Beziehungsarbeit digital – Mentoring in Zeiten von Corona

Beziehungsarbeit ist immer, ob Krise oder nicht. Auch wir mussten uns im Angesicht der Corona-Pandemie überlegen, wie wir unsere Projektvorhaben – die oftmals von der zwischenmenschlichen Interaktion profitieren oder schlichtweg darauf ausgelegt sind – schnell auf die neue, komplett digitale Realität anpassen. Gerade für unser Herzensprojekt Civic Tech Sisters, das wir gemeinsam mit dem Goethe Institut Ukraine und dem 1991 Civic Tech Center aus Kyiv umsetzen, war diese Fragestellung zentral: Wie kann ein Mentorinnen-Programm und damit der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung digital gelingen, wenn sich die Teilnehmenden nie direkt zu Gesicht bekommen?

Welchen Weg wir aktuell mit dem Projekt gehen, was wir daraus lernen und wie es weitergeht, lest ihr hier!

Wieso überhaupt Civic Tech Sisters?

Doch zunächst ein Schritt zurück: Warum eigentlich ein tech-bezogenes Mentorinnen-Programm nur für Frauen (und alle, die sich als solche identifizieren)?

Im betterplace lab glauben wir schon lange an das Potential von Civic Tech. Von den Chancen der Digitalisierung für zeitgemäßes zivilgesellschaftliches Engagement bis zur Entwicklung offener digitaler Infrastruktur: digitale Lösungen können dazu beitragen, eine gesunde Gesellschaft von morgen zu gestalten.

Wir wissen jedoch auch, dass die Potentiale von Tech vor allem von männlichen Machern genutzt werden. Unsere Studie Bridging the Digital Gender Gap zeigt die unausgeglichene Situation anhand von Zahlen und Geschichten aus aller Welt. In Deutschland haben uns einige Akteur*innen aus der Civic-Tech-Community berichtet, was bisher schief läuft und Talks von Hacker*innen wie Fiona Krakenbürger verdeutlichen noch einmal mehr, wie wichtig das Thema Diversität in Tech ist (auch abseits vom Gender-Spektrum!).

Doch der Weg in die (Civic-)Tech-Community geht auch über gutes Netzwerken. Einige feministische Netzwerke wie Superrr oder Zebras Unite unterstützen gezielt Frauen dabei, sich in der Tech-Welt zu vernetzen. Auch wir glauben an die Kraft der Netzwerke und in einer hyper-vernetzten Welt vor allem an internationale Zusammenarbeit: Schließlich konnten wir schon letztes Jahr mit dem internationalen D•lab - Digital Democracy Lab daran werkeln, ein so wichtiges Thema wie Demokratieförderung im digitalen Zeitalter globaler anzugehen. Also haben wir beschlossen: Wir werfen unsere internationalen Netzwerke zusammen und bringen mit dem Goethe Institut Ukraine und dem 1991 Civic Tech Center aus Kyiv ein internationales Mentor*innen-Programm an den Start, als Testballon für Teilnehmer*innen aus der Ukraine und Deutschland.

Umsatteln des Programms auf digital: auch für uns in dem Umfang neu

Im März wurde schnell klar: Das Civic Tech Sisters Programm, das 20 ukrainische und deutsche Mentees mit 10 Mentorinnen aus beiden Ländern zusammenbringt, kann 2020 nicht wie geplant stattfinden. Denn eigentlich sollten sich die 30 Teilnehmer*innen zum gemeinsamen Kick-Off in Berlin treffen, einander kennenlernen, (un-)gleiche Herausforderungen austauschen und eine vertrauensvolle Bande knüpfen für die folgenden sechs Monate. Zwar war der “Digital Learning Space” im Projektverlauf aufgrund der Internationalität von vornherein virtuell geplant, jedoch sollte dieser Lernraum auf dem persönlichen Kontakt der Auftaktveranstaltung fußen. Zudem bringt die aktuelle Situation noch eine weitere Herausforderung mit sich: Digitale Ermüdung. Unsere digitalen Workarounds mussten also den Spagat schaffen zwischen:

Einerseits eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Mentee und Mentorin stützen, die ohne lockere analoge Begegnungsräume, ein Getränk beim abendlichen Ausklang und dem feierlichen Momentum einer gemeinsamen Auftaktveranstaltung auskommt. Andererseits eine angemessene Reflexion der aktuellen Umstände, mit der eine verringerte Aufmerksamkeitsspanne bei digitalen Settings einhergeht wie auch die Tatsache, dass eine Krise solchen Ausmaßes unweigerlich einen Tribut von uns allen fordert.

