Die Rassismusdebatte in den USA ist nicht neu- mit #Blacklivesmatter kommt der Protest aber auf die Straße und richtet sich an die die es betrifft: Die Polizei, den Staat, die Zivilgesellschaft. Auch in Deutschland.
Die Szenen, die sich in den letzten Wochen in den USA abgespielt haben, schockieren.
Polizist*innen prügeln auf Demonstrierende ein, reißen Mund-Nasen-Masken von den Gesichtern, um diese mit Tränengas zu besprühen, fahren mit Polizeiwagen in die Menge. BPoCs (Black people und People of Color) stehen im Aggressionszentrum der Polizei. Weiße Verbündete versuchen BPoC mithilfe von Menschenketten von der Gewalt abzuschirmen. Sie versuchen sie zu schützen, mit dem, was ihre Körper auf den ersten Blick voneinander unterscheidet: die Hautfarbe. Und Videos zeigen, dass es funktioniert.
Hiermit offenbart sich der tiefe Rassismus, der diesem Kampf innewohnt. Menschen werden verprügelt – oder verschont– je nach Farbe ihrer Haut. Es könnte bildlicher nicht sein.
Am 25. Mai 2020 wurde George Perry Floyd in Minneapolis, im US-Staat Minnesota, von Polizisten ermordet. Diese Tat wurde in einem Video festgehalten, das in sozialen Medien viral ging und eine Welle von Protesten auslöste. Proteste gegen Polizeigewalt an BPoc und Polizeigewalt im Allgemeinen. Proteste gegen Rassismus. Proteste dafür, dass alle Menschen gleich behandelt werden sollen.
Der Fall George Floyd ist der metaphorische Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, denn er ist nur ein Beispiel aus einer langen Reihe von Fällen bei denen BPoCs in den USA diskriminiert oder ermordet wurden.
Die Bilder und Stimmen, die (spätestens) jetzt gehört und denen (spätestens) jetzt geglaubt wird, spiegeln eine Realität wieder, die lange aus der Wahrnehmung einer Mehrheitsbevölkerung ausradiert zu sein schien. Die Szenen, die sich abspielen, sind schockierend, aber ihre Gründe waren schon zuvor bekannt. Weil sie immer wieder artikuliert wurden. Friedlich und auf viele unterschiedliche Weisen.
Doch Viele wollen trotzdem von nichts gewusst haben. Viele sind mit der Überzeugung durch das Leben gegangen, genug darüber zu wissen, was Rassismus ist, wie sich Menschen fühlen, die rassistisch diskriminiert werden. Und auch mit dem Selbstverständnis, entweder genug gegen Rassismus zu tun, oder sowieso nichts bewirken zu können. Mit der Überzeugung genug über sich selbst zu wissen, um sagen zu können, man sei nicht rassistisch.
Für viele BPoCs ist ihr Leben so gefährlich geworden, so unerträglich, dass sie sich zum Kampf aufgemacht haben. Für viele weiße Menschen ist diese Eskalation ein Schlag ins Gesicht: weil zu Tage tritt, worüber man in der eigenen kleinen Welt nicht nachdenken musste, weil man das Privileg hatte, wegschauen zu können.
Tupoka Ogette, Autorin und Antirassismus-Trainerin, spricht von “Happyland”, wenn sie in ihrem Buch “Exit Racism” von der Lebens- und Erfahrungswelt weißer Mitbürger*innen erzählt. In “Happyland” sei Rassismus etwas offensichtlich Schlechtes, etwas was nur böse Menschen befürworten, etwas das nur dann passiert, wenn es bewusst von Menschen eingesetzt wird. Weil sich aber niemand als solch eine Person sieht und dementsprechend in den eigenen Augen gar nichts rassistisches machen könne, sei Rassismus kein Problem mehr. Das ist die glückliche Illusion, die in jüngster Zeit für Viele zerplatzt ist.
Die weiße Mehrheitsbevölkerung hat es in diesen Tagen sehr viel schwerer als zuvor, weg zusehen, wegzuhören oder nicht zu glauben. Denn das Schockierende ist offensichtlich geworden.
Die Dringlichkeit, das Thema des situativen und strukturellen Rassismus wahrzunehmen, zu reflektieren und BPoC – ob Mitbürger*innen oder nicht – in ihren Kämpfen zu unterstützen, ist durch den Tod von George Floyd nicht akuter als zuvor. Die Problematik ist aber sichtbarer geworden, mit Will Smith’s Worten: “Racism is not getting worse, it’s getting filmed”.
