Männer üben sich in Inner Work, damit zivilgesellschaftliche Kollaboration gelingt

Ein Workshopangebot speziell für Männer? Haben wir dann bald wieder Schulen für Mädchen und Schulen für Knaben? Natürlich nicht. Für den Workshop-Trainer Leo Meyer-Schwickerath ist klar, dass so ein Angebot nur ein Übergang sein kann.

“Wollen Menschen, die männlich sozialisiert wurden, sich auf Inner Work einlassen, ist das eine extra Anstrengung", sagt Workshop-Trainer Leo Meyer-Schwickerath. Das unterstreicht der Kommentar von Workshop-Teilnehmer Martin: “Während die meisten Mädchen von klein auf lernen, sich über die eigenen Gefühle mitzuteilen, fangen Männer erst mit 20, 30 oder sogar 40 Jahren an, eine emotionale Verbindung aufzubauen. Das ist es, was das Patriarchat mit uns macht: Da ist die Machtebene auf der einen Seite und eine verlorene Verbindung zur eigenen Emotionalität auf der anderen.” Klar geworden ist Martin, dass es bei Inner Work nicht um die Hülle, das Äußere, die Coolness, die Muckis geht, sondern darum, in sich hineinzuschauen: “Dabei werden wir mit dem inneren Patriarchat in uns konfrontiert.” Ob es möglich wäre, das Thema “Männlichkeit” gar nicht thematisieren am Anfang des Workshops? Das glaubt Martin nicht: “Das Update von Männlichkeit ist ja schon in das Format reingeboren.”

Wie kam es zu diesen Workshops speziell für männlich sozialisierte Personen?

In der ersten Phase der Programme betterplace co:lab und well:being stellten wir fest, dass verschiedene Zielgruppen unterschiedlich stark an unseren Workshops teilnahmen. Im Juli 2023 führten wir deshalb drei Design Sprints durch, die jeweils spezifischen Zielgruppen gewidmet waren: Menschen mit Mehrfachbelastungen, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen und Männern – allesamt Akteur*innen der Zivilgesellschaft, die jedoch scheinbar weniger offen für unsere Angebote waren.

Im Design Sprint mit den Männern lautete die zentrale Forschungsfrage: “Wie beeinflusst die Geschlechtszugehörigkeit die Auseinandersetzung mit Wellbeing und Kollaboration im sozialen Sektor?”

Die Teilnehmenden vertieften sich in Diskussionen zu herausfordernden Themen wie toxische Männlichkeit und Rollenbilder. Dabei unterstrichen sie die Herausforderung, diese Muster im Alltag zu durchbrechen, denn diese beeinflussten auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Wohlbefinden. Sie betonten die Relevanz der Stärkung spezifischer Fähigkeiten. Besonders hervorgehoben wurden dabei die Fähigkeiten, innere Spannungen zu bewältigen, die Selbstwahrnehmung auf mentaler, körperlicher und emotionaler Ebene zu vertiefen, aktiv zuzuhören und Beziehungsräume zu erkennen.

Ihre Bedürfnisse an Workshops zu Kollaboration und Wellbeing formulierten die Teilnehmenden deutlich: Männer sollten die Möglichkeit haben, ihre Verletzlichkeit zu zeigen, was in einer überwiegend weiblichen Umgebung oft schwierig sei. Es brauche Zeit, bis Räume sich öffnen und warm werden. In reinen Männergruppen könnte dies schneller geschehen. Ein kritisches Verständnis von Männlichkeit und Rollenbildern sei dabei von Bedeutung, jedoch könnte eine zu explizite Ansprache zu Beginn abschreckend wirken. Hier komme es auf das richtige Framing an. Als notwendig erachtet wurde eine männliche Moderation.

Infolge der Design Sprints wurde ein Prototyp entwickelt, der aktuell in Form des Kurses "Inner Work für gelingende zivilgesellschaftliche Kollaboration" umgesetzt wird.

Was nehmen wir vom ersten Durchlauf mit?