Worauf haben wir bei der Gestaltung der digitalen Settings geachtet und was haben wir bei der Umsetzung gelernt?

  • Unsere digitale Kickoff-Veranstaltung haben wir verteilt auf drei Tage. Zunächst reflektierten die Mentorinnen untereinander ihre ehrwürdige Rolle. Dann trafen sich die Mentees in ihrer Peer-Gruppe und teilten ihre Herausforderungen als Frauen im Tech-Bereich (professionell wie persönlich). Schließlich führten wir die beiden Gruppen zusammen und initiierten in dem Rahmen die erste Mentorinnen-Mentee-Session. Drei (halbe) Tage – volles Programm: Mit anregenden digitalen Formaten konnte gar Gruppenspirit aufsteigen!
  • Gerade am dritten Tag, dem “Joint Conference Day”, bei dem sich Mentees und Mentor*innen das erste mal begegnen würden, haben wir es ruhig angehen lassen: Eine geführte Meditation mit Embodiment-Elementen legte den Grundstein für eine achtsame Meetingkultur. Eine Anleitung zum digitalen Embodiment haben wir aufgeschrieben, ebenso wie weitere Formate fürs Arbeiten im digitalen Raum.
  • Fürs inhaltliche Arbeiten bieten wir im Laufe des Programms sog. “Content Calls” an. Die Themen werden dabei von uns wie auch von den Teilnehmenden gesetzt. Zum Start veranstalteten wir eine Session mit dem Titel “Digital Collaboration”. Angeleitet von unserer Facilitatorin Ina Zukrigl-Schief haben wir dabei mit der Methode Helping Heuristics reflektiert, welche “patterns of interaction” unserem eigenen Handeln zugrunde liegen.

Voneinander zu wissen, wer sich in der Rolle der stillen Beobachterin, der Hinterfragenden, der aktiv Beratenden oder der Achtsamen wohlfühlt, hilft bei der Zusammenarbeit enorm, denn gerade weil im Digitalen oft Kontextinformationen fehlen, kann eine explizite Behandlung der Handlungsmuster in einer Gruppe sehr hilfreich sein. Die Handlungsmuster sind dabei nicht normativ besetzt, jedes hat ganz eigene Qualitäten!

  • Networking Thursdays: Ein regelmäßiger lockerer Austausch zum Feierabend wäre in einem dezentralen Programm sowieso nicht analog umsetzbar gewesen, also haben wir einen digitalen bi-weekly Networking Call ins Leben gerufen. Nebst allgemeinem Checkin (“Wie geht es mir gerade? Was fordert mich heraus?”) nutzen wir auch das Format der kollegialen Beratung. Darüber hinaus gestalten die Teilnehmenden eigenständig Inhalte und setzen diese selbstorganisiert um. So haben wir bislang schon zu verschiedenen Netzwerkstilen sowie zu Gender-Stereotypen in beiden Ländern diskutiert.

Was wir aus dem bisherigen Verlauf des Projekts schließen

Es ist herausfordernd, neben all den vielen digitalen Angeboten regelmäßig noch mehr am Laptop zu sitzen, um innerhalb dieses Projekt gemeinsam Zeit zu verbringen. Doch die Checkouts am Ende einer jeden Session sprechen eine Sprache: Herausfordernd, jedoch lohnenswert! Wenn auch der Schmerz groß ist, dass wir uns im Rahmen dieses Programms nicht analog treffen können, der Wille, dies in der Zukunft nachzuholen, ist groß! Und bis dahin helfen uns digitale Tools und gute Formate, uns in dieser herausfordernden Zeit einem so wichtigen Thema zu widmen. Denn gerade in Zeiten einer gesellschaftlichen Krise, wo Frauen dafür kämpfen müssen, nicht wieder in alte Rollenmuster (#Carearbeit) zurückzufallen, sind Projekte wie dieses besonders relevant. Mit unserem Mentee-/Mentorinnen-Projekt können wir helfen den Weg zu bereiten für mehr Diversität in relevanten (Civic-)Tech-Positionen.

Freut Euch, bald von den Civic Tech Sisters selbst zu lesen, die in eigenen Blogposts über Themen rund um Diversität und ihre eigene persönliche Story berichten – stay tuned!

Grafik- & Fotodank: 1991 Open Data Incubator & Edward Jenner | Pexels

Unser Podcast

Die erste Folge in der Resilienz-Reihe