiteren Allgemeinheit zugänglich zu machen. Dafür arbeiten wir die gewonnenen Erkenntnisse ein, um zukünftig ein optimiertes Workshop-Programm anzubieten. Durch zugeschnittene Kommunikationsformate sollen verstärkt Zielgruppen angesprochen werden, die bisher noch nicht mit den Workshopthemen erreicht wurden. Nur ein geringer Teilnehmendenanteil setzte sich aus BIPoC und Menschen mit Migrationsgeschichte zusammen. Das betterplace well:being Programm möchte deshalb insbesondere diverse Personengruppen als Teilnehmende gewinnen. Auch die Stärkung von Menschen mit Mehrfachbelastungen, wie beispielsweise Eltern, Alleinerziehende oder Kleinunternehmer*innen ist uns ein Anliegen. Zusätzlich sollten mehr männliche Personen für die Teilnahme motiviert werden. Sie gelten im Gesundheitssystem als “hard to reach”- Gruppe und nehmen weitaus weniger an Präventionsangeboten teil.

Darüber hinaus werden wir gemeinsam mit den Betriebskrankenkassen ein Weiterbildungsmodul für Gesundheitsförderung und Prävention am Arbeitsplatz entwickeln. Die frisch ausgebildeten “Community Health Manager*innen” kennen die Belastungen, Bedarfe und Wünsche ihrer Kolleg*innen und sollen in gemeinnützigen Organisationen oder Coworking Spaces als Ansprechpartner*innen mit Vorbildfunktion wirksam werden.

Das Programm betterplace well:being ist ein Projekt des betterplace lab und wird unterstützt durch die BKK∙VBU, pronova BKK und Salus BKK.

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe