Shrinking (Digital) Spaces

“Es wird eng!” Seit einigen Jahren lässt sich beobachten, wie die Handlungsspielräume für Zivilgesellschaften (teils rapide) abnehmen. Freedom House spricht davon, dass seit nun 13 Jahren kontinuierlich die politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten weltweit abnehmen. Genau dieser Prozess wird als “Shrinking” bezeichnet, mittlerweile sogar gesteigert in der Formulierung “Closing Spaces”. Fundamentale Rechte wie die Versammlungsfreiheit oder das Recht auf freie Meinungsäußerung werden beschnitten und unbequeme Aktivist*innen, Menschenrechtler*innen und NPOs – teils mit Gewalt – an ihrer Arbeit gehindert. Diffarmierungskampagnen, Kriminalisierung und unverhältnismäßige Regulierungen gehören genauso zum Arsenal der Unterdrückung wie finanzielle Hürden, z. B. durch strenge Steuergesetze für NPOs, und Repressionen im Sinne vorgeblicher Anti-Terror-Bemühungen. Manchmal richten sich diese suppressiven Maßnahmen gegen die gesamte Zivilgesellschaft, häufig zielen sie aber auf bestimmte Personengruppen ab, bsp. Journalist*innen, oder Minderheiten wie religiöse Gruppen oder die LSBTIQ-Community.

Das Phänomen der Shrinking Spaces ist global. Bleiben wir bei der Unterdrückung und Bedrohung von Menschen der LSBTIQ-Community: Allein in Afrika sind in 38 der 54 Ländern gleichgeschlechtliche Beziehungen verboten; Verstößen wird mit Erpressung, Inhaftierung und Gewalt begegnet. Shrinking Spaces finden sich zwar hauptsächlich, aber keinesfalls exklusiv in Ländern, in denen stark an Traditionen festhalten wird und autokratischen Staaten. Auch in Europa mehren sich die Fälle. In der Türkei werden Journalist*innen inhaftiert, Ungarns Präsident Orban hat ein Gesetz gegen NPOs verabschiedet und auch Spanien grenzte die Meinungsfreiheit 2015 per Gesetz ein. Der Bundestagsausschuss bezog im März 2017 zu dieser globalen Entwicklung Stellung. Unterm Strich leben laut Einschätzung des CIVICUS Monitor gerade mal drei Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, die noch als offen gelten können.

Die Digitalisierung übernimmt hier wieder mal die Rolle des zweischneidigen Schwertes: einerseits ersehnter Feuerlöscher, andererseits gefürchteter Brandbeschleuniger. Schließlich stellen digitale Technologien essentielle Werkzeuge für NPOs, Aktivist*innen und Journalist*innen dar – und können entsprechend kompromittiert werden. Egal ob es um die Organisation von Veranstaltungen geht, das Buchen von Reisen, das dezentrale Zusammenarbeiten mit anderen Akteur*innen, das Speichern von Informationen oder die Kontaktaufnahme und Kommunikation – all das läuft über zentralisierte, kostenlose oder kostengünstige digitale Tools, die entsprechende Spuren online hinterlassen. Auch sämtliche Finanztransaktionen können überwacht, offengelegt oder gänzlich unterbunden werden. Die Digitalisierung hat zivilgesellschaftliche Akteur*innen also genauso befähigt, wie sie sie verwundbar gemacht hat. Die Akteur*innen sind somit gezwungen einen Kompromiss zwischen Sichtbarkeit und Effizienz auf der einen Seite und Sicherheit und Anonymität auf der anderen zu finden.

Repressive Kräfte nutzen unlängst die Digitalisierung zu ihren Zwecken. Smartphones, Notebooks und Kameras werden zur Überwachung eingesetzt, weitere personengebundene Informationen über Plattformen “angefragt”. Laut Facebooks Transparency Report 2018 hat Facebook insgesamt 103.815 Anfragen zur Datenweitergabe von Regierungen erhalten. Und auch vor Cyber-Angriffen mittels Phishing-, Spy- und Malware schrecken einige Regierungen nicht zurück, um an sensible Informationen zu kommen. Bekannt wurde ein Fall, bei dem es Angreifer*innen auf die Daten über Journalist*innen und Menschenrechtler*innen bei Amnesty International abgesehen hatten. Falls das nicht ausreicht, sitzen Regierungen (insb. in autokratischen Staaten) am längeren Hebel und können in letzter Instanz kurzerhand einzelne Internet Services sperren oder gleich das Internet abstellen, wenn auch die United Nations 2015 in einem Statement klar gemacht haben, dass Shutdowns des Internets auch in Konfliktzeiten eine eindeutige Verletzung des internationalen Menschenrechtsgesetzes darstellen. 2018 wurden insgesamt 196 Shutdowns gemeldet – so viele wie nie zuvor.

Was lässt sich also tun, um Open Spaces zu erhalten oder zurückzugewinnen? Weitestgehend unabhängige Beobachtung und Benennung solcher Tendenzen erscheint essentiell, auch wenn das gerade in Closing Spaces schwierig ist. Klare Positionspapiere, wie z. B. von VENRO, können die Bundesregierung auffordern, entsprechend auf Partnerländer einzuwirken. Konkrete Strategien zum Schutz von Menschenrechten und dem zivilgesellschaftlichen Raum müssen stärkere Präsenz erfahren. Auch Bündnisse zwischen NPOs können zumindest etwas den Druck von einzelnen nehmen. Gleichzeitig gilt es das Internet als offenen Raum zu schützen, wie es die WWW Foundation seit zehn Jahren tut (s. Contract for the Web). Denn insbesondere der digitale Raum kann der Meinungsfreiheit dienen – oder der Unterdrückung.

Our Podcast

The first episode of the series "Wir kriegen die Krise." (only in German)