Transaktional versus co-kreativ: Reflexion des betterplace co:lab Teil 2

Inhaltliche Arbeitstreffen und Coaching-Sessions wechseln sich ab

Immer wieder haben wir in eigenen Projekten erlebt, dass Partner sich ungerecht behandelt fühlen, das Gefühl haben, die Arbeitslast sei unfair verteilt, die Partner brächten nicht die notwendigen Kompetenzen mit, hätte unrealistische Ansprüche etc. Mit der Zeit ziehen sich einzelne Player zurück, während andere die Gesamtlast an sich ziehen. Diejenigen, die dann in Führung gehen, sind frustriert, denn dann hätten sie den Prozess auch von Anfang an ganz alleine stemmen können. Viele verlieren dadurch die Lust auf weitere Kooperationen. So oder so wird die Arbeit oft ineffektiv und verläuft viel zu oft im Sande.

Oder aber, sie wird nur noch pro forma zu Ende geführt (ohne jede Wirkung zu erzielen), da offiziell gescheiterte Projekte bei den meisten Geldgebern ungern gesehen werden und verhindern, dass sie Organisationen weiter finanzieren. (Eines der großen Privilegien unseres eigenen Projekts ist es, dass unsere Geldgebern radikal ergebnisoffen sind und wir dadurch auch radikal ehrlich sein können. Das wiederum wirkt sich direkt positiv auf das ausführende Team aus. Ein Thema, zu dem ich später noch mal einen Blogpost schreiben werde).

Ein maßgebliche Unterschied zu anderen Kollaborationsansätzen ist, dass wir neben der inhaltlichen Arbeit, eine Reihe von Reflexionsprozessen und inneren Kompetenzen gleichwertig einbeziehen und für alle Teilnehmer verpflichtend machen. 

Wir gehen davon aus, dass viele Versuche der Zusammenarbeit scheitern, weil die Partner am Anfang viele implizite Annahmen nicht explizit machen. Sie begeistern sich für ein gemeinsames Ziel und haben die Vorstellung ihre eigenen Visionen mit Hilfe der anderen besser umsetzen zu können. Also werfen sie sich in die Zusammenarbeit ohne viele Fragen vorab geklärt zu haben.

Fragen zum Ziel und Methodik, wie:

  • welches Ziel verfolgen wir wirklich?
  • Wieso ist dieses Ziel (und nicht ein anderes) wichtig?
  • Welche Hebel sind am wirksamsten, um dieses Ziel zu erreichen?
  • Wann wissen wir, dass wir das Ziel erreicht haben?

Fragen zur Motivation, wie:

  • Was motiviert mich beizutragen?
  • Was motiviert meine Organisation?
  • Welche Arbeitsbedingungen brauche ich, um motiviert zu bleiben?

Fragen zu Werten, wie:

  • Was ist uns bei der Arbeit wirklich wichtig? Welche Werte leiten uns?
  • Was genau verstehen wir unter diesen Werten?
  • Teilen wir dieses Verständnis?

Fragen zu Ressourcen, wie:

  • Was genau kann ich persönlich und was kann meine Organisation einbringen?
  • An welche Bedingungen ist meine/unsere Teilnahme gebunden?

Fragen zu Grundannahmen bez. der Kollaboration:

  • Verstehen wir unter Kollaboration einen transaktionalen Handel oder sind wir bereit grundsätzlicher uns auf etwas gemeinsames Neues einzulassen?

Oft scheitern Kooperationen, die mit viel Elan gestartet sind, weil sie grundsätzliche Fragen wie diese NICHT explizit adressiert haben, sondern von einem gemeinsamen Verständnis implizit ausgegangen sind. Alle denken: wir wollen doch das Gleiche und alles weitere sortiert sich im Prozess.

Das mag zwar auf manche Kollaborationen zutreffen. Viel öfter aber führt dieser offene Start im Laufe der Zusammenarbeit zu Reibungsverlusten, Irritationen, Konflikten, Frust und letztendlich gescheiterten Projekten. Denn insbesondere sobald es um klare Entscheidungen geht – Welches Budget wandert wohin? Welche Organisation wird wie sichtbar? Welcher Ansatz wird priorisiert? – treten die ungeklärten Unterschiede zu Tage und sorgen für Konflikte.

Was haben wir in den ersten drei Clustern gelernt?

Um die oben genannten Fragen explizit zu klären wechseln sich in unseren Clustern Arbeitstreffen, in denen inhaltlich das Thema der Gruppe bearbeitet wird, mit Sessions ab, in denen wir unsere Arbeit aus der Metaperspektive diskutieren und reflektieren. Dabei begleitet uns ein Coach. Dadurch, dass wir in diesen Sessions die oben aufgelisteten Fragen besprechen, bekommen wir als Teilnehmende ein viel differenzierteres Verständnis von unseren Partnern. Wir werden aber auch gezwungen uns selbst als Einzelteilnehmer stärker zu hinterfragen, unsere eigenen Glaubenssätze zu schärfen und mit anderen abzugleichen. Dadurch werden viele Prozesse und Themen, die uns bislang eher unbewusst waren, explizit auf den Tisch gelegt. Dies schafft viel Klarheit und ermöglicht es viel präziser zu arbeiten. Zum Beispiel können wir relativ früh abschätzen, welche Ziele für uns als Teams zu hoch oder zu niedrig gegriffen sind und welche wir realistisch verfolgen können.