Eine weiße Mehrheitsgesellschaft hat es geschafft sich wohlig im eigenen Selbstverständnis zu wiegen, bis es so spät ist, dass andere Menschen nichts mehr zu verlieren haben. Die langen Jahre der friedlichen Demonstrationen, der mahnenden Worte und Kampagnen, sind an ihr scheinbar vorbeigegangen oder mit wohlwollenden Mienen abgenickt worden.
Während wir viel in die USA schauen und mit der abstrakten Reflexion diskriminierender Strukturen fortfahren, dürfen wir nicht vergessen, dass es auch in Deutschland akute Missstände im Umgang mit Minderheiten gibt. Während geflüchtete Menschen in sogenannte “sichere Herkunftsländer” abgeschoben werden und Flüchtlingslager in Griechenland überquellen, wird in Deutschland zu Beginn der Corona-Zeit die “Ode an die Freude” gesungen. Um mal wieder stolz zu sein auf die EU mit ihrem Zusammenhalt und Menschenrechten. Während Menschen in Moria kaum ein Stück Seife haben, um sich mit basaler Hygiene vor den Coronaviren schützen zu können, und Kinder von Suizid sprechen, feiern wir in Deutschland europäische Werte. Wer oder was muss man sein und haben, um in Europa und Deutschland das Recht zu besitzen Rechte zu haben? In ihrem Aufsatz “Wir Flüchtlinge” schreibt die Politik-Theoretikerin Hannah Arendt schon im Jahr 1943, dass die “soziale[n] Mordinstrumente” die “Pässe und Geburtsurkunden” sind, “mit [denen] man Menschen ohne Blutvergießen umbringen kann”, weil sie zu einer “Angelegenheit der sozialen Unterscheidung geworden” sind.
Leider erweist sich diese Beobachtung auch heute noch als aktuell. Also was tun?
Es ist nicht genug, nicht rassistisch zu sein. Es hilft den Betroffenen nicht. Weil man Schweigen nicht hört, wenn es laut um eine*n ist. Laut allerdings sind jene Menschen, die offen diskriminieren, die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft ihren Wert und ihre Würde absprechen.
Nichts dagegen zu sagen und nicht dagegen zu handeln, stärkt diejenigen, die Rassismus hochhalten.
Es ist nicht genug, nicht rassistisch zu sein. Man muss antirassistisch sein.
Die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft muss sich reflektieren, koloniale Strukturen – die sich in all diesen Problemen finden lassen – in unserem Denken und unseren Institutionen finden, anprangern und abschaffen. Sie müssen sich hinter die stellen, die qua Geburt dazu verdammt wurden in unserer Gesellschaft keine Privilegien zu erhalten. Die, die einer strukturell benachteiligten Klasse angehören, die wir* nicht wahr haben wollen.
Wie wir alle in den letzten Wochen gemerkt haben, ist ein Umgang mit diesem Thema nicht einfach. Um so wichtiger ist es, mit Bedacht zu handeln! Dafür ist es notwendig sich selbst aus dem Zentrum zu nehmen, sofern man nicht selbst aktiv betroffen ist, und dafür anderen zuzuhören. Und zwar denjenigen, die sonst am wenigsten gehört werden.
Was wollen und brauchen BPoC eigentlich? Wie kann man sich wirklich solidarisch verbünden? Was hilft ihnen im Kampf und was reproduziert ihre Diskriminierung (auch wenn überhaupt nicht intendiert?). Und was gibt es für Möglichkeiten, die Rechte und Bedürfnisse der Menschen an den europäischen Außengrenzen sichtbar zu machen und zu wahren? Wie kann politischer Druck erhöht werden?
Sich diese Fragen nicht zwingend stellen zu müssen, ist ein Privileg. Doch dieses kann man nur auf Kosten anderer nutzen. Wenn man diese Diskriminierung nicht unterstützen will, muss man sich heraus wagen aus der eigenen “Comfort-Zone”. Man muss zulassen, dass es nicht mehr ganz so gemütlich, ganz so einfach für eine*n ist. Weil es Freiheit so nicht für alle geben kann.
Quellen:
- Arendt, Hannah (2016): Wir Flüchtlinge. Mit einem Essay von Thomas Meyer. Rotbuch Verlag, Berlin, 9. Auflage.
- https://www.focus.de/politik/ausland/virus-angst-im-fluechtlingscamp-kinder-fuegen-sich-schaden-zu-und-reden-von-suizid_id_11786306.html