Ein Todesfall in der Familie, eine Mieterhöhung oder Ärger auf der Arbeit – viele Ereignisse können Stress auslösen. Und jeder Mensch reagiert ganz unterschiedlich darauf. Warum einige anscheinend besser damit umgehen können als andere, wird in der Psychologie unter “individueller Resilienz” erforscht.
Hier steht nicht das Ereignis im Forschungsmittelpunkt, das den Stress auslöst, sondern das menschliche Verhalten, das eine Erholung davon ermöglicht. Dieser Paradigmenwechsel ist angelehnt an das medizinische Prinzip der Salutogenese (vgl. Antonovsky 1997): Es wird nicht erforscht, was den Menschen krank macht, sondern wie er wieder gesund wird und bleibt.
Seit ihrem Beginn in den 1970er Jahren ist die individuelle Resilienzforschung von Uneinigkeit geprägt. Wie so oft können sich die Wissenschaftler*innen weder darauf einigen, was genau ein resilientes Individuum ausmacht, noch, wie genau man überhaupt resilient wird. Es ist daher bislang nötig, für jedes Forschungsvorhaben das eigene Resilienzverständnis begründet zu definieren.
Im Vergleich verschiedener Definitionen kristallisieren sich meist zwei Begriffe heraus, die wir als adversity und positive adaption zusammenfassen (vgl. Fletcher & Sarkar 2013, S. 13f).
Zwei Komponenten: Adversity & Adaption
Die zwei Hauptkomponenten nehmen die Rolle des Auslösers (adversity) und der Reaktion (positive adaption) ein. Beide sind gleichermaßen entscheidend für das Auftreten von Resilienz, bieten aber einen Spielraum, was genau unter ihnen verstanden wird.
Der englische Begriff adversity wird im Deutschen mit Unglück, Not oder Missgeschick übersetzt (vgl. Langenscheidt), allerdings im Kontext der psychologischen Resilienzforschung eher gleichbedeutend mit Stressor (vgl. Böhme 2019) oder Schock (vgl. Brunnermeier 2021) verwendet. Gemeint ist damit immer ein Ereignis, das den Alltag des Individuums unterbricht und dadurch Stress auslöst. Die „Größe“ dieses Ereignisses bleibt dabei variabel, so kann eine kurzweilige Herausforderung, wie auch ein globales Desaster darunter gezählt werden, entscheidend ist die Signifikanz für das belastete Individuum. Wie bereits in einem früheren Blogbeitrag besprochen, ist auch Krise ein Begriff für solch ein Ereignis. Cullberg (2008, S. 17) definiert die Krise auf individueller Ebene als einen „Verlust des seelischen Gleichgewichts […], wenn ein Mensch mit Ereignissen oder Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie seine bisherigen Problemlösungsfähigkeiten übersteigen“. Gerade diese Definition zeigt, dass adversities oft einen Kontrollverlust oder eine Lähmung mit sich bringen (vgl. Bünder 2020) – ohne Lösung in Sicht scheint Aufgeben unausweichlich.
Um diese Reaktion zu vermeiden, sieht das Prinzip der Resilienz stattdessen eine positive adaption auf die Krise vor. Positiv, weil eine resiliente Anpassung an die Krise immer eine Aufwärtsbewegung bedeutet – entweder ich komme aus dem Tief der Krise wieder zurück in meinen vorherigen Alltag (bzw. habe diesen nie verloren), oder verändere ihn sogar, indem ich aus der Krise lerne und mich weiterentwickle. Leipold und Greve (2009, S. 41) entscheiden sich beispielsweise dafür, beide Bewegungen in ihrer Definition aufzunehmen und beschreiben individuelle Resilienz als „an individual’s stability or quick recovery (or even growth) under significant adverse conditions“.
Resilient oder nicht resilient – Ist das hier die Frage?
Resilienz (also der Umgang mit Krisen) ist demnach determiniert durch das Verhältnis zwischen adversity und positive adaption. Warum variiert das Verhältnis jedoch individuell so stark bzw. warum sind wir nicht alle gleichermaßen resilient?
In der Anfangsphase der psychologischen Resilienzforschung wurde versucht, Unterschiede durch Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften zu erklären. Dementsprechend galt zum Beispiel die Annahme, dass eine optimistische, selbstwirksame, gläubige Person grundsätzlich resilienter auf Krisen reagiert als eine Person, die diese Merkmale nicht trägt. Damit geht einher, dass individuelle Resilienz selbst als trait (= Eigenschaft) betrachtet wurde, also eine Art Zustand, der auch außerhalb von Krisen messbar bleibt, da ein Individuum ihn entweder innehat oder nicht (vgl. Hoffmann 2017, 57f).
In den 1990er Jahren verlor sich dieser Grundsatz allerdings, da Wissenschaftler*innen weniger nach Merkmalen suchten, die eine Person resilient machen, sondern den Prozess in den Blick nahmen, der die Reaktion auf eine Krise als resilient kennzeichnet. Resilienz ist damit nicht eine Art Zauberformel von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen, sondern die Fähigkeit, sich den neuen Begebenheiten anzupassen. Diese Sicht auf Resilienz betont ihre Veränderbarkeit: Individuelle Resilienz kann situational variieren, erlernt oder auch wieder verloren werden, abhängig von der Art der adversity sowie von der Interaktion zwischen dem Individuum und seiner Umwelt (vgl. Fletcher & Sarkar 2013, S. 13).
