Starke Nerven, rundum gesund durch mentales Training – schon mal solchen oder ähnlichen Werbeslogans begegnet? Was zunächst wenige Leute von buddhistischen Mönche lernten, ist inzwischen auch in der westlichen Wissenschaft angekommen: Psychische und physische Widerstandsfähigkeit und eine Veränderung unseres emotionales Wahrnehmens lassen sich durch mentales Training steigern. So lautet eine der zentralen Erkenntnisse des ReSource Projekts, eine der bislang größten wissenschaftlichen mentalen Trainingsstudien zur Kultivierung von Eigenschaften wie Achtsamkeit, Mitgefühl, Perspektivenübernahme und prosozialem Verhalten. Prof. Dr. Tania Singer ist Leiterin des Projektes und der Forschungsgruppe Soziale Neurowissenschaften der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin. Im co:lab X am 09.07.2021 teilte sie Erkenntnisse aus ihrer Langzeitstudie mit uns und lud uns im Anschluss zur Selbsterforschung ein.
Erkenntnis 1: Es gibt unterschiedliche Motivationssysteme, die unser Handeln als Menschen anleiten. Dem Care-System sollten wir viel mehr Bedeutung zumessen. Denn es sorgt dafür, dass wir gesund bleiben!
Anders als die Wirtschaftswissenschaften lange annahmen, hat die Psychologie festgestellt, dass in uns Menschen verschiedene Motivationssysteme nebeneinander existieren und diese situativ je nach Kontext jeweils aktiviert werden können.
Die erste Gruppe Motivationssysteme hat einen Belohnungsfokus: Anreize sind hier Leistung, Konsum, Macht. Eine zweite Gruppe der Motivationssysteme funktioniert über Bedrohung: Aggression und Angst gehören dazu. Und eine dritte Gruppe Motivationssysteme hat einen sozialen Fokus. Hier geht es um Zugehörigkeit und Fürsorge. Alle von ihnen haben ihre Daseinsberechtigung und sind aufgrund evolutionärer Bedürfnisse entstanden, auch wenn wir aktuell die meiste Zeit in unseren westlichen Gesellschaften in Motivationssystemen mit Belohnungsfokus unterwegs sein dürften. Das hat durchaus Vorteile, denn sie sorgen dafür, dass wir Antrieb haben, nach Dingen streben, uns begeistern lassen – aber auch über unsere Grenzen gehen. Im Körper sind diese Anreizsystem mit dem Neuropeptid Dopamin assoziiert, das uns ein wunderbares High bescheren kann, wenn wir höher, schneller, weiter kommen (als alle anderen). Es liegt aber genau deshalb auch ein Suchtpotenzial in unserem Lebensstil. Der Grund, warum so viele unserer Verhaltensweisen nicht gesund und außer Balance sind. Denn dieses Antriebssystem ist eng mit dem Bedrohungssystem verbunden. Wir leben ständig mit der Angst, nicht mehr mitzuhalten, unseren Status oder erworbenen Güter wieder zu verlieren oder eine intensive Erfahrung nicht wiederholen zu können. Damit das nicht geschieht, brauchen wir immer mehr von den Belohnungen. Und was nun? „Es gibt auch noch die Motive mit sozialem Fokus, wie Affiliation (Bindung) und Care (Fürsorge). Vor allem unser Care-System ist ein auf andere Personen ausgerichtetes, sehr altruistisches Motivsystem, was uns wieder in Balance bringen kann“. Die mit diesem System verbundene verbundene Ausschüttung des Wohlfühlhormon Oxytozins kann Stressreaktionen im Körper entgegenwirken und uns dabei helfen, dass wir uns wohl und aufgehoben fühlen. Die Forschung deutet sogar darauf hin, dass, wenn in uns das Care System aktiviert ist, wir uns nicht nur verbunden fühlen sondern auch kooperativer verhalten. Es haben also alle etwas davon.
Erkenntnis 2: Bis ins hohe Alter können wir Mitgefühl und andere soziale Kompetenzen erlernen.
