“Die Krittelkultur in Organisationen entsteht, wenn Menschen zu viel über Dinge reden, die sie nicht verändern können. Wir kennen das aus eigener Erfahrung. Wer einen Abend lang über globale Ungerechtigkeit, Klimakrise oder die Erosion der Demokratie spricht – der hat nichts verändert, außer seiner eigenen Laune. Die ist nach solchen Gesprächen eher schlechter als besser.”
Macher:innen-Kultur statt Krittelkultur
Klingt wie ein Slogan aus dem Imagefilm zu #UpdateDeutschland? Falsch geraten, das schwappte am vergangenen Wochenende nicht vom euphorisierenden Livestream des von ProjectTogether initiierten Hackathons, herüber. Vielmehr ist das zu lesen in der Liebeserklärung, die Hanno Burmester und Clemens Holtmann an eine Partei geschrieben haben, die es (noch) nicht gibt – vermutlich die erste Liebeserklärung, die man kaufen kann, ab 26.3. im Buchladen.
In jener Partei, an die sie gerichtet ist, wäre “Motzen ausschließlich dann erlaubt, wenn konkrete Schritte zur Veränderung des Missstands folgen, den man beklagt.” Schließlich geht es um nichts Geringeres als um Transformation. Dass wir uns inmitten einer großen Transformation befinden, wissen wir. Die vollzieht sich, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist nur, bestimmen wir selbst die Richtung mit oder nicht? Üben wir uns in der “Kunst der Trippelschritte” oder wagen wir grundsätzliche Veränderung? Letzteres können wir nur, wenn wir selbst transformativ werden in unseren Formen uns zu organisieren – ob innerhalb einer NGO, eines Unternehmens, einer Partei oder eines staatlichen Apparats. Wie schwer den beiden Letzteren das fällt, beschreiben die Autoren der Liebeserklärung ausführlich und eindrücklich.
Die Unbeweglichkeit im staatlichen Apparat ist ein Grund dafür, dass den Kritiker:innen des Hackathons mit dem vielversprechenden Titel #UpdateDeutschland und seines Vorgängers #WirVsVirus, der Kragen platzt und das Motzen zu einem Fauchen wird: “Die aktuellen Hackathons unter der Schirmherrschaft des Bundeskanzleramts suchen nach digitalen Innovationen, um eine Vielzahl gesellschaftlicher Probleme anzugehen. Doch dieser Ansatz kann nicht funktionieren, denn entweder sind die Probleme („Einsamkeit“, „soziale Ungleichheit“) überhaupt nicht sinnvoll mit Software lösbar oder aber die Lösungen können erfahrungsgemäß wegen kaputtgesparter Verwaltungen gar nicht langfristig in staatliche Strukturen eingebunden werden. Hier braucht es politisches Handeln, keine neuen Apps.”, heißt es in einer Pressemitteilung des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V., die direkt im Anschluss an die Schlussveranstaltung online ging, begleitet von einem Schwall von Rants auf Twitter. “Einige Kommunalpolitiker nutzen die Aufmerksamkeit für Initiative gleichzeitig dazu, sich im Superwahljahr 2021 selbst gut ins Szene zu setzenund sich als Digitalpolitiker zu positionieren.”, stellt Marcel Grzanna im Tagesspiegel Background fest.
Und dabei muss der Knackpunkt, da gehen wir mit Hanno Burmester und Clemens Holtmann, zusätzlich klar benannt werden: die Strukturen brauchen ein Update. Sonst scheitert Innovation immer wieder bzw. wir bleiben bei den Trippelschritten und entwickeln Apps, die an der Oberfläche kratzen. Ein grundlegendes Update wird vertagt. Darum wäre die Kritik auch im Sinne einer nicht existierenden transformativen Partei, denn die konkreten Schritte zur grundlegenden Veränderung der Missstände wurden längst benannt.
