Wieso Kollaboration?
Eine Binse: die großen Herausforderungen unserer Gesellschaft (egal ob auf lokaler, nationaler oder globaler Ebene) sind nur dann zu bewältigen, wenn wir einen systemischen Ansatz verfolgen. Lineare Vorgehen von einzelnen Akteuren können in einigen wenigen, sehr eng umgrenzten Problemfeldern erfolgreich sein. Aber für alles andere - Themen wie soziale Ungleichheit, Flüchtlingsströme, Disinformation, Klimawandel oder den Schutz der Privatsphäre - müssen wir eine Vielfalt von Dynamiken im Auge haben und sektorübergreifende Lösungsansätze entwickeln.
Um komplexe Herausforderungen zu meistern müssen wir unzählige unterschiedliche und auch widersprüchliche Interessen und Perspektiven einbeziehen. Dies kann nur gelingen, wenn wir dezentral und selbstorganisiert vorgehen; wenn die unterschiedlichsten Akteure ihre partikularen Ziele vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Intention - Ungleichheit zu bekämpfen, die Erderwärmung zu stoppen etc. - verfolgen. Die quirlige Vielfalt von zivilgesellschaftlichen Organisationen eignet sich dafür prinzipiell wunderbar. Da sie jedoch auf einer höheren Ebene nicht miteinander koordiniert sind und ihre Intentionen, Ziele, Wirkungslogiken, Informationen etc. nicht miteinander abgleichen, drohen sie zu scheitern.
Die Folge: im Dreiklang von Bürgern, Politik und Wirtschaft verstummt die zivilgesellschaftliche Stimme, enden unzählige gute Lösungsansätze in der Nische oder sind weitgehend wirkungslos.
Gute Gründe also, Kollaboration sehr ernst zu nehmen.
Das betterplace co:lab Programm
Deshalb haben wir im betterplace lab das betterplace co:lab Programm aufgesetzt. Im Rahmen dieses Programms verfolgen wir zwei Ziele: zum einen wollen wir wirksame Zusammenschlüsse von zivilgesellschaftlichen Organisationen anstoßen und über einen Zeitraum von sechs Monaten mit Coaching und Prozessbegleitung unterstützen. Unser zweites Ziel ist mehr Meta: da wollen wir die Prinzipien erfolgreicher Zusammenarbeit per se erforschen.
Im Rahmen von einzelnen Blogposts, sowie eines Podcasts (in Arbeit), teilen wir zeitnah und projektbegleitend unsere Erfahrungen und Erkenntnisse mit euch und dir.
Schon der Anfang ist schwer
Oft scheitert Kollaboration schon bevor sie überhaupt begonnen hat, weil die Partner (gute) Gründe haben, nicht zusammenzukommen.
Das betterplace co:lab-Programm unterstützt daher acht thematische Cluster für jeweils sechs bis neun Monate mit einem Prozesscoaching im Umfang von mindestens 20 Stunden. Die thematischen Cluster bestehen aus mindestens vier Organisationen (pro Organisation zwei Personen) und bearbeiten ein gesellschaftliches Zukunftsthema mit einer konkreten, realistischen Zielsetzung. Das Angebot ist kostenfrei. Dafür bringt die Gruppe die Bereitschaft mit, Zeit und eigene Ressourcen in den gemeinsamen Prozess zu investieren. Zudem nehmen sie an den Einsteiger*innen-Workshops 1-5 teil.
Bei der Zusammenstellung der ersten Themencluster konnten wir sehen, dass viele zivilgesellschaftliche Organisationen unser Angebot in der Theorie zwar reizvoll fanden, in der Praxis dann aber doch Bedenken äußerten, mit Gleichgesinnten so eng zusammenzuarbeiten. Dabei nannten sie - manche offen, andere hinter vorgehaltener Hand - eine Reihe von Gründen.
Oft ging es um Angst vor Konkurrenz. Denn die anderen Organisationen im Cluster könnten nicht nur das eigene Wissen abgreifen und damit ihre Identität verwässern, sondern ihnen auch die Geldgeber - Stiftungen, Crowdfunder, Ministerien, Unternehmen - ausspannen.
Oft scheitert die initiale Kollaboration auch deshalb, weil niemand Kapazität für noch eine Schippe Extra-Arbeit hat. Da die meisten Förderinstitutionen projektgebundene Gelder an eine Institution vergeben, haben NGO-Mitarbeiter kaum Zeit sich darüber hinaus auch noch mit Kooperationen oder dem größeren Kontext ihres Projektauftrags zu beschäftigen. Kollaborative Ansätze sprengen wiederum die Logik der allermeisten Geldgeber. Die wenige Zeit, die den auf Kante genähten Mitarbeitern noch bleibt, müssen sie meist ins weitere Fundraising, in die Sicherstellung der Anschlussfinanzierung oder die Akquise eines neuen Projekts stecken. So kommt es, das selbst Organisationen, die von ihrer Wirkungslogik eigentlich einen kollaborativen Ansatz bevorzugen, diesen aus sehr praktischen Gründen nicht verfolgen können.
For-Profit Boards können systemische Kollaboration verhindern
Dazu kommt noch ein anderer systemischer Faktor. Ich kenne operative Teams, die sehr gerne mit komplementären oder gleichgesinnten Partnern zusammenarbeiten würden. So nahm ich vor einiger Zeit an einer Diskussion zwischen NGOs teil, bei der die teilnehmenden Geschäftsführer zu dem Schluss kamen, “eigentlich” müssten sie sich in einem Bereich, nämlich der IT Entwicklung - zusammenschließen, um Skaleneffekte zu erreichen und von profitorientierten Anbietern unabhängig zu sein. Doch im gleichen Moment ruderten sie zurück: eine solch umfangreiche Kollaboration würden sie in ihren Aufsichtsgremien nie genehmigt bekommen. Diesem Muster begegnete ich in den nächsten Jahren immer wieder:
Den operativen NGO-Teams übergeordnete Gremien - der Gesellschafterkreis, ein Kuratorium oder Aufsichtsrat - sehen keinen Nutzen an Zusammenarbeit und verhindern diese. Das hat u.a. damit zu tun, dass viele NGOs in den letzten Jahren dazu übergegangen sind, diese Gremien mit Vertretern der Wirtschaft zu besetzen. Diese übertragen ihr For-Profit Konkurrenzdenken auf NGOs, um diese (vermeintlich) dynamischer und erfolgreicher zu machen. Doch der Wettbewerbsgedanke, nach dem Motto “Die NGO, in der ich engagiert bin, muss ihren USP stärker entwickeln und die von uns gesetzten KPIs erfüllen”, steht einer Kollaboration, die auf ein höheres systemisches Ziel abzielt, oft diametral entgegen.
Transaktional versus co:kreativ
Hier kommt ein wichtiger Aspekt zum Vorschein, den wir in späteren Blogposts noch detaillierter ausarbeiten werden. Wir unterscheiden nämlich zwischen verschiedenen Formen der Kollaboration. Meist sind wir es gewohnt transaktional zusammen zu arbeiten. Beispielsweise: ich gebe dir Reichweite und du gibst mir dafür Reputation. Diesen Handel, Tit for Tat, sind wir alle gewohnt und kennen seine Spielregeln und Preise.
Darüber weit hinausgehend, aber noch ungewohnter und weniger erforscht, sind co-kreative Kollaborationen. Darunter verstehen wir einen Ansatz, der dem Prinzip der Emergenz folgt: aus einer losen Kombination von Teilen, bzw. aus dem Zusammenwirken verschiedenster Perspektiven, ergibt sich etwas radikal Neues. Im Falle von Kollaborationen bedeutet das, dass Unternehmen sich von ihrem engen eigenen Erfolgsziel lösen und sich gemeinsam mit potentiellen Partnern fragen: Was ist das höchste Potential, dass wir gemeinsam erreichen können? Sie gehen davon aus, dass zwischen ihnen mehr entstehen kann, als die Summe ihrer Teile. Indem sie sich auf einen gemeinsamen Horizont einlassen, können sie bahnbrechendere und wirksamere Innovationen entwickeln, als es ihnen alleine jemals möglich gewesen wäre.
Wir starten nicht bei Null. Denn im Laufe der letzten sechs Jahre haben wir im betterplace lab viel über Selbstorganisation und wirksame Innovation gelernt. Diese Erkenntnisse sind in das Design des Programms eingeflossen und dienen uns im Weiteren als Arbeitshypothesen, die wir im Reallabor der Cluster validieren, differenzieren oder widerlegen wollen.
Foto: Sam Moqadam | Unsplash