Tania Singer und ihr Forschungsteam haben im Rahmen des ReSource Projekts 300 Menschen neun Monate lang untersucht und nachgewiesen, dass Meditation einen Effekt auf die Veränderungen der Strukturen des Gehirns hat – und zwar, anders als lange in der Forschung angenommen, in jedem Alter. Im Rahmen des ReSource Projekts nahmen mehrfach ca. 80 Personen an Retreats teil, um drei verschiedene Arten der Meditation zu erlernen und diese dann anschließend für drei Monate im Alltag anzuwenden. Sie trainierten täglich 10 Minuten, allein oder mit immer neuen Partner*innen, Präsenz (z. B. Atem-Meditation, Bodyscan), Fürsorge (z. B. Loving Kindness-Meditation, Affekt-Dyaden) und die kognitive Perspektivenübernahme (z. B. Gedanken beobachten, Perspektiv-Dyaden). Nach den Partner*innen-Dyaden nahm nachweislich die wahrgenommene Nähe zwischen den Teilnehmenden zu. Von Woche zu Woche wurde zudem das Gefühl von allgemeiner Nähe und Vertrauen in andere Menschen größer.
Erkenntnis 3: Empathie und Mitgefühl sind nicht das gleiche. Wenn wir Mitgefühl trainieren, tun wir nicht nur etwas für andere, sondern auch für uns.
Empathie, so Tania Singer, bezeichnet unsere Fähigkeit die Gefühle des anderen (Ekel, Freude etc.) zu teilen. Evolutionsbiologisch ist die Empathiefähigkeit zentral, weil sie zum Beispiel Eltern ermöglicht die Bedürfnisse ihrer Kinder ohne Sprache zu erkennen. Empathie sorgt genau dafür, dass wir mitleiden, damit wir handeln, wenn wir beispielsweise das Leiden eines Kindes sehen. In bestimmten Situationen ist dieses Mitleiden aber nicht hilfreich und sorgt für so genannten empathischen Stress. Wenn wir uns emotional anstecken lassen und die in der Empathie noch vorhandene Erkenntnis verlieren, daß es der andere ist, der leidet und nicht wir selbst, dann können wir in eigenes Leid versinken und oft selbst nicht mehr gut helfen. Mitgefühl beruht hierbei auf einem ganz anderen Netzwerk im Gehirn (dem Care System) und ist weniger mit Mitleiden als mit Fürsorge und Gefühlen von Liebe und Wärme verbunden. Daher ist es wichtig zu üben, von einer gesunden empathischen Reaktion ins Mitgefühl zu gehen. Wir können uns dann ganz klar vom anderen abgrenzen und über Zuneigung, Liebe und Fürsorge etwas für uns selbst und unser Gegenüber tun. Vor allem für Menschen in sozialen, helfenden Berufen ist diese Unterscheidung Gold wert! Denn wie wir gerade gelernt haben, kann man Mitgefühl trainieren. Wie ein Muskel wächst damit unsere graue Masse und unsere Fähigkeit, für andere da zu sein und dabei nicht auszubrennen.
Reflexionsfragen:
Welches Motivationssystem dominiert euren Arbeitsalltag? Leistung, Macht, Konsum, Angst, Ärger, Zugehörigkeit, Fürsorge? Wie fühlt sich das an, wenn dieses Motiv in euch aktiv ist (z.B. gehetzt, warm, gierig, freudig, erfüllend)?
Wie geht ihr mit Leiden und Stress von anderen um? Geht ihr dann eher in empathischen Stress oder in Mitgefühl? Oder reagiert ihr ganz anders darauf?
Falls ihr weiter in das Thema einsteigen wollt: Auf der Webseite von Tania und der Subpage zum ReSource Projekt gibt es zahlreiche Talks, Videos und Literaturempfehlungen, unter anderem ein kostenfreies E-Book zum Thema Mitgefühl. Tania Singer lädt zudem zur Masterclass im nächsten Frühjahr ein: 3 Tage intensives Retreat, 8 Wochen Dyadenarbeit.
Dieser Workshop ist Teil des betterplace co:lab-Programm. Alle weiteren Informationen zum Programm findet ihr auf unserer Webseite. Das betterplace co:lab-Programm ist ein Projekt des betterplace lab und wird gefördert durch Luminate und die Schöpflin Stiftung.