Die 4-Tage-Woche: Ein Tag mehr fürs Wellbeing

Anfang des Jahres haben wir in einem auf sechs Monate angelegten Experiment die 4-Tage-Woche gestartet. Inzwischen ist Juli und tadaaa, jetzt ist sie fix in unseren Arbeitsverträgen. Konkret heißt das, statt 40 werden nur noch 32 Stunden pro Woche gearbeitet – und das bei gleichbleibendem Gehalt. Mitten in einer Zeit, die von Inflation und allgemeiner Unsicherheit geprägt ist. Wie passt das zusammen, kann man sich fragen. Dass Krisen in der Zukunft abnehmen, wäre schön und wünschenswert, aber leider ist nicht davon auszugehen. Keine schlechte Idee, dem mit einem stabilen Team zu begegnen, oder? Der Wunsch, das persönliche Wellbeing der Mitglieder des Teams zu fördern, stand bei unserer Entscheidung klar im Vordergrund. Anscheinend hat sich das Experiment positiv auf das Wohlbefinden ausgewirkt. Ein Gespräch mit Anna Ueberham

Wie hast du das im Team wahrgenommen, Anna?

Ich bin Anfang des Jahres ins betterplace lab eingestiegen, als das Experiment gerade begann. Einen richtigen Vorher-Nachher-Vergleich innerhalb des Teams habe ich daher nicht. Ich hatte aber den Eindruck, es fiel uns allen schwer uns ehrlich vorzustellen, jemals den Schritt "zurück" zu gehen.

Die Umsetzung hat ab Woche eins Fakten in unser aller Alltag geschaffen. Ich hatte vorher immer 40-Stunden-Vollzeit-Stellen. Für mich persönlich war (und ist) es eine umwälzende Erfahrung. Ich hatte nicht mit so großen Veränderungen gerechnet.

Wie geht es dir mit der kurzen Woche? Und wie kommen dir die drei Tage Wochenende zugute?

Der Druck ist natürlich sehr hoch, wenn ich in vier Tagen mein Arbeitspensum schaffen muss. Wir haben uns lange mit der Frage nach Produktivitätssteigerung auseinandergesetzt und auch damit, was dadurch weniger Raum bekommt, was hinten runter fällt. Und ob dieser Produktivitätsdruck nicht vielmehr den Stress erhöht und sich letztlich negativ auf das Wellbeing auswirkt. Aber wir haben viele gute Antworten gefunden, die für unser Team funktionieren: Interne Meetings nur am Nachmittag, um stille Arbeitszeit zu ermöglichen; regelmäßige, gemeinsame Sundowner, um in Verbindung zu bleiben und auch entspannt und kreativ zusammen zu sein. Auch eine sehr straffe Meetingkultur, Kommunikation über Slack und klarere Rollen helfen uns in vier Tagen viel zu schaffen.

Ich habe den Eindruck, dass es uns zugute kommt, dass wir als selbstgeführte, kompetenzbasierte Organisation schon seit vielen Jahren den Fokus nicht nur auf New Work, sondern auch auf Inner Work legen.

Wir haben zahlreiche wirkungsvolle Mechanismen – auch in Prozessen wie Entscheidungsfindung und Konfliktbearbeitung, die gerne viel Zeit beanspruchen – aufbauen können, auf die wir jetzt gezielt zurückgreifen können.

Für mich persönlich bedeuten drei Tage Wochenende eine enorme Gestaltungsfreiheit. Ich habe damit acht Stunden die Woche, über die ich selbst verfügen kann, worüber keine familiären oder beruflichen Abstimmungen nötig sind. Ich kann Sachen erledigen, ein Buch lesen, Ärzte besuchen, Yoga machen, im Sommer für eine Runde schwimmen zum See fahren. Worauf immer ich Lust habe, ich kann es tun, ohne jemandem (in meinem Fall gibt's nur meinen Partner) die Betreuung meines Kindes zu übertragen, dafür an anderen Tagen wieder "auszugleichen" und immer abzuwägen, was für einen selbst wichtig genug ist, um es von der Kinderzeit abzuzwacken. Das Dilemma kennen glaube ich alle, die Betreuung in irgendeiner Form leisten.

Ich bin in den letzten Monaten so viel mit dem Zug gereist, wie seit meinem Studium nicht mehr, konnte wichtige Freundschafts- und Familienbande pflegen. Mit der 4-Tage-Woche habe ich wieder angefangen mein Ehrenamt aufleben zu lassen, gehe mehr zu Veranstaltungen, vernetzte mich.

Es tut gut und das – davon bin ich überzeugt – strahlt letztlich auch mit neuen Ideen und Weitblick zurück in die berufliche Bubble.

Es war ja erstmal ein Test und am Ende des Experiments haben wir uns dafür entschieden, bei der 32-h-Woche zu bleiben. Das hat einen längeren Prozess gebraucht. Wie sah der aus und warum war das notwendig?

Wir mussten als Team einen offenen Entscheidungsprozess finden, in dem wir uns ehrlich mit den Vor-und Nachteilen der 4-Tage-Woche für unsere Organisation auseinandersetzen. Die Entscheidungsfindung kann man als dreiteiligen Prozess nachzeichnen.

Im ersten Schritt fand die persönliche Reflexion statt. Wir haben zunächst in Zweierteams nachgeforscht, was die 4-Tage-Woche für jede*n von uns bedeutet. Wir haben aufgedröselt, welche Vor-und Nachteile, Ängste und Hoffnungen wir für daran knüpfen und uns anschließend im Team offen und ehrlich dazu ausgetauscht.

Im zweiten Schritt haben wir das betterplace lab als Organisation angeschaut. Wir haben die zentralen Argumente aus Organisationssicht herausgearbeitet. An der Stelle gab es lange Diskussionen, da viele Themen je nach Perspektive als Vor- oder Nachteil eingeordnet werden können.

Im dritten Schritt wurde klar, dass wir nur unter bestimmten Bedingungen vom Wert der 4-Tage-Woche für das betterplace lab überzeugt waren. An der Stelle haben wir begonnen, nicht mehr die Entscheidung für oder gegen das Modell der Arbeitszeitverkürzung zu diskutieren, sondern intensiv zu bearbeiten, wie wir es so ausgestalten können, dass es auf uns passt. Dafür haben wir in kleinen Teams Lösungsvorschläge für die Herausforderungen entwickelt, die sich herauskristallisiert hatten.

Entstanden ist eine Team-Vereinbarung, die neben Rahmenbedingungen (ein fester freier Tag) auch weitere Übereinkünfte umfasst, zum Umgang mit Stress und Überstunden, Standardisierung und Teamgefühl.

Letztlich haben wir festgehalten, dass wir alle für das Gelingen und damit die positiven Effekte der 4-Tage-Woche verantwortlich sind.

Klar ist auch, dass wir jederzeit zur 5-Tage-Woche zurückgehen können, wenn sich unsere Erwartungen langfristig nicht erfüllen oder wir unsere Finanzierung durch die 4-Tage-Woche gefährdet sehen.

Was sprach denn konkret gegen die Fortsetzung?

In erster Linie beunruhigte uns, dass wir uns selbst einem erhöhten Produktivitätsdruck aussetzen und deutlich weniger Spielraum für Unerwartetes, Kreatives, Feedback und Weiterentwicklung bleibt. Einige zentrale Argumente gegen die Fortsetzung waren auch mit der fehlenden Sicherheit verbunden, welche finanziellen Implikationen die 4-Tage-Woche bringt.

Letztlich haben für uns aber die positiven Argumente deutlich überwogen: Auf der individuellen Ebene ist das die gewonnene Zeit für Gesundheit, die Erhöhung der Energie und Motivation für die Arbeit durch die lange Erholungsphase und auch die indirekte finanzielle Verbesserung durch die reduzierte Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Als Organisation sind wir als Arbeitgeberin attraktiver geworden und fördern noch mehr als zuvor gezielt eine Kultur der Selbstorganisation (z.B. durch Sparring, Pat*innenprogramme, transparente Prozesse, Leitfäden). Zu guter Letzt schaffen wir uns mit der 4-Tage-Woche einen Freiraum. Wir möchten einen Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung leisten, das versuchen wir privat sowie beruflich.

Auch Care-Arbeit und alle Arbeit im Ehrenamt sehen wir als der Lohnarbeit gleichwertigen gesellschaftlich wichtigen Part an, der nicht an den (prekären) Rand gedrängt gehört.

Damit bist du schon bei der gesellschaftlichen Dimension angekommen, auf die ich dich ansprechen wollte. Manch eine*r ist skeptisch gegenüber den Wünschen nach verringerter Arbeitszeit von Beschäftigten. Wenn wir den Fachkräftemangel und den Schritt in die Rente der Boomer-Generation im Blick haben, was kannst du den Zweifeln entgegensetzen? Ist es nicht elitär und privilegiert, uns so auf unser persönliches Wellbeing zu berufen?

Ich glaube nicht daran, dass wir diese große Herausforderung durch eine gleichbleibende oder gar erhöhte Arbeitszeit der vorhandenen Fachkräfte lösen können. Wir erzeugen dadurch nur mehr Zivilisationskrankheiten, Ausbeutung in bestimmten Branchen und Burn-out-Nebeneffekte, die uns als Gesellschaft letztlich noch mehr schaden.

Ich denke, der Fachkräftemangel kann unter anderem mit einem Blick auf technisch-innovative Lösungen und Einwanderung nachhaltiger angegangen werden. Menschen, die unsere gesellschaftlichen Herausforderungen (und davon ist der Fachkräftemangel nur eine) multiperspektivisch, kreativ und holistisch angehen können, brauchen wir aber mehr denn je. Die schnelle, digitale Welt fordert von uns innere Stabilität und Klarheit, die das Außen nicht hergibt. Die Ausgangssituation ist komplex, Veränderungen finden ad hoc statt, Entscheidungssituationen sind oft nicht eindeutig richtig oder falsch, die Zeit etwas zu verstehen, zu erforschen und anzuwenden ist meist enorm kurz. Wir brauchen eine innere Stabilität, einen inneren Kompass, um unter diesen Voraussetzungen weiterhin navigieren und gestalten zu können. Das zu finden braucht aber viel Kraft, ein gutes Verständnis für die eigenen Fähigkeiten und nicht zuletzt für die eigene physische und psychische Gesundheit. Ich befürchte, dass wir eine große Menge an Menschen abhängen, die den zukünftigen Herausforderungen nicht gewachsen sind, wenn wir nicht vielmehr das Individuum in den Blick nehmen und Menschen dazu befähigen.

Für mich ist daher Wellbeing ein Schlüssel zu gesellschaftlicher Gesundheit, Demokratie und Teilhabe und keine Selbstbezogenheit.

Die 4-Tage-Woche kann dabei ein Pfeiler zum gesellschaftlichen Umdenken sein, ist aber sicherlich allein keine gesellschaftsverändernde Heilsbringerin.

Vielen Dank, dass du deine Gedanken geteilt hast!

Ihr habt auch Erfahrungen mit der 4-Tage-Woche. Teilt sie gern mit uns: lab@betterplace-lab.org

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Die erste Folge in der Resilienz-Reihe