Das lab schwimmt sich frei

Kleine Vorgeschichte

Vor einem guten Monat haben wir ein Video geteilt, das einen entscheidenden Klick dokumentiert – die Geburt des betterplace lab – im Jahr 2010. Vor zehn Jahren also hat sich neben der erfolgreiche Spendenplattform betterplace.org ein kleines Team zusammengefunden, das sich als Do- und Think-Tank bezeichnet und dessen Wirkungsweise eine neue Komponente in der Organisation abbildete.

Joana Breidenbach klickt das lab 2010

2015, fünf Jahre später machte das betterplace lab einen weiteren entscheidenden Schritt – es verabschiedete sich von seiner klassischen hierarchischen Struktur und begann nach dem von Fréderic Laloux in Reinventing Organisations beschriebenen Konzept New Work zu arbeiten. Die inzwischen gewachsene Zelle bildete also bewusst eine neue andere Struktur.

Foto: Solen Feyissa | Unsplash

Wie arbeiten wir als New-Work-Team zusammen?

Es gibt keine Chef*in. Stattdessen arbeiten wir selbstorganisiert in kompetenzbasierten Hierarchien. Was das im einzelnen bedeutet, haben wir in unserer Verfassung beschrieben. Dort sind unsere Regeln und Werte in der Zusammenarbeit festgelegt. Wer wissen möchte, wie diese Art der Organisation gelebt wird, findet das im Handbuch "New Work needs Inner Work" erklärt, das unser Coach Bettina und unsere Gründerin Joana veröffentlicht haben.

Aus der Verfassung: Wir sind Chefin des betterplace lab. Je nach Projekt und Können übernimmt jede für unterschiedliche Projekte die Verantwortung – und damit für das betterplace lab. Das nennt man kompetenzbasierte Hierarchie. Jeder von uns macht das, was er am besten kann und will, jede entscheidet eigenverantwortlich.

Wir ergänzen uns. Weil wir in unserem Können und Wissen differieren, beraten wir uns gegenseitig, um die besten Entscheidungen treffen zu können. Jede nutzt das Team und das Team nutzt jeden. Das macht das betterplace lab flexibel und stark.

betterplace lab und seine Kreis-Struktur

Das hat in den letzten fünf Jahren gut funktioniert – warum jetzt ausgliedern?

Inzwischen haben sich sowohl die Spendenplattform betterplace.org als auch das betterplace lab weiter strukturell und auch inhaltlich zu sehr unterschiedlichen Geschäftseinheiten entwickelt.

Das betterplace lab steht nach der Umstellung seiner Struktur auf New Work und kompetenzbasierte Hierarchie auf soliden Füßen und hat mit 11 festen Mitarbeiter*innen und einem Jahresumsatz von rund 1 Mio. € einen substanziellen eigenen Geschäftsbereich aufgebaut.

Die formal-juristisch sehr klar geregelte Ausgliederung ist letztlich der logische Schluss aus dieser Entwicklung, arbeiten doch beide Bereiche an unterschiedlichen Inhalten in unterschiedlichen Organisationsstrukturen und mit unterschiedlichen Geschäftsrisiken – bislang jedoch im gleichen Betrieb. Bei aller persönlichen Verbundenheit bietet die Ausgliederung einen deutlichen strukturellen Mehrwert für beide Seiten, da sich nun beide in ihren Arbeitsweisen, -prozessen und -strukturen an den eigenen Bedürfnissen orientiert aufstellen können. Beide Seiten tragen nun das je eigene Risiko und managen nur die eigenen Finanzen. Das betterplace lab übernimmt mehr Verantwortung und Pflichten für sein Fortbestehen und seine Weiterentwicklung.

Wenn auch logisch, ist der Schritt radikal und bedeutet einen starken Zuwachs an Verantwortung in unserem selbstverwalteten Team.

Wer setzt welchen Hut auf?

Eine gGmbH sieht die Besetzung einer Geschäftsführung vor. Keine Chefs hatten wir gesagt. Sind dann etwa alle 11 Geschäftführer*innen? Das wollen wir weder uns noch unseren Partner*innen und Finanziers zumuten. In einem moderierten Prozess haben wir entschieden, dass zunächst Franziska Kreische & Wera Patten gemeinsam in die Rolle der Geschäftsführung schlüpfen. Franziska übernimmt als Vertreter*in mit lab-Erfahrung die Funktion des Themen-Leads, Wera wird unser Finanz-Lead (Kaufmännische Leitung).

Geplant ist, die Rolle des Themen-Leads in 24-monatigen Abständen rotieren zu lassen unter Teammitgliedern, die über die nötigen Kompetenzen verfügen.

Wera Patten (links) und Franziska Kreische (rechts) unterzeichnen den Vertrag

In klassischen Systemen sind mit der Geschäftsführung weitreichende inhaltliche Rollen verknüpft (z.B. Personalleitung, Außenvertretung, Finanzchef, …), denn sie beziehen sich z.T. auf ihre formaljuristische Funktion. Im betterplace lab existiert diese Verknüpfung nicht. So liegt z.B. die Personalleitung nicht in der Geschäftsführung, auch wenn letztere u.a. Arbeitsverträge unterzeichnet und damit haftet.

Wir organisieren diese Bereiche in Kreisen, wie z.B. Team-Kreis, Strategie-Kreis, ÖA-Kreis. Damit das gut funktioniert, liegt die Führung der einzelnen Kreise bei Team-Mitgliedern, die sich besonders durch entsprechende Kompetenzen auszeichnen. Unterstützt werden sie durch Mitarbeiter*innen, die ihr Potential in dem Bereich noch entwickeln.

Die Geschäftsführung im betterplace lab füllt im ersten Schritt eine rein juristische Funktion aus. Diese beschränkt sich im operativen Geschäft auf die Unterschriftsfähigkeit der Organisation.

Wegen der weitgehenden persönlichen Haftung der Geschäftsführung im Fall von existentiellen Organisationskrisen erhalten die Geschäftsführerinnen die Hoheit, die operative Reißleine zu ziehen, wenn sie ein rechtliches oder finanzielles Risiko für die finanzielle Gesamtsituation des betterplace lab als zu weitgehend einschätzen.

Die Verfassung des betterplace lab kommt nicht unter den Hammer. Sie regelt weiterhin den Rahmen unserer gemeinsamen Unternehmung.

Unsere Außenministerin Katja Jäger wird in engem Austausch mit dem GF-Duo das betterplace lab im Außen repräsentieren. Joana Breidenbach als Gründerin und Teil des Aufsichtsrats der gut.org steht ihnen aktiv zur Seite.

Diese Konstellation ist keineswegs eine spontane Entscheidung gewesen, sondern wurde in einem langfristigen Team-Prozess erarbeitet. Wir gründeten eigens dafür Arbeitsgruppen, die sich gründlich mit den Bereichen beschäftigten, die die Entscheidung für ein neues Geschäftsmodell tangieren würde.

Das Team schaut 2019 auf die Ausgangslage, um den Schritt zu planen und nutzt 3D-Mapping.

Klassische Unternehmensform und New Work

Eine große Herausforderung unseres Schrittes bleibt: New-Work-Konstrukte finden in den möglichen Rechts- bzw. Gesellschaftsformen keine Entsprechung. Alle basieren auf der Vorstellung von klassischen Unternehmensstrukturen. Das bedeutet für uns, dass wir sehr sorgfältig überlegen müssen, wie wir im Innen die Zusammenarbeit gestalten und im Außen auftreten. Die Konstruktion soll sich für das gesamte Team stimmig anfühlen und auf Externe weder unklar wirken noch aufgesetzt.

Auch in unseren Köpfen sind Bilder von klassischen Unternehmensstrukturen stark verankert. Wir sind uns bewusst, dass Worte und noch viel mehr Verantwortung, die schwarz auf weiß festgehalten ist, sich auf unsere Eigenwahrnehmung auswirken. Deshalb ist es oberstes Gebot, damit sorgsam und offen umzugehen. Wir sind es gewöhnt, „auf den Balkon zu gehen“, unsere Zusammenarbeit zu reflektieren. So werden wir in Zukunft und besonders in der Zeit des Übergangs sehr wach darauf schauen, was die neue Situation mit uns macht.

Die Herausforderung birgt selbstverständlich auch Chancen. Durch die stärkere Verantwortung wird Potentialentfaltung noch stärker zu unserem Leitmotiv. Das Team nimmt gemeinsam neue Anforderungen in Angriff und kann an kollektivem Selbstvertrauen gewinnen. Mit neuen Pflichten wachsen Teammitglieder in neue Funktionen hinein. Die Architektur der Unternehmung wird überprüft. Dabei treten Stärken und Mängel deutlicher hervor, auf die wir gewohnt agil reagieren.

Weil wir nicht die einzigen sind, die sich in neuen Formen der Zusammenarbeit erfolgreich probieren (wollen), halten wir unsere Learnings fest und können sie ggf. an Teams weitergeben, die selbst einen ähnlichen Schritt wagen.

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe