Geschlechtergerechtigkeit

Gemeinnützige Organisationen im „toten Winkel“ der Aufmerksamkeit

Dieser Blogartikel erschien zuerst bei bcause und wurde geschrieben von Karin Heisecke und Loubna Messaoudi. Beide sind ebenfalls im Programm L'Echelle aktiv, das das betterplace lab mit Isabel Gahren als Projektleitung zusammen mit der Fondation Chanel umsetzt.

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und feministische Anliegen einsetzen, sind unterfinanziert. Dies gilt weltweit ebenso wie in Deutschland. Im Folgenden liefert dieser Artikel mindestens 5 gute Gründe, um Geschlechtergerechtigkeit zu fördern. Wer nicht warten kann, diese sind hier zusammengefasst.


Bei der Entscheidung, in welchem Themenfeld wir uns engagieren wollen, spielen viele Faktoren eine Rolle. Es sind Themen, die uns persönlich bewegen. Es sind Organisationen, die uns empfohlen wurden, auf die wir durch die Medien aufmerksam geworden sind, oder die uns direkt angesprochen und um eine Spende gebeten haben. Wir holen uns Rat von Menschen mit Erfahrung. Ise Boschs Buch “Besser Spenden” gehört zu den Standardwerken in diesem Feld - und ihr Buch “Geben mit Vertrauen” (in Zusammenarbeit mit Claudia Bollwinkel und Justus Eisfeld) dokumentiert die Wirkung der transformativen Philanthropie, die sie als Pionierin schon lang praktiziert, und bietet allen Interessierten praktische Einblicke in diesen Ansatz.

Für diejenigen, die sich nicht so tiefgehend mit dem Thema befassen können oder wollen, sind es häufig Empfehlungen von Menschen, denen sie vertrauen, oder ansprechend kommunizierte Anliegen, für die sie sich entscheiden. Aber was bedeutet das für Organisationen und Themen, die

  • noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen sind?
  • den Status Quo grundlegend hinterfragen und damit womöglich auch ganz schön ungemütlich sind?
  • wichtige Arbeit machen, aber denen keine Mittel für “schmackhafte” Kommunikation zur Verfügung stehen?
  • die keine Vermögenden mit einem wohlgesonnenen, ansprechbaren Freundeskreis in ihrem ehrenamtlichen Vorstand haben?

Ein frappierendes Beispiel für ein dringendes gesellschaftliches Anliegen, das zwar inhaltlich gar nicht so neu ist, aber das nach wie vor unzureichende (finanzielle) Beachtung und Unterstützung erfährt, ist die Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland.

Themenfeld Geschlechtergerechtigkeit: große Wirkungspotentiale und große Bedarfe

Die Daten und Fakten sprechen für sich: In Deutschland ist die Gleichberechtigung der Geschlechter noch in praktisch keinem Handlungsfeld erreicht. Ob Lohngerechtigkeit; Teilhabe an Führungspositionen in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Medien oder Kultur; Betroffenheit von geschlechtsspezifischer Gewalt; die Gewährung der sexuellen Selbstbestimmung; Zugang zu Finanzierung bei Gründungsvorhaben, … die Liste lässt sich fortsetzen. Besonders stark benachteiligt sind Frauen, die mehreren Formen von Diskriminierung ausgesetzt sind, z.B. Frauen mit Migrationsgeschichte, Frauen of colour, mit Behinderung, Lesben, trans Frauen, …

Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für diese Ungerechtigkeiten ist hingegen recht gering. Das führt dazu, dass das Thema auch in haushaltspolitischen Entscheidungen nicht priorisiert wird. Ebenso wenig ist dies bei Strategien von Förderstiftungen der Fall. Beim Bundesverband deutscher Stiftungen wird noch nicht einmal mehr erhoben, welche Stiftungen sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen.¹

Auch bei privaten Spenden spielen diese Themen bisher noch keine erkennbare Rolle. Dies ist besonders kurios vor dem Hintergrund, dass Frauen zunehmend Zugang zu finanziellen Ressourcen haben und damit als Geberinnen immer wichtiger werden: sie erben oder erarbeiten sich ein Vermögen, und auch nicht hochvermögende Frauen setzen ihr Geld häufig für gemeinnützige Zwecke ein.

Auf bcause sind circa 75% der Aktiven weiblich. Dem steht gegenüber, dass bisher lediglich ein Bruchteil der auf bcause gespendeten Mittel an Organisationen fließt, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Das heißt, Frauen spenden nicht für diese Anliegen, und von männlichen Gebern werden feministische Anliegen erfahrungsgemäß noch seltener bedacht. Somit bleibt aktuell in Deutschland auch im Kontext des “neuen Gebens” die Unterfinanzierung von Organisationen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, bestehen.

Kein “Frauenthema", sondern ein High Impact Ansatz für alle Themen

Dabei handelt es sich hier nicht um ein Nischen- oder “Frauenthema”. Vielmehr ist Geschlechtergerechtigkeit ein Ziel, von dessen Erreichung die ganze Gesellschaft profitieren wird, da es Auswirkungen auf praktisch alle Lebensbereiche hat. Geschlechtergerechtigkeit ist wichtig als integraler Bestandteil unterschiedlicher Themenbereiche – ob im Klimaschutz, in der Wirtschaft, beim Thema Flucht, in der Entwicklung von Innovationen oder in zukunftsweisenden Feldern wie Künstlicher Intelligenz. In ganz unterschiedlichen Feldern führt eine Herangehensweise mit einem bewussten Blick auf die Geschlechter-Dimension (also mit “gender lens”) zu realitätsnäheren und wirksameren Lösungsansätzen². Dies wird auch in den 17 Zielen für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen anerkannt.

Es gibt noch viel zu tun - wie können wir anfangen?

Wer heute nach einem Engagement sucht, das besonders viel Impact bietet, ist hier gut aufgehoben. Dafür gibt es auch in Deutschland ein zunehmendes Bewusstsein. Im Mai 2024 traf sich eine Runde von Personen aus dem Förder- und NGO-Sektor zu einem Austausch, in dem deutlich wurde:

Das Unterstützen von Organisationen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, ist der richtige Weg für alle, die mit ihrem Geben

  • aktiv zur Verwirklichung unserer Grund- und Menschenrechte beitragen wollen,
  • die Demokratie schützen und stärken wollen,
  • anstreben, dass von ihnen geförderte Maßnahmen die höchstmögliche Wirkung entfalten,
  • auch langfristig die Volkswirtschaft stärken wollen, und
  • Innovation anstreben.

Hier geht es zu weiterführenden Informationen und Impulsen für erste Schritte für all diejenigen, die sich in diesem Feld wirkungsvoll einbringen möchten.

Stellen wir uns vor, was alles bewegt werden kann, wenn die Organisationen, die zu diesen Themen arbeiten, zukünftig die Mittel zur Verfügung haben, um gut ausgestattet arbeiten und längerfristig planen zu können. Denn gesellschaftliche Veränderung ist ein Marathon und kein Sprint.

Ein gemeinsamer Ansatz beim Spenden und Fördern

Wie hoch die Bedarfe sind, zeigt ein erster Blick in die bisher noch recht rudimentäre Datenlage zur Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Bei den wenigen Ausschreibungen von Stiftungen, die sich diesem Themenfeld widmen, übersteigen die Bedarfe die vorhandenen Fördermittel um ein Vielfaches. Hunderte von förderwürdigen Anträgen müssen abgelehnt werden, weil nicht genug Finanzierung zur Verfügung steht.

Auch wenn inzwischen Frauen als Spenderinnen immer aktiver werden: Dass in Deutschland “female philanthropy” nicht gleich “feminist philanropy” ist, wird auch deutlich bei Giving Circles, einer innovative und wachsende Form des gemeinschaftlichen Gebens, die auch bcause digital unterstützt.

Während solide Daten zu privaten Spenden für dieses Themenfeld bisher noch fehlen, ist in der deutschen Stiftungslandschaft recht deutlich, dass Geschlechtergerechtigkeit als Förderthema bisher keine große Rolle spielt. In anderen Ländern hat sie bereits einen anderen Stellenwert. Internationale Stiftungs-Netzwerke wie GenderFundersCo_lab und die “Women’s Funds”-Bewegung (zu der in Deutschland filia die Frauenstiftung zählt) zeigen, wie der Austausch und die Zusammenarbeit die Wirkung der beteiligten Akteur*innen potenzieren kann. Die Daten, die in den USA regelmäßig wissenschaftlich erhoben werden, ermöglichen es, Veränderungen über einen Zeitverlauf zu untersuchen, sowohl bezüglich des Spendenverhaltens von Frauen, als auch insgesamt der Finanzierung von Frauen- und Mädchenorganisationen. Für Deutschland fehlen uns noch diese Daten, um zu verstehen, warum hier Frauen scheinbar selten und in geringem Maß für Frauen- und Mädchenorganisationen spenden.

Wirksam fördern ohne „angezogene Handbremse“

Nicht nur das “Ob”, sondern auch das “Wie” ist wichtig.

Die Erfahrung zeigt, dass insbesondere öffentliche Förderung häufig mit so starken Vorgaben und Einschränkungen verbunden ist, dass die Organisationen, die auf diese Art von Finanzierung angewiesen sind, de facto “mit angezogener Handbremse” fahren bzw. arbeiten müssen. Dies trifft zu für viele Organisationen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen.

Jede flexiblere Förderung, z.B. von privaten Geberinnen und Gebern oder Stiftungen, schafft einen potenzierten Mehrwert für die Organisation. Und jede Investition in Geschlechtergerechtigkeit ist eine Investition in eine gerechtere, friedlichere, demokratischere und innovativere Welt.

Wer innovativ und wirksam fördern will, sollte daher auch im Blick haben, ob seine oder ihre Art des Gebens:

  • den feministischen Organisationen einen längerfristigen Planungshorizont ermöglicht: Stichwort “Marathon statt Sprint”!
  • Mittel in einem Umfang zur Verfügung stellt, der finanziell und zeitlich den Aufgaben angemessen ist.
  • eine Finanzierung bietet, die inhaltlich so flexibel ist, dass sie der Organisation auch bei sich ändernden Umständen ermöglicht, mit ihrem Handeln die größtmögliche Wirkung zu erzielen.
  • die Organisationen nicht nur punktuell unterstützt, sondern auch nachhaltig stärkt.
  • zeitaufwendige administrative Hürden vermeidet (z.B. mit Blick auf Antrags- und Berichterstattungs-Procedere).
  • nicht nur die großen, bereits bekannten Organisationen (deren Spendenaufrufe leichter zu finden sind) beachtet, sondern auch kleinere, oft marginalisierte Initiativen, die bisher mit sehr wenig Ressourcen wichtige Arbeit leisten.
  • Organisationen unterstützt, die in ihren Personal- und Gremienstrukturen die Vielfalt von Frauen und deren Expertise repräsentieren.
  • auch die Arbeit unterstützt, die gesellschaftliche Strukturen hinterfragt und Veränderungen der Geschlechterverhältnisse auf systemischer Ebene anstrebt.
  • auch wissenschaftliche Begleitung und Forschung ermöglicht: ohne diese ist es schwer, evidenzbasierte wirksame Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.

Fazit

Unsere Gesellschaft, in Deutschland und weltweit, steht vor existentiellen Herausforderungen. Um Lösungen zu finden, sind wir alle gefragt. Viele kluge Lösungsansätze wurden bisher noch nicht beachtet oder umgesetzt, weil sie von Frauen kommen, deren Arbeit durch strukturelle Benachteiligungen – und häufig verbunden mit fehlendem Zugang zu Finanzierung – ausgebremst wird.

  • Die Handlungs- und Finanzierungsbedarfe rund um das Thema Geschlechtergerechtigkeit sind groß.

  • Investition in Geschlechtergerechtigkeit hat einen besonderen Mehrwert durch die große Hebelwirkung auf alle anderen Felder, bei denen es um positiven sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Wandel geht. Der Blick mit “gender lens” ist deshalb wichtig als Ansatz Ansätzen in allen Feldern, wenn die volle Wirkung entfaltet werden soll.

  • In der Praxis heißt das: am besten direkt in feministische Organisationen und Initiativen investieren bzw. ihre Arbeit mit Spenden unterstützen (und auch beim Geben an andere Organisationen darauf achten, dass diese mit “gender lens” arbeiten).

  • Das „Wie“ ist wichtig: Die Art der Finanzierung muss den Organisationen ermöglichen, ohne unnötige Hürden ihr volles Potential auszuschöpfen.

  • Organisationen, die hochwirksame Arbeit leisten, sind vielleicht nicht so leicht auffindbar, weil sie keine gut ausgestatteten Kommunikations- und Fundraising-Abteilungen haben. Sie zu finden, mag ein wenig aufwendiger sein, aber es lohnt sich: Jede neue Förderung oder Investition in diesem Feld kann eine besonders große Wirkung erzielen.

Einige Organisationen sind bereits auf bcause.com zu finden (z.B. gebündelt in der Sammlung Geschlechtergerechtigkeit), es gibt noch viele mehr, wir möchten das erweitern.

  • Gemeinsam und vernetzt können wir das Geben für Geschlechtergerechtigkeit verstärken, Synergien bilden, voneinander und miteinander lernen.

Unser stetig wachsendes Netzwerk von Menschen aus der Förder- und NGO-Praxis kann Dich bei Fragen, beim Wunsch zum Erfahrungsaustausch und bei der Recherche nach passenden Organisationen und Initiativen unterstützen. Hier findest Du Impulse für eine zukunftsorientierte Förderpraxis und für erste konkrete Schritte, die das Netzwerk erarbeitet hat, sowie Kontaktdaten der Ansprechpersonen.

Wir laden Dich herzlich ein und freuen uns auf den Austausch!

Mehr Material zum Thema findest Du hier:
Fünf gute Gründe, Geschlechtergerechtigkeit zu fördern
Daten und Fakten zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland
Sammlung von praktischen Tipps und Tools (z.B. Leitfäden, Handreichungen, Daten) zu “gender lens grantmaking”, feministischer Philanthropie, etc. (deutsch und international)

Dieser Blogartikel erschien zuerst bei bcause und wurde geschrieben von Karin Heisecke und Loubna Messaoudi.

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Die erste Folge in der Resilienz-Reihe