Trotz der breiten konzeptionellen Durchsetzung von Resilienz als veränderbare Fähigkeit bleiben Persönlichkeitsmerkmale weiterhin wichtig. Doch statt sie als feste Bestandteile individueller Resilienz zu begreifen, werden sie nun als Resilienzfaktoren betrachtet. Darunter versteht man unterstützende Faktoren, die den Prozess der positive adaption ermöglichen bzw. erleichtern (vgl. Kalisch et al. 2017). In der Psychologie werden sie in protective factors und promotive factors unterteilt, also solche, die einerseits das Individuum vor der Krise schützen und andererseits die Heilung fördern, wenn das Individuum von der Krise betroffen ist (vgl. Fletcher & Sarkar 2013). Zu ihnen zählen neben personalen Faktoren wie etwa Optimismus und Selbstwirksamkeit (vgl. Gilan, Helmreich & Hahad 2021) auch externe Faktoren (Bildungsmöglichkeiten, Finanzen, soziales Umfeld, etc.) sowie erlernte Fähigkeiten, wie z. B. Coping-Strategien. All diese Resilienzfaktoren interagieren miteinander und ermöglichen es mir, sie situationsspezifisch – mehr oder weniger bewusst – wahrzunehmen und meine eigenen Resilienzprozesse zu gestalten (vgl. Hoffmann 2017, 61ff).
Eine*r für alle – alle für eine*n
Resilienz ist offensichtlich ein kompliziertes, da äußerst individuelles und multifaktorielles Konzept. Schlussendlich spielt jedes soziale System, in das eine Person eingebettet ist, egal ob Familie, Arbeitsplatz oder Gesellschaft, in die Ausprägung der Resilienzfähigkeit hinein. Deshalb kann ein resilientes Individuum nie getrennt von seiner Umwelt betrachtet werden. Das größte Potenzial, die individuelle Resilienz zu fördern, besteht dadurch im systematischen Aufbau von Resilienzfaktoren auf gemeinschaftlicher Ebene (vgl. Doppelt 2023). Sobald individuelle Resilienz als generell erlern- und verbesserbare Fähigkeit anerkannt und aktiv gefördert wird, bedeutet das nicht nur eine Vielzahl resilienter Individuen, sondern auch eine resilientere Gesellschaft. In diesem Sinne schreibt Brunnermeier (2021, S. 26): “Eine Gesellschaft ist als Ganzes resilient, wenn alle oder wenigsten die meisten Leute die Möglichkeit haben, so zu reagieren, dass sie zurückfedern können.“ Die Verantwortung, die individuelle Resilienz zu steigern, liegt also nicht (nur) beim Individuum, sondern auch in der Gemeinschaft – von lokal bis global.
Quellen:
- Antonovsky, Aaron (1997): Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Hg. v. Alexa Franke. Tübingen: dgvt Verlag (Forum für Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, Band 36).
- Böhme, Rebecca (2019): Resilienz. Die psychische Widerstandskraft. 1st ed. München: C.H. Beck.
- Brunnermeier, Markus Konrad (2021): Die resiliente Gesellschaft. Wie wir künftige Krisen besser meistern können. Berlin: Aufbau.
- Bünder, Peter (2020): Krise. Hg. v. Carl-Auer Verlag. Online verfügbar unterhttps://www.carl-auer.de/magaz..., zuletzt geprüft am 26.08.23.
- Cullberg, Johan (Hg.) (2008): Krise als Entwicklungschance. Überarb. und erw. Neuausg.der Ausg. von 1980. Gießen: Psychosozial-Verlag.
- Doppelt, Bob (2023): Preventing and healing climate traumas. A guide to building resilienceand hope in communities. New York: Routledge.
- Fletcher, David; Sarkar, Mustafa (2013): Psychological Resilience. In: European Psychologist 18 (1), S. 12–23.
- Gilan, Donya; Helmreich, Isabella; Hahad, Omar (2021): Resilienz - die Kunst der Widerstandskraft. Was die Wissenschaft dazu sagt. 1st ed. München: Herder Verlag.
- Hoffmann, Gregor Paul (2017): Organisationale Resilienz. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin, Heidelberg.
- Kalisch, Raffael; Baker, Dewleen G.; Basten, Ulrike; Boks, Marco P.; Bonanno, George A.; Brummelman, Eddie et al. (2017): The resilience framework as a strategy to combat stress-related disorders. In: Nature human behaviour 1 (11), S. 784–790.
- Leipold, Bernhard; Greve, Werner (2009): Resilience: A conceptual bridge between coping and development. In: European Psychologist 14 (1), S. 40–50.
- Van der Vegt, Gerben S.; Essens, Peter; Wahlström, Margareta; George, Gerard (2015): Managing Risk and Resilience. In: AMJ 58 (4), S. 971–980.