Leo Meyer-Schwickerath, den wir als Trainer für den Workshop gewinnen konnten, startete am 1. November 2023 mit dem ersten Modul. Er ist Leadership-Coach und Organisationsentwickler und begleitet sonst in seiner Arbeit Einzelpersonen und Organisationen auf dem Weg zu mehr Wirksamkeit und Potentialentfaltung. Auf die Frage, worauf es ihm ankommt, wenn er mit den männlich sozialisierten Personen in den Workshop geht, sagt er: “Ich stelle nicht die Frage nach der Notwendigkeit eines Raums für Männer, denn die Resonanz darauf ist bereits spürbar. Der Workshop 'Inner Work for Collaboration' für Männer hat nicht das Ziel, Männlichkeit kritisch zu hinterfragen, sondern sie auf eine direkte und transformative Weise zu leben. In dieser aktiven Auseinandersetzung erkenne ich die Wirksamkeit dieses Workshops. Statt uns auf Inhalte und Projekte zu konzentrieren, integrieren wir im Workshop auch das Nervensystem."

Laut Feedback zum ersten Termin, bei dem es um Selbstführung und Selbstkenntnis als Grundlagen für erfolgreiche Zusammenarbeit ging, schätzte die Teilnehmerschaft besonders, wie Leo eine vertrauensvolle Atmosphäre schuf. Die Tatsache, dass der Workshop gezielt auf Männer ausgerichtet war, wurde positiv hervorgehoben. Die Teilnehmenden betonten, dass alle aktiv einbezogen und mitgenommen wurden. Die Veranstaltung zeichnete sich durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Input und Austausch aus, wobei relevante Themen und Fragestellungen behandelt wurden. Besonders geschätzt wurden die geschaffenen Räume für behutsamen Austausch und die Möglichkeit, tiefgründige Themen anzugehen. Die Langsamkeit, die zwischenmenschliche Verbundenheit, der zugängliche Kontakt sowie die ausgewogene Mischung aus Theorie und Praxis wurden von den Teilnehmenden als besonders geschätzt.

Nach dem zweiten Workshop, in dem es darum ging, Beziehungen als Resonanzräume wahrzunehmen, schätzte der überwiegende Teil der Teilnehmenden den Einfluss der Auseinandersetzung mit diesem Thema als fördernd für gelingende Kollaboration ein. Leo fasst zusammen, dass “das Öffnen dieses Raums es uns ermöglicht, uns gegenseitig tiefer zu berühren und gleichzeitig unsere Konfliktfähigkeit zu stärken. Das Ineinandergreifen unserer inneren Welten erfordert dabei ein intensives Engagement, denn die schlichte Öffnung des Beziehungsraums gewährleistet nicht automatisch eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Stattdessen müssen wir uns aktiv darin üben."

Im dritten und letzten Workshop der Reihe “Inner Work für gelingende zivilgesellschaftliche Kollaboration” am 13. Dezember stand das Thema Multiperspektivität im Mittelpunkt. Bei diesem letzten Termin gab es viel Raum für Austausch und Interaktion, weniger theoretischen Input. Der Mehrzahl der Teilnehmenden war das sehr recht. Der Wunsch nach weiterführendem Austausch wurde laut.

Im Nachgespräch wurde eines deutlich: Die Gruppe funktioniert umso besser, je heterogener sie insofern ist, dass einige der Teilnehmenden sich dem Thema Inner Work schon genähert haben und andere bisher weniger Anknüpfungspunkte haben. “Jene mit mehr Erfahrungen sind Türöffner”, stellt Leo fest. Sie können sich schneller fallen lassen. Das mache es den anderen leichter, sich auch zu öffnen.

Weiter geht’s …

… im neuen Jahr. Zunächst einmal machen wir über den Jahreswechsel eine Pause und legen Anfang Januar neue Workshop-Termine fest. Auf dem Laufenden bleibt ihr, wenn ihr unsere labnews lest. Hier könnt ihr euch anmelden.

Herzlich eingeladen seid ihr zu unserem nächsten co:lab X Event am 14. Februar. Christa Cocciole ist zu Gast in unserer Veranstaltungsreihe, wo sie sich zusammen mit Kerstin Walter und den Teilnehmenden der Fähigkeit der Kollaboration auf emotional-körperliche Weise nähert. Wenn du teilnehmen möchtest, schreib uns: kerstin.walter@betterplace-lab.org


Das Programm betterplace co:lab ist ein Projekt des betterplace lab. Als Förderer für den Anschub der zweiten Runde sind die Schöpflin Stiftung und die BMW Foundation angetreten.

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe