Design Sprints Wellbeing & Kollaboration

Ist das persönliche Wohlbefinden und eine gute Zusammenarbeit nicht für alle Menschen im sozialen Sektor wichtig?

Aus unseren Befragungen während der ersten beiden Jahre Programmarbeit zu Wellbeing und Kollaboration ergab sich, dass wir mit unseren kostenlosen Workshops einige Menschen so gut wie nicht ansprechen konnten: Menschen mit Mehrfachbelastungen, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen und Männer.

Um herauszufinden, aus welchen Gründen unser Angebot von diesen Engagierten nicht angenommen wurde, haben wir im Juli drei Design Sprints durchgeführt, zu denen wir jeweils Vertreter*innen aus den genannten Gruppen eingeladen haben. Design Sprints bedienen sich den Methoden des Design Thinking, um im partizipativen Prozess gemeinsam mit der Zielgruppe zu erörtern, welche Bedarfe und Wünsche es hinsichtlich einschlägigen Themen zu bedenken gilt.

Unsere Annahme: Wellbeing ebenso wie Kompetenzen für Kollaboration sind für Menschen aus den drei Gruppen genauso wichtig wie für die ca. 1000 Leute, die die Workshops in den Jahren zuvor in Anspruch genommen haben. Auf folgende Fragen wollten wir gern Antworten erhalten: Wie und in welcher Form möchten sie sich mit Wellbeing beschäftigen? Welche Bedarfe haben sie und welche Settings würden sich für sie einladender anfühlen? Sind wir überhaupt die Richtigen, um Angebote zu machen, die für sie passen? Wie blicken sie auf Kollaboration und was hilft ihnen, gut in die Zusammenarbeit zu finden?

“Für mich war es total interessant, eine Zielgruppe zu erleben, die wir nicht so gut erreicht haben und zu merken, wie unglaublich relevant die Inhalte auch für sie sind”, resümiert Trainerin Jana Schmitz, die beim Design Sprint mit den Männern einen kurzen Einblick in die Workshop-Inhalte gab und während des ganzen Tages außerdem als stille Zuhörerin teilnahm. Besonders bei der Fokusgruppen-Diskussion wurde das für sie deutlich: “Es gibt super viel Bedarf, ganz viele Fragestellungen und Themen, die die Männer auch beschäftigen – sowohl im Arbeitsumfeld als auch im privaten Kontext.”

Janas Beobachtung deckt sich mit dem, was einer der Teilnehmer in einem kurzen Interview in der Mittagspause erzählte: “Ich habe jahrelang lernen müssen, dass ich mir ein freies Wochenende nehme. Jetzt mache ich das, egal was kommt. Egal wie stressig es gerade ist, ich habe meine zwei Tage frei. Dass ich heute hier bei diesem Design Sprint bin, zeigt, dass mir Wellbeing schon ein Begriff gewesen ist. Neu ist, das aktiv und ganz bewusst anzugehen.”

Was hält Menschen davon ab, sich um das eigene Wohlbefinden zu kümmern?

1. Ich glaube erst, dass ich Belastungsgrenzen habe, wenn ich umfalle.

    Die Erfahrung, permanent eigene Grenzen zu überschreiten, rüttelte eine mehrfach belastete Teilnehmende auf: “Letztes Jahr habe ich mir zu viel auferlegt oder aufgeladen und konnte irgendwann nicht mehr. Als ich dann erstmal komplett raus bin, war ich am Nullpunkt. Ich war zwei Monate krankgeschrieben. Ich glaube, es war gerade noch so die Bremse vor dem wirklichen Burn-out.” Und sie verbindet die Erkenntnis gleich mit einer Forderung an die Gesellschaft: “Ich finde es sehr wichtig, dass dieses Thema im sozialen Sektor auf den Tisch kommt. Und ich möchte auch, dass etwas getan wird”, damit sich etwas an den Bedingungen ändert.

    Eine andere Person beschreibt, dass sie lange Zeit voller Energie war und dadurch gar keinen Bedarf für Selbstfürsorge erkannt hat. Vielmehr sei es ihr selbstverständlich vorgekommen, dass sie alles schafft: “Der Moment, in dem man die Wichtigkeit von Selfcare erkennt, ist oft der, wenn man merkt, es kippt. Wenn man in eine Situation kommt, in der man nochmal stärker herausgefordert ist, dann ist es plötzlich nicht mehr selbstverständlich, Belastungen auszuhalten. Dann merkt man, dass man einfach besser auf sich achten muss.”

