Seit Beginn 2023 erforschen wir im betterplace lab, wie sich die Resilienz der Zivilgesellschaft und wie sich die Resilienz durch die Zivilgesellschaft erhöhen lässt. Doch der Reihe nach.
Resilienz?
Ein Modewort, keine Frage, doch eventuell ein nützliches. Wir verstehen darunter die Fähigkeit eines Systems, adäquat auf Rückschläge und (anhaltende) Krisen zu reagieren, indem es sich an neue Rahmenbedingungen anzupassen vermag. Die reine Wiederherstellung des vorherigen Zustands ist nicht das Ziel, vielmehr geht es um eine kontinuierliche Adaption auf die Zukunft, auf weitere Krisen und Unwägbarkeiten.
Nach dem Modell von Rammler und Hafner (“Dimensionen von Resilienzstrategien”, 2019) lässt sich Resilienz weiter ausdifferenzieren auf einem Kontinuum zwischen a) dem (kurzfristigen) Erhalt von Robustheit in Bezug auf kommende Krisen und b) einer (langfristigen) systemischen Transformation. Dieses Kontinuum will politisch wie gesellschaftlich gesteuert und balanciert werden: Als Gesellschaft müssen wir uns einerseits eine innere Stabilität erhalten (Identität, Sicherheit, Verlässlichkeit) und andererseits eine Flexibilität (Beweglichkeit, Offenheit, Kreativität) herstellen, um nicht nur den Umgang mit immer neuen Krisen zu lernen, sondern auch um eine zielstrebige, umfassende sozio-ökologische Transformation durch und trotz fortwährender Krisen durchhalten zu können. Diese Balance aus kurzfristig und langfristig, Erhalt und Transformation, Stabilität und Flexibilität macht das Konzept der Resilienz so spannend und bedeutsam.
Resilienz ist nicht nur die Frage, wie viel ich aushalten kann; es ist auch die Frage, wie viel ich aushalten muss. Die strukturellen Bedingungen unserer Umgebung können die Krisenanfälligkeit fördern (z. B. durch schlechte Arbeitsbedingungen in Care-Berufen) oder abmildern (z. B. durch soziale Sicherheitssysteme bei Berufsverlust). Die individuelle Resilienz ist immer endlich – Sozialsysteme können dazu beitragen, dass sie nicht überfordert wird. Andererseits können Sozialsysteme nicht jede Krise verhindern, sodass ein gewisses Maß an individueller wie kollektiver Resilienz vorhanden sein muss.
Zivilgesellschaft?
Wir begreifen Resilienz also als eine systemische Fähigkeit, die sich entsprechend innerhalb von unterschiedlichen Systemen erforschen lässt. In diesem Vorhaben fokussieren wir – anders als in der Psychologie – nicht die Resilienz einer einzelnen Person. Stattdessen interessieren wir uns für die Resilienz der Zivilgesellschaft und das aus zwei wesentlichen Gründen:
Die Zivilgesellschaft ist essentieller Akteur in der Krisenbewältigung: Handlungsschneller als die Politik und gemeinwohlorientierter als die Wirtschaft, übernehmen in Deutschland über 600.000 Vereine, 30.000 Stiftungen und 25.000 Sozialunternehmen (Datenreport Zivilgesellschaft 2019) selbstorganisiert und freiwillig mannigfaltige Aufgaben, um die Wirkung der Krisen abzufedern und insbesondere benachteiligte Gruppen zu schützen. Dabei schaffen sie den Rahmen für bürgerschaftliches Engagement und geben den Bürger*innen eine aktive Rolle im Umgang mit der Krise, stärken ihre Selbstwirksamkeit wie auch die Solidarität und den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Ein Beispiel: Allein direkt nach Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine haben soziale Organisationen unzählige Hilfsangebote über Nacht organisiert und orchestriert. Mit beeindruckender Innovationskraft wurden wirksame skalierende Lösungen geschaffen, um die Menschen vor Ort sowie auf der Flucht zu unterstützen: mit privaten Unterkünften (bspw. #UnterkunftUkraine), Waren des täglichen Bedarfs (bspw. Spendenbrücke Ukraine) oder psychologischer Versorgung (bspw. Krisenchat).