In den ersten Reflexionssessions konnten wir aber auch schon sehen, dass dieser Ansatz nicht für jeden Sinn macht. Eine Organisation verließ ein Cluster mit dem Hinweis auf Kapazitätsengpässe. Aber auch andere Teilnehmende hadern immer wieder damit, dass die “eigentliche” inhaltliche Arbeit langsamer vorankommt, als sie es sich wünschen (und gewohnt sind). Ohne Zweifel ist unser Ansatz ungewöhnlich und anspruchsvoll: außer den Reflexionssessions müssen alle Teilnehmer fünf aufeinander aufbauende Workshops besuchen, in denen wir “innere Kompetenzen” wie Selbstkontakt, Entscheidungsfindung und Multiperspektivität üben. Im Laufe der nächsten Monate werden wir sehen, ob die sorgsam und bewusst geschaffene gemeinsame Basis nur ein nettes Add On ist, oder die Ergebnisqualität nachhaltig verbessert. In diesem Zuge sind wir auch auf die Diskussionen darüber gespannt, was Produktivität eigentlich bedeutet und wie wir sie messen können.

Aber wir bekommen auch schon jetzt (nach 2 Monaten Laufzeit) aus den Clustern viel positives Feedback. Wir hören, dass die Teilnehmer es als sehr bereichernd finden, das sie sich über so viele Dinge, die ansonsten unter den Tisch fallen oder vermieden werden, austauschen können.

Sie finden es wertvoll die eigene Perspektive von derer ihrer Organisation unterscheiden zu lernen, denn jeder von ihnen verbindet ja zwei Identitäten miteinander und zwischen dem, was ich als Joana möchte und dem, was meine Organisation, das betterplace lab, braucht und will, kann ein Unterschied liegen, der wertvoll ist benannt zu werden. Oft sind die Teilnehmer davon überrascht zu hören, welche Interessen und Bedürfnisse hinter bestimmten Verhaltensformen liegen. So bremste eine Teilnehmerin den Workflow, weil sie nicht wollte, dass die anderen mehr Arbeit haben, als sie selbst. Das war den anderen Teilnehmern aber gar nicht bewusst. Erst als ihre Annahme explizit im Raum stand, “ich kann die anderen doch nicht mehr arbeiten lassen, die stoßen ja an ihre Kapazitätsgrenzen”, konnte sich die Gruppe bewusst über Arbeitsanteile und ihre jeweiligen Commitments auseinandersetzen.

Die Atmosphäre in den Clustern ist offen und vertrauensvoll. Dazu gehört auch, dass wir bewusst auf unsere Kommunikationskultur achten: dominieren einzelne Teilnehmer die Arbeitssessions? Ich selbst bin mir beispielsweise bewusst, wie viel Platz ich manchmal einnehme, und muss lernen zu unterscheiden, wo ich wirklich einen kreativen Beitrag leisten kann, bzw. wo ich einfach nur aus meiner Gewohnheit heraus spreche. Hören wir einander aufmerksam zu? Bauen unsere Argumente auf denen der anderen auf oder springen von A nach B? Trauen wir uns möglicherweise unser Gesicht zu verlieren, uns zu blamieren, weil wir verrückte Ideen in den Ring schmeißen?

Uns ist auch bewusst, dass man co-kreative Räume nicht von heute auf morgen schafft. Manchen Teilnehmern fällt es leichter als anderen die Partikularinteressen der eigenen Organisation dem größeren Prozess unterzuordnen. Wie sehr möchten die Teilnehmer aus ihren bekannten, linearen Gewohnheiten aussteigen und sind bereit sich auf den notwendigerweise ungewohnteren und unsicheren Weg einzulassen, an dessen Ende etwas wirklich Neues steht? Und es ist ebenso wichtig Organisationen ernstzunehmen, die transaktional bleiben und sich nicht auf ein größeres, gemeinsames Ziel, welches erst im Prozess emergiert, einlassen wollen/können. Wichtig ist nur, dass wir dies in der Gruppe offen benennen und daraus auch Konsequenzen ziehen: das Ziel verändern oder die Kollaborationsgemeinschaft anpassen.


Joana Breidenbach, Bettina Rollow, Anjet Sekkat

Die hier geteilten Beobachtungen haben wir aus unseren unterschiedlichen Perspektiven (Joana: Clusterteilnehmerin, Anjet & Bettina: Prozessbegleiter) zusammengetragen, um euch einen ersten Einblick in die Dynamik des Programms zu geben. Parallel läuft ein länger angelegter qualitativer Evaluationsprozess, zu dem wir aber erst in ein paar Monaten etwas schreiben können.

Foto: Paolo Nicolello | Unsplash, La agrada familia, Barcelona

Our Podcast

The first episode of the series "Wir kriegen die Krise." (only in German)