Mit positiven Ideen infizieren
Dennoch wollen wir die Euphorie und die Bereitschaft zur Veränderung der Macher:innen vom Hackathon-Wochenende nicht unter den Tisch kehren. Leidenschaft. Liebe und Lust an dem, was wir in Angriff nehmen, braucht es dringend in diesen Tagen der Vereinsamung, der Unsicherheit und des Frusts. Und darum klingen die Worte von Maja Göpel zum Auftakt des Hackathon-Wochenendes noch immer nach: “Wir wissen nie, wen wir infiziert haben mit einer positiven Idee.“ Selbst wenn das Rad noch einmal erfunden wird und Freiwillige Gefahr laufen “für ihre hohen Ziele auszubrennen” (FifF), kann jede positive Idee etwas in Bewegung setzen und optimalerweise läuft's dann auf einen transformativen Prozess hinaus. Es wäre ungerecht und kontraproduktiv, den Enthusiasmus der Menschen wegzuwischen, die am Wochenende Tausende mobilisieren konnten, ein Update für Deutschland in Angriff zu nehmen, für andere Klimapolitik zu streiken und darüber zu brüten, wie man die Parteien bewegen kann, die Bundestagswahl zur Klimawahl zu machen.
Letzteres passierte beim Neustart:Klima Hackathon, der parallel zum #UpdateDeutschland stattfand und von Campact organisiert wurde. Er fiel eine deutliche Nummer schmaler aus, was die PR angeht. Dafür konzentrierten sich die Macher:innen auf konsequente Anwendung von nachhaltigen Open Source Tools beim Aufsetzen und der Durchführung des Events. Inhaltlich ging es ganz konkret um die Frage, wie man die Parteien in diesem Land dazu bringt, sich WIRKLICH einer Politik zu verschreiben, die unseren Nachkommen eine Zukunft sichert und dabei wählbar zu sein von einer Wähler:innenschaft, die sich in großen Teilen schwer bewegen lässt. Es schien zunächst so, als dass man sich hier nicht am ganzen Strauß der Herausforderungen unserer Gesellschaft abarbeiten wollte, sondern sich auf den Weg zu einem klar umrissenen Ziel machte. Schaut man aber auf die 100 eingebrachten Ideen, stellt sich bei einem solchen Querschnittsthema der Strauß in allen seinen Facetten dar.
Love is the answer
Mit der Liebeserklärung in der Hand verspürte man beim Verfolgen des Tüftelns an den diversen Ideen den Impuls, allen Klimaneustarter:innen und Updater:innen zuzurufen: Halt, es kann nur Updates und Neustarts geben, wenn wir aufhören mit der Trippelei! Lest erstmal alle dieses Buch. Gebt es jedem/r in die Hand, der/die in einer Partei ist oder eine Partei wählen soll, denn um Himmels Willen, die Partei, die wir wählen sollten und die die Herausforderungen angehen kann, gibt es noch nicht. Und die Verwaltungen, die sich auf eure Ideen einlassen können, gibt es erst recht nicht.
Aber das kann nicht heißen, wir stecken den Kopf in den Sand und warten ab, bis sich jemand bequemt, eine Purpose-Partei zu gründen. Müssen wir auch gar nicht, denn wenngleich die Autoren postulieren, dass eine NEUE Partei zu gründen ist, lassen sie den bestehenden Parteien immerhin eine fundamentale Daseinsberechtigung: Parteien seien schließlich schon dezentrale und selbstorganisierende Systeme. Sie trügen das, was gerade Unternehmen neu entdeckten, seit Jahrzehnten in ihrer DNA. Ab Seite 111 der Liebeserklärung finden wir tatsächlich ein paar freundliche Sätze über die Ex. Und wir wissen alle, die Neue, die es noch gar nicht gibt, wird aus der kommenden Bundestagswahl keine Klimawahl machen und das auch noch mit einem Update bezüglich sozialer Fragen und globaler Ungerechtigkeiten verknüpfen. Das müssen die bestehenden demokratischen Parteien tun.
Darum ist das Fazit nach dem vergangenen Wochenende: Die Liebeserklärung muss für ALLE Parteimitglieder und deren Wähler:innen und vor allem ALLE, die Teil des Verwaltungsapparats sind, zur sofortigen Pflichtlektüre werden und ein augenblickliches Umdenken einleiten. Die Autoren werden dabei nicht müde, die Grundlagen dafür immer wieder zu wiederholen. Vielleicht redundant für die Einen, für die Anderen braucht es diese Massage. Was über allem steht: Liebe, Leidenschaft und Lust auf Zukunft sind unabdingbar, auch wenn wir mitten in einer Pandemie sind.
Schaut euch an, was bei #UpdateDeutschland entstanden ist und an welchen Herausforderungen bei Neustart:Klima gearbeitet wurde und fragt eure/n Buchhändler:in nach einer Liebeserklärung.