Gleichzeitig ist die Zivilgesellschaft selbst krisenanfällig: Sozial Engagierte und Beschäftigte des sozialen Sektors leiden überdurchschnittlich an Burnout, Depressionen und Altersarmut. Fast 50 Prozent der Sozialunternehmer*innen, die 2018 am Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums teilnahmen, gaben an, irgendwann mit Burnout und Depressionen gekämpft zu haben (vgl. Raja 2020). Ähnliche Zahlen nennt auch das Wellbeing Project (vgl. Severn und Murphy Johnson, 2020). Ein Grund liegt in den oftmals prekären und projektbasierten Finanzierungen, unter denen der Sektor leidet. Gleichzeitig sind die Ansprüche (“die Welt zu verbessern”) enorm, die Herausforderungen und Krisen viel zu groß und komplex, um sie allein zu lösen. Diese Bewusstheit kann leicht zur Überforderung und Spannung führen. Ein hohes Maß an intrinsischer Motivation lässt persönliche Grenzen schnell in den Hintergrund rücken. Auf Dauer geht das enorm auf Psyche und Körper.
Die Ziele unseres Forschungsvorhabens
Für eine gesunde Gesellschaft braucht es eine lebendige Zivilgesellschaft – in Krisenzeiten umso mehr. Diese zu fördern und zu schützen, ist das zentrale Anliegen dieses Vorhabens. Drängen die Krisen soziale Organisationen in die Existenzbedrohung, bleibt ihnen wenig Raum, um ihre sozialen Missionen zu verfolgen, was wiederum die Gesellschaft im Angesicht der nächsten Krisen schwächt – ein Teufelskreis.
Die meisten Menschen engagieren sich in losen oder festen Zusammenschlüssen. Diese sozialen Organisationen sind zugleich eine wesentliche Größe für die Engagierten, um Sicherheit, Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit und Gemeinschaft zu erleben. Gerade in einer Zeit der Unsicherheit können hier – neben der Familie – Selbstvergewisserung und gesellschaftliche Wirkung entstehen. Wenn wir darüber sprechen, wie sich die Resilienz der Zivilgesellschaft erhöhen lässt, blicken wir insbesondere auf die Organisationen, also die organisationale Resilienz.
Die Summe der sozialen Akteur*innen zur Zivilgesellschaft ist von besonderer Bedeutung. Statt im Wettkampf steht die Zivilgesellschaft in hohem Maße für den Austausch von Positionen und Perspektiven, Selbstwirksamkeit, Solidarität und Ermutigung. Die Zivilgesellschaft setzt dort an, wo die Politik nur eingeschänkt handlungsfähig erscheint – und übernimmt so auch in Krisenphasen wichtige Funktionen. Das hat die Coronakrise ebenso deutlich gemacht wie bereits die “Flüchtlingskrise” 2015, wo aktive Bürger*innen ehrenamtlich Netzwerke zur Unterstützung bildeten, Innovationskraft bewiesen, Geflüchtete aufnahmen, Sprachkurse anboten oder Integrationsarbeit leisteten. Gerade in Krisenzeiten fördert die Zivilgesellschaft soziale Partizipation, ermöglicht aktives Handeln und Mitgestalten. Diese sektorale Resilienz und der Beitrag der Zivilgesellschaft zur allgemeinen gesellschaftlichen Resilienz ist der zweite Schwerpunkt im Vorhaben.
Zusammengefasst untersuchen wir im Forschungsvorhaben “Die resiliente Zivilgesellschaft” Resilienz auf organisationaler wie sektoraler Ebene und verfolgen dabei folgende übergeordnete Ziele:
Forschung: Das Konzept der Resilienz soll spezifisch auf die Situation im sozialen Sektor angewendet und erforscht werden. Ziel ist ein funktionelles Verständnis über die Stressoren, Ressourcen und Konsequenzen – auf organisationaler wie sektoraler Ebene (Zivilgesellschaft).
Vernetzung: Wir begreifen Forschung als partizipativen Prozess, in dem wir interdisziplinäre Expert*innen zum Austausch einladen, um Wissensbestände abzugleichen, Thesen zu verifizieren und Vernetzung anzuregen. Gerade in einem dynamischen Feld wie der Resilienzforschung ist der kontinuierliche Dialog unerlässlich und bereits ein erster Schritt in die Verbreitung.
Stärkung: Die Forschung ist strikt anwendungs- und handlungsorientiert ausgerichtet. Der Erkenntnisgewinn zielt unweigerlich auf Empfehlungen für soziale Organisationen wie für Institutionen der Rahmengestaltung und sektorale Förderung (aus Politik, Stiftungswesen oder Wirtschaft) ab. Die Kommunikation in zielgruppensensitiven Formaten als wesentliche Wissensressource für den Diskurs und künftige Entscheidungsprozesse erhält entsprechende Priorität in diesem Vorhaben.
"Die resiliente Zivilgesellschaft" ist ein Forschungsvorhaben des betterplace lab, gefördert für den Zeitraum Januar 2023 bis Juni 2024 durch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt.