“Die Associated Press berichtete, dass etwa 400 Personen in der Region Charkiw, die der Kollaboration verdächtigt werden, festgenommen wurden. Nach den neuen Gesetzen werden diese Handlungen mit lebenslanger Haft bestraft. “ Frankfurter Rundschau (5.5.2022)
In den letzten Monaten lesen und hören wir den Begriff Kollaboration häufiger in Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine. Dabei hatten wir uns gerade darauf geeinigt, dass es an der Zeit wäre, ihn neu zu prägen: “Das lateinische Wort collaborare ist zusammengesetzt aus der Vorsilbe co- (zusammen) und laborare (arbeiten).” So heißt es in unserer Erklärung für die Wahl des Wortes für unser Programm betterplace co:lab, in dem es darum geht, dass Zusammenarbeit mehr sein kann als Kooperation. “Wir möchten das Wort in seinem wahrsten Sinn etablieren und die negative und letztendlich irreführende militärische Bedeutung den Geschichtsbüchern überlassen. Wir nutzen es bewusst in einer überaus Frieden stiftenden Absicht und zudem in Abgrenzung zum Wort Kooperation.”, beschreiben wir weiter unsere Absichten und dass wir uns darüber im Klaren darüber sind, wie insbesondere im Deutschen der Begriff durch zwei Weltkriege besetzt ist.
Als das Programm betterplace co:lab 2020 startete, gab es längst Spannungen zwischen Russland und der Ukraine, von denen wir alle wussten. Dass es einen Angriffskrieg geben würde, haben die meisten nicht kommen sehen. Dass der militärische Begriff Kollaboration die Schlagzeilen plötzlich füllen könnte, haben wir nicht bedacht oder vielmehr nicht für möglich gehalten.
Was sagt das über uns aus? Sind wir weltfremd? Ist es naiv, zu glauben, man könnte in Frieden stiftender Absicht einen militärisch geprägten Begriffen nutzen, sich an einem Ort wähnend, der von Kriegen weit entfernt bliebe? Weil seit Februar ein Krieg so nah ist und so starke Auswirkungen auf die gesamte Welt hat, stehen wir wie Generationen vor uns vor der Frage: Kann es überhaupt Frieden geben? Ist Abrüstung möglich? Darf man die Rüstungsindustrie generell verurteilen? Sind Waffenlieferungen und die Unterstützung einer Kriegspartei legitim? Braucht ein Staat wie Deutschland ein starkes Heer, um die Demokratie zu schützen? Was macht dieser Krieg und unsere Rolle darin mit uns und unserer Vorstellung von einer besseren Welt?
Im Februar wandelte sich quasi über Nacht das Vokabular in den Medien. Worte wie “heroisch”, “tapfer”, “unbeugsam” waren in aller Munde. Worte, die im deutschen Sprachgebrauch eher in Beschreibungen von Video- und Computergames oder Filmteasern anzutreffen waren. Der Politologe Karl-Rudolf Korte spricht von verbaler Aufrüstung und Militarisierung der Sprache (Quelle: ZEIT) seit dem 24. Februar 2022. In Talkshows sahen wir in den ersten Kriegswochen die Virolog*innen ersetzt durch Bundeswehr-Generäle, die Nachhilfe in militärischer Kenntnis vermittelten.
Auch wenn Krieg für viele in Deutschland vorher ferner war, hat es ihn doch durchgängig gegeben. Und auch wenn eine friedliche Welt unmöglich erscheint, ist sie doch eine Vorstellung, die wir uns erlauben wollen. Genauso wie Generationen vor uns sich Frieden gewünscht haben. Das alles machen wir uns bewusst, während wir Kollaboration als Form von einer Zusammenarbeit begreifen, die Akteur*innen bei der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft weiterbringt.
Das Gedicht "Fantasie von übermorgen" von Erich Kästner ist hier zu lesen und zu hören.
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