    2. Ich beiße die Zähne zusammen.

      Patrizia Thamm von der pronova Betriebskrankenkasse, die gemeinsam mit der BKK VBU und der Salus BKK unser betterplace well:being Programm fördern, kam für den Design Sprint mit Menschen mit Diskriminierungserfahrungen dazu und gab in ihrer Reflexion an: “Es wurde deutlich, dass es für die Teilnehmenden sehr anstrengend sein kann, sich mit dem eigenen Wellbeing zu beschäftigen und dass es manchmal als einzige Überlebensstrategie gesehen wird, sich bewusst nicht damit auseinanderzusetzen, um im Alltag zu funktionieren. Der aus Überforderung und Hilflosigkeit gewählte Weg erschreckt mich.”

      Teilnehmende aller drei Gruppen erwarten von sich selbst eine hohe Widerstandskraft. Es wird als Schwäche gewertet, wenn das Pensum an Belastung nicht getragen werden kann. Darum fällt es schwer, präventiv auf das eigene Wellbeing zu achten.

      3. Ich kann nicht wirklich bedürftig sein, denn ich bin ja in einer total privilegierten Situation.

        Konträr dazu sind die Gründe, die Männer für ihr Verdrängen der eigenen Bedürftigkeit an Selbstfürsorge nannten. Der Begriff “Wellbeing” im Englischen, wie auch “Wohlbefinden” im Deutschen, wird von vielen sozial Engagierten so verstanden, als ginge es darum, es sich einfach gedankenlos gut gehen zu lassen. In Anbetracht der gesellschaftlichen Herausforderungen, insbesondere sozialer Ungerechtigkeit, die die Engagierten beschäftigen, entspringt das Unbehagen gegenüber diesen Begriffen einem schlechten Gewissen gegenüber jenen, die nicht die Möglichkeiten haben, auf ihr Wohlbefinden zu achten.

        4. Dieser Hype um Buzzwords wie Wellbeing oder Mental Health ist reine Abzocke.

        “Ich finde, dass alles, was wir heute gesagt haben, eine Relevanz hatte”, betont eine der Teilnehmenden aus der Gruppe der von Diskriminierung Betroffenen im Anschluss an den Design Sprint und fügt hinzu, dass sie das gerade im Bereich Wellbeing besonders wichtig findet, es aber leider nicht selbstverständlich sei. Sie hat den Eindruck, dass es bei vielen Angeboten im Bereich Wellbeing oder auch unter dem Stichwort Mental Health vor allem ums Geschäft geht: “Da zahlt man viel Geld für sinnfreie Workshops oder Live-Events mit Bühnenprogramm, die überhaupt keine Relevanz haben, die an den teilnehmenden Menschen und den Themen, die sie betreffen vorbeigehen, aber irgendwie sexy klingen oder irgendwelche Buzzwords bedienen.”

        Begriffe sind schnell verbrannt oder in eine bestimmte Ecke gestellt. Das macht es nicht gerade leicht, in unserer schnelllebigen Zeit, wo Menschen von Informationen überflutet werden, so ein Angebot knapp zu beschreiben, ohne dabei wie eine Bauernfänger*in anzumuten.

        Keine One-fits-all-Lösung für Workshops

        Ebenso unterschiedlich wie die Gründe, das eigene Wohlbefinden hintanzustellen, sind die Wünsche an die Gestaltung von Workshops. Die Mehrzahl der Männer gab an, Workshops im Bereich Wellbeing gerne von Männern angeboten zu bekommen, um auch Themen wie toxische Männlichkeit einbringen zu können.

        Für Menschen mit Mehrfachbelastungen ist eine hohe zeitliche Flexibilität nötig, sonst scheitert die Teilnahme daran, dass sie es nicht einrichten können.

        Von Diskriminierung betroffene Menschen haben stets zu befürchten, entweder keinen geschützten Raum vorzufinden und Gefahr zu laufen, durch die Unachtsamkeit anderer Teilnehmender oder auch von Trainer*innen erneut verletzt oder retraumatisiert zu werden. Nach ihrer Erfahrung müssen sie davon ausgehen, Räume vorzufinden, die den Zusammenhang zwischen struktureller Diskriminierung und mentaler Gesundheit nicht anerkennen. Durch Workshops zum Thema Wellbeing können wir zwar die strukturellen Problematiken nicht auf die Schnelle verbannen, bieten aber einen Raum an, sich offen auszutauschen und kritisch mit den Zusammenhängen und Wirkungsfaktoren der Arbeit im sozialen Sektor auf die Gesundheit zu beschäftigen.

        Was folgt aus dieser stark verkürzten Analyse? Eine One-Fits-All Lösung wird es nicht geben, zumindest nicht auf einer persönlichen Ebene mit Workshops in Präsenz. Zudem wurde nochmals deutlich, dass sich die Teilnehmenden der Design Sprints eine gesellschaftliche Anerkennung ihrer gemeinwohlorientierten Arbeit wünschen, die bis dato nicht vollumfänglich stattfindet. Es sind damit komplexe Zusammenhänge, individuelle Erlebnisse und Erfahrungen sowie strukturelle Mechanismen, die das Wellbeing für Engagierte maßgeblich beeinflussen können.

        Erwartungen, die mit kollaborativem Arbeiten verbunden sind

        Wenn es um die Zusammenarbeit geht, haben die Gruppen in großen Teilen sehr ähnliche Vorstellungen davon, welche persönlichen Skills es braucht, wie ein Team aufgestellt sein muss und was die Gesellschaft für eine gelingende Kollaboration bereitstellen muss.

        • Auf individueller Ebene Einigkeit herrschte in allen drei Gruppen über die Notwendigkeit von: Empathiefähigkeit; Mut, sich zu zeigen; Raum und Zeit; Neugier; Offenheit gegenüber Inhalten und anderen Perspektiven; Fähigkeit der Selbstreflexion; Bewußtsein für die eigene Gesundheit und Self-Care. Dass der*die Einzelne für gelingende Zusammenarbeit Konkurrenzdenken hinter sich lassen muss zugunsten des Kollektiven, er*sie soziale Kompetenzen braucht und mit Kritik umgehen können muss, sowie Klarheit über die verfolgten Ziele herrschen sollte, wurde von den beiden Gruppen von Menschen mit Mehrfachbelastungen bzw. mit Diskriminierungserfahrungen als Basis für gelingende Zusammenarbeit benannt. Für letztere Gruppe kommt hinzu, dass das Individuum in der Lage sein muss, seine Stimme zu erheben und die eigene Meinung zu vertreten, sich nicht dem System zu beugen und sich überhaupt Sichtbarkeit zu verschaffen. Menschen mit Diskriminierungserfahrungen und Männer waren sich einig, dass es auch eine Rolle spielt, mit Spaß und Leichtigkeit an die Sache heranzugehen.

        • Auf Team-Ebene In allen Gruppen wurde die Notwendigkeit von Strukturen für eine gute Arbeitskultur hervorgehoben. Darunter fallen auch eine gute Fehlerkultur, Feedbackprozesse, Konfliktmanagement und Transparenz. Ein gemeinsames Verantwortungsgefühl, Wohlwollen, Vertrauen und gegenseitiger Respekt inkl. des Respektierens der Grenzen der Anderen halten alle für Grundvoraussetzungen. Interessanterweise wurde nur von den Männern konkret die Notwendigkeit eines Awareness-Konzepts genannt. Die Gruppe der Menschen mit Diskriminierungserfahrungen betonte einen Bedarf an Dialogformaten, bei denen alle zum Ausdruck kommen. Die Mehrfachbelasteten hoben hervor, dass ihnen der Abbau von Macht- und Herrschaftsstrukturen sowie die Anerkennung und Wertschätzung von vielfältigen Lebensentwürfen wichtig ist. Alle seien zu inkludieren und gleichberechtigt.

        • Auf gesellschaftlicher Ebene Ein grundlegendes Umdenken und eine Offenheit für den Wandel setzen alle Gruppen auf gesellschaftlicher Ebene voraus, damit über kollaboratives Arbeiten nachhaltig Wirkung erzeugt werden kann. Dazu gehört an vorderster Stelle, dass der soziale Sektor insgesamt aufgewertet und finanziell auf ein solideres Fundament gestellt wird. Damit einher gehen gesunde Rahmenbedingungen, der Abbau von Barrieren bei Zugängen zu Wissen, mehr Teilhabe an Prozessen für alle und mehr Menschen in Führungspositionen, die bereit sind, über strukturelle Benachteiligung zu lernen. Es muss ein Bewusstsein entstehen für Mehrfachbelastungen und ebenso für Intersektionalität.

        Die Dynamik in den Gruppen

        Serap Yilmaz-Dreger, die als Forscherin die Design Sprints konzipiert und unterstützt von ihrem Team durchgeführt hat, fand die Gruppen sehr konstruktiv und lösungsorientiert: “Es war ein guter Austausch. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Teilnehmenden schon eine Art Affinität zu dem Thema haben, weil sie sich in irgendeiner Form im Leben damit beschäftigt haben. Bei einigen war da eher ein privater Antrieb oder reine Neugierde. Bei anderen wurde das Interesse ausgelöst durch etwas, das im Leben passiert ist. Die Gruppen waren nach meinem Eindruck sehr offen im Austausch und sehr ehrlich.”

        In den Gruppen entstand eine unterschiedliche Dynamik. Bei der Gruppe der Männer war auffällig, dass von der persönlichen Ebene stets sehr schnell der Weg gesucht wurde, das große Ganze in den Blick zu nehmen – auf Teamebene zu gehen oder gleich auf gesellschaftliche Strukturen zu sprechen zu kommen. Einer der Männer erkannte das und beschrieb seinen Eindruck, dass alle sich etwas zieren, über sich selbst zu sprechen. Diese Feststellung war essentiell für den weiteren Verlauf des Tages.

        Die kollektive und gesellschaftliche Ebene war selbstverständlich auch bei den beiden anderen Gruppen von hoher Relevanz. Und in allen Gruppen konnten wir feststellen, dass ein Verständnis für das Ineinandergreifen von Individuellem und Kollektivem ebenso wie für das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele schon vorhanden war.

        Wellbeing, Mentale Gesundheit, Wohlbefinden – wovon sprechen wir eigentlich?

        Mit dem Begriff Wellbeing hadern viele – auch bei den Teilnehmenden zog sich das durch.

        "Wellbeing hört sich an wie Teetrinken für mich”, äußerte einer der am Rande des Design Sprints interviewten Männer und fuhr fort: “Teetrinken kann natürlich sehr schön sein und ich mag es auch. Aber es gehört eher so zu den Nebensachen. Dabei ist das Thema für mich sehr tiefgreifend. Und danach hört sich ‘Wellbeing‘ nicht an, finde ich. Vielleicht, weil es Englisch ist. Der deutsche Begriff wäre ‘Wohlbefinden‘. Aber ‘wohl‘ geht irgendwie auch nicht tief genug.” Die Nachfrage, ob das Unbehagen bei dem Begriff Gemeinwohl dann auf gesellschaftlicher Ebene auch vorhanden wäre, konnte die Person wiederum nicht bejahen, denn dabei ginge es schließlich um etwas Größeres, eben das Wohl der Gemeinschaft.

        Nicht nur in der Männergruppe gab es innere Widerstände gegen den Begriff, auch nachdem sich über Stunden herausgeschält hat, dass den Teilnehmenden alles, was er beschreibt, enorm wichtig ist. Die Frage ist, brauchen wir neue Worte oder doch eher mehr Geduld, um uns darüber zu verständigen, was uns auf allen Ebenen gut tut.

        Fazit

        Die ersten Auswertungen des Sprints haben gezeigt, dass quer durch die teilnehmenden Gruppen eine hohe Sensibilität für die Themen vorhanden ist. Die Zusammenführung beider Bereiche “Kollaboration” und “Wellbeing” , also die gesunde Zusammenarbeit, beschäftigen den sozialen Sektor mehr denn je. Diese essentiellen Auseinandersetzungen sind sehr komplex . Dies zeigten auch die Auswertungen aller Fokusgruppendiskussionen, in denen die Teilnehmenden sowohl auf der individuellen Ebene, als auch auf der organisationalen und strukturellen Ebene nach Lösungen suchen. Der Antrieb liegt dabei nicht nur darin, selbst gesund durch den Arbeitsalltag gehen zu können, sondern genug Energie, Ressourcen und Resilienz zu haben, um im Einsatz für das Gemeinwohl nicht auszubrennen.
        Als betterplace lab hoffen wir weiterhin, dass wir mit den Anpassungen unserer Workshops und dem Benennen der Hürden und dem kollaborativen Suchen nach Lösungen der Gruppe der Engagierten für ihren täglichen Einsatz ein Stück weit unter die Arme greifen können.

        Die Design Sprints Artikel sind Teil der Programme betterplace well:being und betterplace co:lab. Beide Programme sind Projekte des betterplace lab.

        Das Programm betterplace well:being wird unterstützt durch die BKK∙VBU, pronova BKK und Salus BKK.

        Als Förderer für den Anschub der zweiten Runde des Programmes betterplace co:lab sind die Schöpflin Stiftung und die BMW Foundation angetreten.

        Unser Podcast

        Die erste Folge in der Resilienz-Reihe