Geballtes Resilienz-Wissen war im Raum, als wir uns am 28. September mit einer Reihe von Wissenschaftler*innen, Organisationsentwickler*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft in einem digitalen Workshop zusammenfanden. Uns interessierte, wie die Resilienz-Expert*innen aus ihrer jeweiligen Perspektive das Konzept der Resilienz und seine Anwendung auf Organisationen fassen und wie sie dabei die Besonderheiten zivilgesellschaftlicher Akteur*innen in den Blick nehmen.
Drei Fragen für die Expert*innenrunde
Die Expert*innen-Runde setzte sich zusammen aus Timo Luthmann, Aktivist, Autor und Trainer für Nachhaltigen Aktivismus, Medje Prahm, Beraterin für Stiftungen und Engagierte, Nils-Eyk Zimmermann, Experte für demokratische Resilienz, dem Philsophen Marvin Ester vom Centre for Social Critique an der Berliner Humboldt-Universität, den Psychologinnen Dr. Lara Puhlmann und Dr. Donya Gilan vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung, dem Politikwissenschaftler Dr. Florian Roth von der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, der Organisationsberaterin Julia Hoffmann von Socius eG, Dr. Marina Beermann und Anna Keremen von cociety sowie Dr. Vivian Schachler von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt.
Um in den gemeinsamen Stunden einen Überblick über die jeweiligen Ansätze, Konzepte und Erkenntnisse zu erhalten und diese gut in unsere Studie einfließen lassen zu können, gingen wir drei Fragen nach:
Was verstehen wir unter organisationaler Resilienz?
In seinem Input stellte Stephan Peters zunächst eine Arbeitsversion unserer Definition von organisationaler Resilienz vor, die im Anschluss in zwei Gruppen diskutiert wurde.
Wichtig dabei war, das Konzept immer auf zivilgesellschaftliche Organisationen zu beziehen. Auf Basis der Ergebnisse dieses Austauschs haben wir unsere Definition mittlerweile überarbeitet. Ausführlich ist sie in diesem Blogbeitrag nachzulesen.
Organisationale Resilienz ist die erlernbare Fähigkeit einer Organisation, einen Umgang mit Krisen zu finden, um langfristig handlungsfähig zu bleiben.
In der Diskussion war zunächst die Frage um Begrifflichkeiten zentral. Zum einen, weil in verschiedenen Wissenschaftsbereichen Begriffe teilweise unterschiedlich besetzt sind oder auch für ein und dieselbe Sache unterschiedliche Termini verwendet werden, z. B. spricht die Organisationsforschung oft von Prozessen, wo in der Psychologie eher Mechanismen gemeint sind.
Diskutiert wurde auch darüber, dass in der Definition für die Beschreibung der Organisation eine Sprache benutzt wird, bei der die Organisation wie ein Individuum zu Tage tritt, das z. B. die Fähigkeit hat zu „lernen“ und zu „heilen“. Hier hängt es von der Perspektive ab, ob man die Organisation als „Summe ihrer Teile“, d. h. den Menschen darin, oder als einen Organismus mit verschiedenen Bewegungen und Prozessen begreift.
Interessant waren die unterschiedlichen Reaktionen und Perspektiven auf Begriffe wie Krise oder auch Stabilität. Die Frage stand im Raum, welchen Tenor die Definition haben sollte. In der Arbeitsversion hatten wir mehrfach den eher negativ konnotierten Begriff der Krise verwendet, woraus sich die Frage ergab, ob man organisationale Resilienz nicht lieber in eine positivere Erzählung einbetten sollte.
Auch der Begriff Organisation selbst wurde unter die Lupe genommen: Wo beginnt etwas, eine Organisation zu sein? Denn auch das Bilden einer Organisation aus vereinzeltem Engagement könne schon als Resilienz-Zustand betrachtet werden.
Was macht zivilgesellschaftliche Organisationen resilient?
Nach einer Pause ging es weiter mit den Faktoren, die dazu beitragen, dass eine zivilgesellschaftliche Organisation resilient wird. Dr. Josefa Kny ersparte den Expert*innen den Blick auf alle 200 Begriffe, die sich in der Recherche angesammelt hatten. Das Team hatte im Vorfeld des Workshops schon geclustert und ein überschaubares Set von Faktoren ausgewählt.
Überblick der Resilienzmerkmale, überarbeitet auf Basis der Erkenntnisse aus dem Workshop
Die Diskussion in zwei Gruppen erbrachte noch weitere Aspekte, die relevant sind:
Kommunikation und Dialogkultur, auch die Fähigkeit, über Resilienz zu sprechen
Psychologische Sicherheit
Interkulturalität bzw. die Akzeptanz von Unterschiedlichkeit und der Umgang mit Verschiedenheit
Möglichkeit, sich strategisch langfristig finanzieren zu können
Lernfähigkeit und Veränderungsoffenheit als sehr relevante Merkmale
Zusammenarbeit mit Staat, Wirtschaft und Verwaltung
Deutlich wurde in der Auseinandersetzung auch, dass ein konsistentes Set an Merkmalen wichtig und hilfreich ist, aber keine Merkmalsliste alle Resilienzfaktoren umfassen und eindeutig beschreiben kann – da insbesondere der konkrete Kontext entscheidend ist für ihre Relevanz und ihr Zusammenwirken. Mehrere Stimmen stellten in diesem Zusammenhang die Frage in den Raum, ob die gesammelten Faktoren auch für vulnerable Gruppen zutreffend sind und ob man all das von deren Organisationen erwarten kann. Gegebenenfalls müsse man an Organisationen, die unter Druck sind, anders herangehen.
Was für eine Rahmengebung braucht es für eine resiliente Zivilgesellschaft?
Im dritten Teil des Workshops fragten sich die Teilnehmenden, welche Rahmengebung es seitens Politik und Förderinstitutionen und welche Infrastrukturen es braucht, um die Resilienz zivilgesellschaftlicher Organisationen zu stärken? Die Expert*innenrunde brachte eine Menge Klebezettel auf das Whiteboard.
Den stärksten Widerhall fand der Punkt, der Resilienz auf keinen Fall als neoliberales Konzept verstanden wissen will, das die Politik aus der Verantwortung nimmt. Der dahingehende, nicht unberechtigte Vorwurf führe dazu, dass der Begriff der Resilienz von manchen Communities stark abgelehnt wird. Deshalb müsse es darum gehen, den Organisationen zu vermitteln, dass ihre Resilienz zwar wichtig sei, sie aber auch darin und insgesamt unterstützt werden.
Als eine weitere wichtige Rahmenbedingung wurde die Langfristigkeit von Förderungen genannt, denn „Resilienz gibt es nicht zum Nulltarif“ – wie auf einem Klebezettel geschrieben stand. Hier müsse eine radikale Veränderung stattfinden, der Fokus der Fördernden müsse weg von Projektlogik und hin zu organisationaler Resilienzstärkung oder sogar zu Systemstärkung.
Allgemein brauche es klare Regelungen für Gemeinnützigkeit, generell eine höhere Wertschätzung von zivilgesellschaftlicher Arbeit und aber auch eine zivilgesellschaftliche Selbstermächtigung, um als starke Akteurin neben Wirtschaft und Politik wahrgenommen zu werden. Dann gelänge es auch eher, bessere Grundvoraussetzungen einzufordern und damit auch die resiliente Zivilgesellschaft zu stärken.
Wie geht es weiter?
Zum Abschluss überlegten wir gemeinsam mit den Teilnehmenden, in welcher Form der Austausch weitergehen könnte. Von allen wurde die Runde als inspirierend wahrgenommen. Von einer Weiterführung des Austauschs kann also ausgegangen werden.
So viel können wir schon mal verraten: Wir arbeiten an einer Podcast-Reihe, bei der die eine oder der andere Expert*in zu Gast sein wird. Stay tuned!
„Die resiliente Zivilgesellschaft“ ist ein Forschungsvorhaben des betterplace lab, gefördert für den Zeitraum Januar 2023 bis Juni 2024 durch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt.